Baupfusch am Hauptbahnhof - Berliner Fahrgastverband kritisiert Deutsche Bahn wegen Humboldthafenbrücke
Der Beton bröselt unter der Humboldthafenbrücke am Berliner Hauptbahnhof - jetzt muss die Konstruktion komplett erneuert werden. Damit sind auch die Bauarbeiten für die S-Bahnlinie S21 vorerst gestoppt. Von Christina Moebus
Seit mehr als zehn Jahren wird an der City-S-Bahn - auch bekannt als S21 - gearbeitet. Immer wieder hat sich ihr Bau verzögert. Jetzt hat der "Spiegel" [Bezahlschranke] aufgedeckt, dass der Beton an der Humboldthafenbrücke auf der Ostseite des Berliner Hauptbahnhofs nicht richtig hält. Und dadurch dürften sich zumindest Teile des Großbauprojekts nochmals um Jahre verspäten.
Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbands IGEB, zeigt sich frustriert. Die Deutsche Bahn würde in der Kommunikation rund um die geplante neue Verkehrsader eine "Salamitaktik" fahren, sagt Wieseke dem rbb. "Jetzt kommt immer mehr heraus, dass sich eine Großbaustelle entwickelt." Dass es Mängel am Beton der Humboldthafenbrücke gebe, sei eine völlig neue Erkenntnis und komme noch zu den anderen bereits bekannten Problemen hinzu: Unter anderem sei der Tunnel für die geplante neue S-Bahn zu eng, sagt Wieseke.
Mängel wurden offenbar nur zufällig entdeckt
1999 war die Humboldthafenbrücke fertiggestellt worden. 2008 wurde sie noch mit dem "Deutschen Brückenbaupreis" ausgezeichnet. Wenige Jahre später begann ihr Glanz aber bereits zu bröckeln: 2013 musste sie aufwändig repariert werden. Die Verbindungsteile zwischen den Betonelementen waren Schwachstellen, die Brücke musste deshalb drei Monate lang für den Nah- und Fernverkehr gesperrt werden.
Spätestens 2021 aber war endgültig klar: Beim Bau der Brücke wurde gepfuscht. Im Rahmen einer Sanierung sei 2021 und 2022 zufällig die fehlerhafte Betonage am Trägerrost festgestellt worden, stellte die Bahn intern fest. Die Mängel unterhalb des Stahl-Beton-Bauwerks seien erheblich größer als erwartet. "Der Spiegel" hatte dazu ein internes Konzernpapier zitiert.
Bahn schließt Gefahren für Passagiere eigenen Angaben zufolge aus
Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband sieht durch die nun bekanntgewordenen Mängel eine Menge Probleme auf Fahrgäste zukommen, wie er sagt. Er fordert eine transparente Kommunikation von Seiten der Bahn. Abgesehen davon wünsche er sich "Sperrungen, die auf die Belange der Fahrgäste Rücksicht nehmen". Eine komplette Sperrung des Hauptbahnhofs komme nicht in Frage, sagt Wieseke.
Der bereits bestehende Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr rollt aktuell weiter wie gewohnt. Die Humboldtbrücke ist eine der meistbefahrenen Bahnbrücken Berlins. Gerade hält sie dank einer Hilfskonstruktion, die wegen des Baupfuschs Anfang 2022 errichtet worden ist - für etwa zehn Millionen Euro. Aber ist sie auch sicher? Die Deutsche Bahn bejaht das auf Anfrage von rbb|24. Sie schließe jegliche Gefährdung für Passagiere im Zusammenhang mit der Brücke aus. Diese werde "permanent online überwacht". Der bröselnde Beton wurde laut des Unternehmens auch nicht an anderen Brücken der Deutschen Bahn in Berlin oder Brandenburg verbaut.
Die Berliner Verkehrsverwaltung hofft einer Sprecherin zufolge auf schnelle Lösungen. In einem schriftlichen Statement an rbb|24 teilt sie mit: "Je eher die S21 nutzbar ist, desto besser." Die Strecke sei eine wichtige Verbindung zur Verknüpfung des Hauptbahnhofs mit den nördlichen und südlichen Stadtgebieten.
City-S-Bahn soll Strecke über die Friedrichstraße entlasten
Die geplante City-S-Bahn führt vom Nordring (zwischen den Stationen Wedding und Westhafen) über den Hauptbahnhof und den Potsdamer Platz hin zur Yorckstraße. Damit soll der Hauptbahnhof für Passagiere aus allen Himmelsrichtungen erreichbar werden. Laut einer Prognose der DB würden täglich 42.000 Passagiere den neuen Halt am Hauptbahnhof nutzen - und damit die bestehende Strecke über die Friedrichstraße entlasten. Diese wird aktuell von etwa 120.000 Fahrgästen täglich genutzt.
Wie genau es jetzt mit dem Pannenprojekt weitergeht, teilt die Deutsche Bahn auf Anfrage von rbb|24 noch nicht mit. Auch zu den Mehrkosten äußert sich das Unternehmen nicht. Der Schaden müsse erst einmal vollständig begutachtet werden. Die Bahn muss selbst dafür aufkommen, die Haftung ist verjährt.
Allerdings hält die Bahn eigenen Angaben zufolge an dem Plan fest, den nördlichen Teilabschnitt zwischen dem S-Bahnhof Wedding und einem provisorischen Haltepunkt am Hauptbahnhof noch Ende 2023 in Betrieb zu nehmen. Insgesamt seien drei Bauabschnitte geplant. Dass die S21-Strecke wie ursprünglich geplant im Jahr 2026 fertiggestellt wird, ist inzwischen ausgeschlossen - wann die ersten Fahrgäste sie nutzen können, ist vollkommen offen.
Sendung: rbb24, 28.03.2023, 21:45 Uhr