Leben auf dem Rummelsburger See - Traum-Kulisse mit Anwesenheitspflicht
Eine neue Verordnung hat das Wohnen auf dem Rummelsburger See erschwert – doch die Müllprobleme in der Bucht nicht gelöst. Einige Bewohner fordern ein neues Konzept für den Freiraum auf dem Wasser. Von Roberto Jurkschat und Mara Nolte
- Eine seit Juni gültige Verordnung verbietet das Ankern auf der Spree abseits der Liegeplätze
- Große Einschränkung für die Bewohner der am Rummelsburger See liegenden Hausboote durch Anwesenheitspflicht
- Müll und Lärm auf Booten auf dem See sorgen für Streit
- Hausbootbewohner sehen ihren Lebensentwurf in Gefahr
Am Abend liegt ein langer Häuserschatten über dem Westufer des Rummelsburger Sees. Durch das Bullauge sieht Arik Rohloff die Sonne hinter den Betonklötzen verschwinden. Wenn er am nächsten Morgen ins Kinderzimmer geht, kann er die Sonne über Köpenick wieder aufgehen sehen.
Mitten in Berlin - und doch irgendwie weit draußen - wohnt der Mathematiklehrer mit seiner Familie seit sieben Jahren auf zwei benachbarten Hausbooten. 85 leicht schaukelnde Quadratmeter für zwei Erwachsene und drei Kinder, umgeben von einer Postkarten-Kulisse - eine Entscheidung, die er in all der Zeit nicht bereut hat, wie Arik Rohloff sagt. "Man ist extrem selbstbestimmt, die Kinder können Krach machen, wir können umbauen, wie wir möchten. Die Freiheit hast du in einer Wohnung nicht", so Rohloff.
Mit ihrem Liegeplatz am Ufer von Stralau gehören die Rohloffs zu den wenigen Buchtbewohnern, die von der neuen Bundesverordnung für Binnengewässer höchstens indirekt betroffen sind. Denn seit Juni verbietet die Verordnung das Ankern auf der Spree außerhalb genehmigter Liegeplätze.
Ankerverbot oder Anwesenheitspflicht
In Berlin gilt das für einen 35 Kilometer langen Abschnitt der Spree: zwischen Köpenick, wo der Teltowkanal abzweigt, und Spandau, wo die Spree in die Havel mündet. Ankerplätze, die den Hausboot-Bewohnern seither geblieben sind, liegen in den Spree-Seitenarmen - rings um die Insel der Jugend, in der Müggelspree, auf dem Rummelsburger See und den Bereichen um Liebesinsel und Insel Kratzbruch.
Noch empfindlicher als dieses Ankerverbot allerdings schränkt die Wasserbewohner die in der Verordnung festgeschriebene Anwesenheitspflicht ein. Demnach muss immer jemand an Bord sein, wenn ein Boot draußen auf dem Wasser ankert. Das betrifft in der Rummelsburger Bucht eine ganze Reihe von Menschen. Viele leben auf dem See, pendeln morgens mit kleinen Beibooten an Land und kommen am Nachmittag zurück in ihre Schiffe. Sie müssen jetzt während ihrer Abwesenheit eine Aufsicht organisieren.
Wie viele Menschen genau auf dem Rummelsburger See leben, ist unbekannt: Die Senatsverwaltung für Verkehr erklärte rbb|24, eine Einwohnerzahl werde auf der Bucht nicht erhoben. Als Bundeswasserstraßen fallen die Spree und der Rummelsburger See in die Zuständigkeit des Bundes.
Schätzungsweise 70 bis 80 Buchtbewohner
Arik Rohloff kann seine Nachbarschaft auf dem Wasser mit seinem kleineren Hausboot - eine Art 1-Raum-Wohnungs-Floß - besuchen. Mit dem Boot machen die Rohloffs gerne Ausflüge zu nahe gelegenen Seen. Beim Schippern über die Rummelsburger Bucht weht eine leichte Brise über das Wasser, während der Blick von Arik Rohloff über den See wandert.
Die Zahl der Buchtbewohner schätzt Arik Rohoff auf 70 bis 80 Menschen. Die Zahl der Boote allerdings liege deutlich höher, bei 200 bis 300, sagt er. Die meisten davon ankern draußen auf dem See, auch weil die Bezirksverwaltungen Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg jenseits der wenigen ausgewiesenen Anlegestellen am Ufer vielerorts Festmachverbote erlassen haben.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg schreibt zur Begründung dieser Maßnahme auf seiner Website, "das Festmachen der Boote ging häufig mit illegaler Müllentsorgung in den Uferbereichen und Lärmbelästigung einher. Auch bei anderen zuständigen Behörden, wie der Wasserschutzpolizei, hat sich die Beschwerdelage in den letzten Jahren massiv erhöht."
