"Die Ärzte" in Berlin - Darum sind Konzerte auf dem Tempelhofer Feld in der Nachbarschaft so gut zu hören

Fr 23.08.24 | 13:52 Uhr | Von Juan F. Álvarez Moreno
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Archivbild: Die Aerzte, Publikum auf dem Tempelhofer Feld am 10. August 2013 in Berlin. (Quelle: imago images/Kriemann)
Audio: rbb24 Kulturradio | 23.08.2024 | Heiner Knapp | Bild: imago images/Kriemann

"Die Ärzte" spielen wieder auf dem Tempelhofer Feld, bei ihrer letzten Konzertreihe gab es jedoch Lärmbeschwerden. Die Veranstalter versprechen nun weniger Belästigung. Das könnte schwierig werden, denn das Feld hat eine besondere Akustik. Von Juan F. Álvarez Moreno

"Die Ärzte" spielen wieder in Berlin – und zwar gleich drei Konzerte am Freitag, Samstag und Sonntag auf dem Tempelhofer Feld. Erwartet werden Zehntausende Konzertbesucher, ein hochsommerliches Wetter und sehr laute Musik. Doch während sich die Fans auf Lieder wie "Schrei nach Liebe" oder "Wir sind die Besten" freuen, hoffen viele Anwohner vor allem darauf, in ihren Wohnungen auch etwas anderes hören zu können.

Denn es ist kaum zwei Jahre her, dass die Band von Farin Urlaub, Bela B und Rod González mehrere Open-Air-Konzerte auf dem Tempelhofer Feld gab. Damals meldeten sich zahlreiche Anwohner bei der Polizei. Der Vorwurf: Die Konzerte seien zu laut gewesen. "Aus dem Jahr 2022 liegen 23 Beschwerden zu den Ärzte-Konzerten vor", teilte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt auf Anfrage von rbb|24 mit. Die Senatsverwaltung ist für die Genehmigung von Großkonzerten verantwortlich.

Ausrichtung der Lautsprecher wurde angepasst

Lauter als 70 Dezibel darf es in der Nachbarschaft während des Konzerts nicht werden, hieß es von der Senatsverwaltung. Vor Großkonzerten und ähnlich lauten Veranstaltungen berechnen Akustiker mit einem 3D-Modell – in diesem Fall mit dem Flughafengebäude und den Gebäuden in der Nachbarschaft – wie sich der Schall während der Veranstaltung ausbreiten wird. So kann man im Voraus bestimmen, wie laut die Musik gespielt werden darf.

Der Veranstalter der Ärzte-Konzerte hat auf die Kritik reagiert und laut Senatsverwaltung die Ausrichtung der Beschallungsanlagen an der Bühne angepasst, damit die Anwohner weniger gestört werden. "Für das Gelände gibt es ein ausgefeiltes Soundkonzept, welches sicherstellt, dass sich die Veranstaltungen im genehmigten Rahmen bewegen", bestätigte der Veranstalter auf Anfrage. Zudem wurden die Anwohner schon Wochen vor dem Konzert mit Info-Zetteln an der Haustür vorgewarnt.

Akustiker: Am lautesten wird es in Richtung Neukölln

Dass Konzerte auf dem Tempelhofer Feld – genauer gesagt, auf dem "Vorfeld" direkt am Flughafengebäude – für die direkte Umgebung mitten in der Stadt so laut werden, hat mehrere Gründe, erklärt der auf Immissionsschutz spezialisierte Ingenieur Jörg Kepper, der für das Potsdamer Akustikbüro Dahms arbeitet. "Das Feld ist groß und flach, es ist eine Schallausbreitung in allen Richtungen bis auf das Flughafengebäude vorhanden." Das Gebäude werde zwar in Richtung Columbiadamm und Platz der Luftbrücke den Lärm "um die 20 Dezibel" senken, so Kepper. "Aber in die andere Richtung reflektiert das Gebäude wie ein Parabolspiegel einen Großteil des Schalls", sagt er.

Am lautesten werde es deswegen in Richtung Schillerkiez und Rollbergsiedlung in Neukölln. Doch je nach Wetter kann es auch woanders zu Lärmbelästigung kommen. "Der Wind nimmt den Schall häufig mit", sagte der Ingenieur Kepper. Weht der Wind in die Gegenrichtung, dann könne der Schall auch zum Beispiel Schöneberg erreichen.

Lärmschutzwand wäre zu teuer

Die Maßnahmen gegen den Lärm seien vor allem technischer Natur, sagte Kepper. Darunter fallen sogenannte Line-Array-Lautsprecher. "Die werden links und rechts von der Bühne aufgehängt und sehen aus wie Bananen." Diese Anlagen werden direkt auf die Konzertbesucher gerichtet – bei ihnen kommt die Musik mit einer Lautstärke von fast 100 Dezibel an. "Durch Neigung nach unten geht sehr viel weniger Schall über die Köpfe hinweg." Solche Lautsprecher würden für die mittlere und höheren Frequenzen eingesetzt, die Basslautsprecher stelle man dann vor der Bühne auf.

