Umstrittene Randbebauung - Senat nimmt wieder vorsichtig Anlauf aufs Tempelhofer Feld
Beim Volksentscheid 2014 lehnte eine Mehrheit eine Bebauung des Tempelhofer Felds ab. Doch seit Jahren wird diskutiert, ob Wohnen am Feldrand doch möglich sein sollte. Nun schiebt die schwarz-rote Koalition einen Ideenwettbewerb an. Von Thorsten Gabriel
- Debatte um mögliche Randbebauung des Feldes nimmt wieder Fahrt auf
- Stadtentwicklungsverwaltung will Ideenwettbewerb starten
- Mögliche Beteiligung der Bevölkerung noch völlig unklar
- Initiative "100% Tempelhofer Feld" pocht auf Volksentscheid von 2014
Wie geht man angemessen mit erfolgreichen Volksentscheiden um? Beim Streiten über diese Frage hat Berlin einigermaßen Übung. Mal ging es um die Offenhaltung des früheren Flughafens Tegel, mal um die Vergesellschaftung von privaten Wohnungskonzernen. Und nun wieder: um das Tempelhofer Feld. Hier ist die Lage gleich in mehrfacher Hinsicht speziell.
Anders als beim Tegel- oder "Enteignungs"-Volksentscheid stimmten die Berliner:innen in Sachen Tempelhof über ein konkretes Gesetz ab. Es trat unmittelbar in Kraft und seitdem ist das Feld sakrosankt – fast. Denn die frühere rot-rot-grüne Koalition tastete das Volksgesetz einmal an und änderte es. Damals ging es darum, Geflüchteten am Feldrand Unterkunft zu verschaffen. Für alle Wohnungsbauträume allerdings galt: Kommt nicht infrage.
Wie ändert man ein Gesetz, das per Volksentscheid zustande kam?
Mit der sich verschärfenden Krise auf dem Wohnungsmarkt änderte sich allerdings der Blick vieler Hauptstädter auf die grüne Freifläche mitten in der Stadt. Spätestens seit 2018 fand die Frage, ob das Feld am Rand nicht doch für den Wohnungsbau genutzt werden könnte, in Umfragen immer eine Mehrheit. Meinungsumfragen sind zwar keine amtliche Volksabstimmung, aber sie geben zumindest Aufschluss über die Stimmungslage – die sich binnen fast zehn Jahren durchaus wandeln kann, wenn sich Rahmenbedingungen ändern.
Rein rechtlich könnte das Berliner Abgeordnetenhaus ohne Umschweife das Tempelhofer-Feld-Gesetz von 2014 ändern und Wohnungsbau ermöglichen. Auch Volksgesetze sind normale Gesetze, sie sind nur anders zustande gekommen. Da allerdings gab es in den zurückliegenden Jahren immer Bedenken auf der politischen Bühne. Wenn man dieses Gesetz noch einmal antaste, so wurde von vielen Seiten argumentiert, dann nur, wenn dies erneut durch die Bevölkerung legitimiert wird.
CDU und SPD haben internationalen städtebaulichen Wettbewerb verabredet
Also ein neuer Volksentscheid? So einfach ist die Sache nicht. Denn "Volksbefragungen von oben", etwa durch den Senat, sieht die Berliner Verfassung explizit nicht vor. Entsprechend nebulös sieht denn auch die Verabredung aus, die CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag zu diesem Thema notiert haben: "Zu dieser Frage gesamtstädtischer Bedeutung ist die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich", heißt es da lediglich schmal. Und auch ansonsten gibt es bislang nicht viel Neues zur Frage, ob es künftig wieder Wohnungsbau am Feld geben könnte.
Beschlossen haben die beiden Regierungsparteien lediglich, dass sie "mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb (…) die Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche ausloten" wollen. Es bedürfe "angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014" einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes, heißt es noch im Koalitionsvertrag.
Neues Beteiligungsformat soll "Bedarfe der Stadt" ermitteln
Diese Debatte will die SPD-geführte Stadtentwicklungsverwaltung in Gang bringen. Dazu plane sie ein "neues Format", das derzeit senatsintern abgestimmt werde, wie Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt der Deutschen Presse-Agentur sagte. Sie rechne damit, dass es im September einen konkreten Vorschlag geben könne. Ziel sei es, "aktuelle Bedarfe der Stadt zu ermitteln", dann solle geschaut werden, inwieweit Teile dieser Bedarfe an den Rändern des Tempelhofer Feldes "sehr verträglich" geplant und realisiert werden können. "Dieser Prozess muss natürlich ergebnisoffen sein".
Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) findet die Debatte lohnenswert, wie er am Donnerstag der rbb24 Abendschau sagte. Das Tempelhof Feld sei eine riesige Fläche, bei der trotz einer möglichen Bebauung auch viel Freifläche erhalten werden könne.
"Wir reden über eine behutsame Randbebauung. Es muss so sein, dass die anderen Nutzungen noch möglich sind und das die Funktionen, die das Feld hat - Klimafunktionen, Aufenhaltsfunktionen, Freiflächen - dass das eben auch erhalten bleibt. Dass wir aber gleichzeitig die Wohnungsnot dadurch lindern, dass wir dort Wohnungen bauen." Gaebler sagte außerdem, man wolle dort mit landeseigenen Gesellschaften und gemeinwohlorientierten Genossenschaften bauen.
"Mietwohnungen für die Mitte der Gesellschaft"
Bei der Initiative "100% Tempelhofer Feld", die einst den erfolgreichen Volksentscheid auf den Weg brachte, kommt das gar nicht gut an. Das Vorgehen sei ebenso fragwürdig wie der im Koalitionsvertrag vorgesehene Ideenwettbewerb, sagt Amaya Kreye von der Initiative. Eine neue Bürgerbeteiligung, von der zudem noch keiner wisse, wie sie aussehen solle, sei nicht gleichwertig mit einem gültigen Volksentscheid. Sie sagt auch: Um den Wohnraumbedarf zu decken, würde das Feld nicht benötigt.
Anders argumentiert der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff. Auf Radioeins verteidigte er den internationalen Ideenwettbewerb und den Gedanken, einen Teil der Fläche – wie vor dem Volksentscheid geplant – für Wohnungen zu nutzen.
Aus seiner Sicht sollten bei einer erneuten Volksbefragung, wie immer sie aussehen sollte, ganz konkrete Pläne zur Abstimmung gestellt werden. Entstehen sollten dort "Mietwohnungen für die Mitte der Gesellschaft", also "für Krankenschwester und Polizist". Gräff verwies außerdem darauf, dass das Feld am Rand bereits an vielen Stellen mit Beton versiegelt sei und nicht überall Grün angetastet werden müsste.
Letztlich sind die Argumente, die für oder gegen eine Randbebauung des Feldes sprechen, seit Jahren ausgetauscht. Neue sind nicht hinzugekommen. Und auch jetzt steht fest: Kurzfristig wird hier kein Wohnungsbedarf gedeckt werden. Es ist ein Projekt für die Langstrecke, bei dem die derzeitige CDU-SPD-Koalition bis 2026 allenfalls erste Weichen stellen kann.
Sendung: Radioeins, 17.08.2023, 13:50 Uhr