Fund auf dem Friedhof Altglienicke - Den NS-Hinrichtungsopfern einen Namen geben
Durch einen Zufall findet Klaus Leutner auf dem Friedhof in Altglienicke ein Grab mit 1.370 Urnen - unter den Toten sind 80 NS-Hinrichtungsopfer aus Plötzensee. Leutner setzt alles daran, den anonymen Opfern die Identität zurückzugeben. Von Marta Kupiec
Die Mauer des Friedhofs Altglienicke liegt 1989 im Niemandsland von Treptow-Köpenick, im Süden Berlins, direkt an der Grenze zu Rudow. Eine 20 Meter lange Rasenfläche die sich hier entlangzieht, liegt ebenfalls im Sperrgebiet. Aus der Mitte des Rasens ragt ein Gedenkstein – mit einer schlecht lesbaren Inschrift. Darunter verbarg sich jahrzehntelang ein trauriges Geheimnis.
Vor genau 15 Jahren ist ihm Klaus Leutner, ein pensionierter Eisenbahningenieur, auf die Spur gekommen: "Hier sind 1.370 Urnen bestattet, darunter 80 Urnen von Hinrichtungsopfern aus Plötzensee. Der Gedenkstein ist irgendwann in den 1970er-Jahren errichtet worden. Ich hatte den Eindruck, hier weiß niemand, worum es geht."
Denn auf dem Gedenkstein steht kein einziger Name. Alle Toten sind unter einem Sammelbegriff zusammenfasst: 'Antifaschisten'. Dabei liegt hier die Asche unterschiedlicher Opfer des Naziregimes: KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen, polnische und deutsche Gegner des Naziregimes, jüdische KZ-Häftlinge. Auch ermordete Menschen mit Behinderung, anonyme Euthanasieopfer, ruhen unter der Erde. "Wenn hier stünde: 'den Opfern des Nationalsozialismus' hätte ich Verständnis", sagt Leutner. "Auch etwa 430 Polen sind hier bestattet, darunter 18 Priester, aus dem KZ Sachsenhausen."
"Das sind Hinrichtungsopfer"
Eigentlich ist es dem Zufall geschuldet, dass Leutner vor 15 Jahren all dies ans Tageslicht gebracht hat. Damals ist er auf der Suche nach der 26 Jahre alten polnischen Zwangsarbeiterin, Bronislawa Czubakowska, die 1942 in Plötzensee enthauptet wurde. "Und dann blättere ich etwas gelangweilt in dem Bestattungsbuch des Friedhofs in Altglienicke und plötzlich bleiben meine Augen hängen: 80 Aschen unbekannter Urnen – Charité. Da fragte ich: Wissen Sie, was Sie hier haben? Das sind Hinrichtungsopfer!"
Auf seinen Fund macht er damals unter anderem die Senatsverwaltung aufmerksam. Er setzt alles daran, den unbekannten Toten die Identität zurückzugeben. Dabei unterstützt ihn Paweł Woźniak von der Polnischen Katholischen Mission in Berlin. Fünf Jahre lang sammeln Woźniak und sein Team Informationen über die polnischen Opfer und berichtigen die falsche Schreibweise ihrer Namen. "1.370 Namen – hinter jedem Namen versteckt sich ein Mensch. Welcher Mensch war das? Wir versuchen, die Familien zu finden. Eine schwierige Aufgabe nach über 70 Jahren. Es gibt noch immer Menschen, die auf ein Zeichen warten", sagt Paweł Woźniak.
Die Opfer haben endlich wieder einen Ort des Gedenkens
Etwa ein Drittel der Opfer kommt aus Polen. Viele gelten dort als verschollen und irgendwo verscharrt. Darunter auch 18 Priester, deren Asche in Altglienicke begraben ist. 2016 wurden sie in einem Gedenkgottesdienst geehrt.
So haben diese Opfer endlich wieder einen persönlichen Ort des Gedenkens. Auch ihre Namensliste ist fast vollständig. Sie soll Teil eines neuen Denkmals werden, das im September nächsten Jahres eingeweiht wird. Die Gestaltung soll eher schlicht werden: Das Urnenfeld wird abgegrenzt, um die Totenruhe nicht zu stören, erklärt Klaus Leutner. Aber nicht alle finden diese Gestaltungsidee gut, sagt Paweł Woźniak. "In Polen baut man die Denkmäler für 100 Jahre und mehr. Ich halte wenig von Denkmälern aus Glas und Folie."
Ein Kreuz wäre nicht für alle ein angemessenes Symbol
Er wünscht sich, dass die Namen auf steinerne Tafeln gemeißelt werden, und kritisiert die laienhafte künstlerische Umsetzung. "Hier gibt es keine Symbolik. Ein wichtiges Symbol für uns Polen – nicht nur für unsere Religion, sondern auch für die Zivilisation der letzten 1.000 Jahre – wäre ein Kreuz. Wir hoffen, wir finden ein Kompromiss."
Der Kompromiss ist bitter nötig geworden. Nicht nur weil für jüdische Opfer ein Kreuz kein angemessenes Symbol wäre. Die polnische Seite wünscht ich auch, in Ausnahmefällen ausgewählte Aschen, beispielsweise von einem Priester, nach Polen umbetten zu können, sagt Woźniak: "Als symbolisches Zeichen – ein Pole kommt nach 70 Jahren wieder in seine Heimat zurück".
Wie wird man allen Opfern am besten gerecht? Eines ist sicher: Aus der maroden, unbekannten Sammelgrabstelle soll ein Lern- und Versöhnungsort werden, der zum Nachdenken anregt, sagt Klaus Leutner: "Es muss für uns Deutsche ein Moment des Innehaltens bedeuten, wo wir überlegen, was dieser Herr Hitler angerichtet hat. Das soll ein Lehrbeispiel sein. Die Toten rufen uns dazu auf, macht Frieden miteinander. Dafür will ich meinen Beitrag leisten."
Sendung: rbb Kultur, 12.10.2019, 18.05 Uhr