Eine Lärmschutzwand um das Gelände zu bauen sei nicht realistisch, so der Ingenieur weiter. Zu groß seien die Basswellen bei Großkonzerten und Festivals. "Wir reden von Höhen von mindestens zehn Metern, wahrscheinlich eher 20 Metern." Solche Wände wären enorm aufwendig und teuer, sagte Kepper.

Was man so oder so nicht verhindern kann, ist die besonders hohe Lärmbelästigung in der Geflüchtetenunterkunft auf dem Feld. Weil die Geflüchteten in unmittelbarer Nähe zur Bühne wohnen, habe der Veranstalter ihnen Hotelübernachtungen, Konzertkarten und Freizeitangebote angeboten, teilte die Senatsverwaltung mit.

"Man will den fetten Sound haben"

Während Großkonzerte wie die der Ärzte laufen, überprüfen Akustiker ständig, ob die maximalen Lärmwerte nicht überschritten werden, sagt Kepper weiter. "Wir sind wie ein Tacho im Auto." Sie stehen im Kontakt mit dem Tontechniker, der bei Bedarf die Lautstärke absenken kann. Am Ende entscheidet der Veranstalter selbst, ob das getan wird.

"Techno ist die Hölle, mein Sohn" lautet der Titel eines Ärzte-Lieds aus dem Jahr 2018. Aber macht es für die Lärmempfindlichkeit überhaupt einen Unterschied, welche Musik gespielt wird? "Vor 20 Jahren hätte ich gesagt, dass Schlagermusik – akustisch sind die Ärzte ähnlich wie Schlager – weniger Belästigung hervorruft", sagte Kepper. Doch die Hörgewohnheiten hätten sich geändert. "Heute hat alles mehr Bässe, egal ob Techno oder Schlager", so der Ingenieur. Man könne den Bass herausdrehen, aber dann würde niemand mehr die Musik gut finden. "Man will den fetten Sound haben."

Klar ist, dass in Berlin große Konzerte mit bis zu 70.000 Besuchern neben dem Tempelhofer Feld nur im Olympiastadion stattfinden können. Das Stadion ist allerdings oft wegen Sportveranstaltungen wie Fußballspielen nicht verfügbar. Und wenn Konzerte in der benachbarten Waldbühne stattfinden, dann geht es sowieso nicht. Immerhin: Laut Senatsverwaltung dürfen auf dem Feld maximal 18 "störende Veranstaltungen" pro Jahr stattfinden. An den übrigen 347 Tagen können die Anwohner entscheiden, ob sie statt "Schrei nach Liebe" lieber etwas anderes hören wollen. Oder einfach mal gar nichts.

Sendung: rbb88.8, 23.08.2024, 09:16 Uhr

 

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Beitrag von Juan F. Álvarez Moreno

79 Kommentare

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  1. 79.

    Doch, das ist der Berliner Stadtrand. Danach kommt Spandau. Schließlich nicht umsonst durch einen Fluß von Berlin getrennt.

  2. 78.

    Hier im Graefekiez Kreuzberg 10967 ist es sehr deutlich zu hören Musik und auch die Konzertgäste, wir hätten uns also die Karten für Samstag sparen können :-). Werde mir Ohrstöpsel mitnehmen.

  3. 77.

    Stadtrand? In Neu-Westend liegen wir doch nicht am Stadtrand. Sie sind ja witzig. Und das Argument mit den 100 Jahren zieht auch nicht. Früher war hier nicht solche Bambule. Die Waldbühne war sogar seit dem Stones Konzert bis in die 80er im Dornröschenschlaf.

  4. 76.

    Man hört es gerade sehr gut in Kreuzberg , Görlitzer Park . Mega ;)

  5. 75.

    Ich wohne in 3,5 km Entfernung vom Konzert und höre die Bässe auch bei geschlossenem Fenstern deutlich wummern. Und das seit Stunden. Ist wirklich belastend. Das muss doch nicht sein.

  6. 74.

    Also hier in 12435 hört man das Konzert deutlich, Musik, Band und jubelnde Menschenmassen!

  7. 73.

    80 db in der emserstr. Vögelschutz gebiet auch zerstört und sowas will punk sein

  8. 72.

    Hm Nähe U-Bahn Alt- Tempelhof war/ist nichts zu hören… so gar nichts.

  9. 70.

    "Es ist schon traurig, was für eine Diskussionskultur die meisten Berliner haben. Unterste Schublade."

