Debatte um neuen Volksentscheid - Senat nimmt Randbebauung des Tempelhofer Felds wieder ins Visier
Zehn Jahre nach dem erfolgreichen Volksentscheid, dass ein Bebauungsverbot des Tempelhofer Feldes durchsetzte, will der schwarz-rote Senat jetzt die Rolle rückwärts proben. Ziel sei die behutsame Randbebauung. Von Christoph Reinhardt
Mit einem Volksentscheid hatten vor zehn Jahren 740.000 Berliner gegen den damaligen rot-schwarzen Senat durchgesetzt, dass das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden darf. Nach der Wiederholungswahl im vergangenen Jahr vereinbarte die neu formierte schwarz-rote Koalition einen neuen Anlauf für eine Randbebauung. Dazu müsste das Gesetz geändert werden.
Schon vor einem Jahr bei der ersten Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses nach der Bildung der schwarz-roten Koalition machte die neue Mehrheit klar, dass sie das Bebauungsverbot kippen möchte. Mit schwarz-roter Mehrheit bestätigte das Parlament die vom Regierenden Bürgermeister vorgestellte Richtlinie, zumindest eine neue Debatte anzustoßen. Angesichts der "zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014" sei die Randbebauung des Tempelhofer Feldes von gesamtstädtischer Bedeutung und darum eine "Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich".
"Behutsame Randbebauung" im Fokus
Zwar hatte die CDU zwischenzeitlich schon angekündigt, eine neue Volksbefragung zu initiieren. Aber wegen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines solchen "Volksentscheids von oben" verständigte sich der Senat im Dezember darauf, erstmal einen internationalen Ideenwettbewerb für eine Bebauung des Tempelhofern Feld zu starten, begleitet von einer Bürgerwerkstatt. Das Ziel sei eine "behutsame Randbebauung", kündigte Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) an. Bei beiden Verfahren gehe es nicht um das "Ob", sondern um das "Wie".
Der weit überwiegende Teil der Freifläche soll dabei für Sport, Freizeit und Erholung gesichert bleiben, beschloss das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der Koalition noch am vergangenen Donnerstag. Wohnungen bauen sollten ausschließlich die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen und gemeinwohlorientierte Genossenschaften. Bis zum Frühjahr des kommenden Jahres solle der Ideenwettbewerb und der begleitende Bürgerdialog Ergebnisse vorlegen, so der schwarz-rote Beschluss.
Opposition sieht Provokation
Für die Opposition eine Provokation, denn allein die präzisen Vorgaben machten deutlich, dass weder der Ideenwettbewerb noch der Bürgerdialog ergebnisoffen seien, sagte die Stadtentwicklungspolitikerin der Linken, Katalin Gennburg. Sie sprach von einer "Fake-Beteiligung", da für die Koalition längst feststehe, dass sie die Bebauung am Ende durchsetzen und bis zum Ende der Legislaturperiode Fakten schaffen wolle.
CDU: Wohnungsmangel lässt keinen Verzicht zu
Der CDU-Stadtentwicklungsexperte Christian Gräff warb für die Pläne der Koalition. Angesichts des Wohnungsmangels könne Berlin nicht auf das neue Quartier am Tempelhofer Feld verzichten. Dass sich die Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt seit 2014 erheblich verändert habe, sagte auch der Sprecher der SPD für Stadtentwicklung, Matthias Schulz, und machte vor allem soziale Gründe geltend. In zehn Jahren hätten sich die Mieten verdoppelt, die Lage für Mieter sei "prekär und extrem ernst". Eine Randbebauung durch landeseigene Unternehmen und Genossenschaften biete eine große Chance, neue Lösungen auszuprobieren. Dem solle auch der Ideenwettbewerb und die Bürgerbeteiligung dienen.
Kritik aus der Opposition
Während die AfD eine "Missachtung des Volkswillens" und "Scheinbeteiligung" kritisierte, sprachen die Grünen von einer Nebelkerze. Angesichts der bereits ausgewiesenen Flächen für fast 250.000 Wohnungen seien die geplanten 5.000 Einheiten am Tempelhofer Feld gar nicht erforderlich, sagte der grüne Stadtentwicklungsexperte Julian Schwarze, und wegen der langen Planungszeit könnten sie frühestens in zehn Jahren die Wohnungsnot lindern. "Mit der Debatte um die Bebauung vom Tempelhofer Feld versuchen Sie, davon abzulenken, dass Sie mit dem Neubau und Ihrer Wohnungspolitik gescheitert sind", sagte Schwarze. Berlin habe kein Flächen-, sondern ein Umsetzungsproblem.
Sendung: radioeins, 24.05.2024, 8:40 Uhr