    ......wer packt hier eigentlich gerade wen in eine Schublade? Und woher wollen sie eigentlich wissen, dass das, was Sie am Anfang vorschlagen, nicht von vielen Berlinern praktiziert wird? Ihr Kommentar hatte eine wirklich gute Kompromissaussage im ersten Satz um dann so zu enden? Schade.

  10. 69.

    So seh ich das auch. Gleiches gilt für herumfahrende Musicboxen und alle verstärkergestützten Freilichtveranstaltungem.

  11. 68.

    "Es ist schon traurig, was für eine Diskussionskultur die meisten Berliner haben. Unterste Schublade."

    ......wer packt hier eigentlich gerade wen in eine Schublade?

  12. 67.

    Man könnte ja auch einfach mal Verständnis aufbringen und dennoch seine geteilige Meinung behalten.

    Statt dessen werden Leute, die diese ständige Beschallung nicht mögen, als Spießer nebst Wegzieh-Empfehlung bezeichnet.

    Und die Leute, die gern feiern, sind egoistisch.

    Es ist schon traurig, was für eine Diskussionskultur die meisten Berliner haben. Unterste Schublade.

  13. 66.

    "Dann sollte man sich vor seiner Wohnortwahl mal Gedanken machen."
    Genau! Da hat man in Berlin auch absolut freie Auswahl. Da habe Sie recht. Und der Mensch hat sich gefälligst nach Kulturveranstaltungen einzuordnen. Lachhaft!

    "Und andere merken es zutreffend an: bis vor wenigen Jahren war dort ein Flughafen, der tagtäglich Lärm verursacht hat - heute beschränkt sich das auf wenige Tage im Jahr. Euer Spießertum braucht in dieser Stadt niemand."
    Nur weil etwas immer so war, wird dadurch nicht richtiger. Exakt aufgrund solcher Einstellungen wird Berlin immer weniger lebenswert. Egoismus (jeder mit seiner Musikbox im Park), Relativierung (sind doch nur 17x im Jahr Lärm) und Gleichgültigkeit, werden die Lebensqualität in Großstädten deutlich anheben. Da glaube ich ganz fest dran!

  14. 65.

    Baut da lieber Wohnungen hin , dann hat der Spuk ein Ende .

  15. 64.

    Na hoffentlich läuft niemand der Kritiker auf dem Feld mal an einem Zaunkönig vorbei. Der Mini bringt es auf gute 90dB.
    Ich glaube, hier meckern viele nur des Meckerns willen. Wie bei den Demos, Festen, Fan-Zonen, Umzügen, Sportveranstaltungen usw. Musik ist für diese weltoffenen Mitbürger auch immer dann mies und unerträglich, wenn sie nicht dem eigenen Gusto entspricht. Was für den Einen der Walzer ist, ist für die Andere der Pogo. Anderen Spass und Freude gönnen - ja gerne, aber NIMBY.

  16. 62.

    Es gibt eine Geschichte die sich hartnäckig hält ob sie wahr ist keine Ahnung.
    Anfänge Mobilfunk... da baute die Telekom einen Sendemast auf... ein paar Tage später hagelte es Beschwerden... man können nachts nicht mehr schlafen... einige hatten permanent Kopfschmerzen usw. halt das volle Programm der "Auswirkungen".
    Die Telekom hat alle Beschwerden beantwortet und sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt und darauf hingewiesen, dass es vermutlich noch viel schlimmer werden wird wenn der Sendemast in Betrieb geht.

  17. 61.

    Danke für die tiefenpsychologische Erklärung. Jetzt verstehe ich mich endlich selber. Es können sich auch die paar die sich gestört fühlen Kopfhörer aufsetzen und Meeresrauschen hören.

  18. 60.

    Das sehe ich genauso wie Sie und ich wohne in der Nähe. Interessanterweise hat sich noch keiner aus Neukölln (Schillerkiez) hier beschwert, denn dort soll es ja meistens am lautesten sein. Aber da wohnt auch eine andere Klientel, die wahrscheinlich bei solchen Themen etwas toleranter ist, obwohl es bestimmt auch dort sehr viele Familien mit jungen Kindern gibt. Es sind wahrscheinlich die üblichen Menschen, die sich hier beschweren. Was bin ich froh darüber, dass in meiner Umgebung etwas verständnisvollere Menschen wohnen. Noch witziger wäre es allerdings, wenn sich hier Menschen über den Lärm beschweren würden, die ihn gar nicht hören, einfach nur um sich zu beschweren ;). Ein bisschen mehr Toleranz bei solchen Veranstaltungen, die ja doch eher selten sind, wäre wirklich erfreulich. Ich finde es schön, wenn das Tempelhofer Feld für solche Veranstaltungen benutzt wird und nehme die "Geräuschkulisse" dafür auch gerne in Kauf.

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