Wracks auf dem Grund der Bucht
Die Probleme mit Müll und Lärm seien in der Rummelsburger Bucht nicht von der Hand zu weisen, sagt Arik Rohloff. In den letzten Jahren seien teils mehrtägige Technopartys auf dem Wasser gefeiert worden. "Und ich sehe auch immer wieder, dass Leute ihren Müll an den Mülltonnen oder teilweise neben die Mülltonnen abliefern, was auch nicht gestattet ist. Das ist ein Problem."
Allerdings handle es sich bei den Lärmbelästigungen um wenige Vorkommnisse. Die Polizei habe Lautsprecherboxen der Partyboote konfisziert, seitdem sei es eher ruhig. "Und das Müllproblem würde sich aus meiner Sicht wirklich sehr einfach lösen lassen, indem man am Ufer an einer Stelle Container bereitstellt. "Niemand will seinen Müll gerne heimlich und unerlaubt am Ufer entsorgen", sagt Rohloff.
Ein anderes Problem, das die Behörden in der Rummelsburger Bucht bisher nicht in den Griff bekommen, sind Boote, die einmal dort hingebracht und dann nie wieder benutzt wurden. An den Ufern und auf dem Wasser liegen halbgesunkene Schrottboote, aus denen teils noch Öl oder Benzin auslaufen kann. Gelbe Bojen in der Bucht markieren Stellen auf dem See, an denen größere Wracks auf dem Grund vor sich hin rosten. Wer die Halter sind, lässt sich oft nicht nachvollziehen. Eigentlich müssten sie die Bergung der Boote bezahlen.
Jugendarbeit und Kulturangebote auf dem Wasser
"Wenn es das Ziel der Verordnung gewesen sein sollte, dass es weniger Schrottbote in der Bucht gibt, dann hätte man das durch eine Kennzeichnungspflicht lösen können, mit der man nachvollziehen kann, wer die Halter der Boote sind", sagt Arik Rohloff.
Mit anderen Seebewohnern und Kulturschaffenden engagiert sich Rohloff im Kollektiv Spree:publik, einem Sprachrohr vieler Buchtbewohner, das sich für freien Zugang aufs Wasser einsetzt, Kulturveranstaltungen und auch Müllsammel-Aktionen organisiert. Das Kollektiv sei der Ansicht, die neue Verordnung erschwere den Hausboot-Bewohnern und auch den Kulturschaffenden das Leben auf dem Wasser – ohne dabei einen richtigen Mehrwert zu schaffen, erklärt Rohloff.
Nur ein paar Meter weiter von Rohloffs Booten ankert das Kulturschiff "Anarche". Max Bayer ist hier Teil einer Gruppe, die ehrenamtlich Kulturveranstaltungen und Jugendprojekte organisiert. "Wir arbeiten oft mit benachteiligten oder mit marginalisierten Menschen, die teilweise zwar in Berlin aufgewachsen sind, aber noch nie auf dem Wasser waren." In den vergangenen Jahren ist die Anarche beispielsweise immer wieder mit Gruppen abgelegt, die zum Schwimmen rausgefahren sind. "Ich habe die Wasserschutzpolizei jetzt einmal gefragt, ob sie mir vielleicht sagen können, wo wir jetzt noch zum Schwimmen halten dürfen. Die wussten es allerdings auch nicht", sagt Bayer. "Wir sind jetzt schon deutlich weniger flexibel."
Senatsverwaltung für Verkehr plädierte für Ankerverbot
Der Berliner Senat wäre bei der Einführung der neuen Verordnung sogar gern noch einen Schritt weiter gegangen. In einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Verkehr zu einem Entwurf der Bundesverordnung heißt es, man würde auch auf dem Wasser ein Liegeverbot begrüßen. "Dies hat den Hintergrund, dass das grundlegende Problem nicht die ggf. fehlende Aufsicht bei den Booten ist, sondern das Stillliegen an sich. Nur durch ein absolutes Liegeverbot ist es aus unserer Sicht realistisch, dass sich derartige Strukturen, die dort gegenwärtig bereits bestehen, nicht noch weiter verfestigen." Welche Strukturen damit gemeint sind, geht aus der Stellungnahme, die rbb|24 vorliegt, nicht hervor.
Zwar gebe es durchaus Personen auf dem Wasser, die sich falsch verhielten, sagt Bayer. "Aber die Verordnung trifft ja pauschal auch diejenigen, die sich regelkonform verhalten."
Tonnenschwere Ausbeute
Einmal quer über die Bucht, auf der Lichtenberger Seite, liegt Jan Ebel mit seinem Hausboot. Tagsüber ist er Erzieher, aber eigentlich versteht er sich als Seemann. Inoffiziell wird er in der Bucht auch Bürgermeister genannt. Er lebt seit 13 Jahren in der Bucht und sagt, eine Verordnung, wie sie der Senatsverwaltung vorschwebe, würde das Ende seines Lebensentwurfs bedeuten. "Das wäre für mich eine Katastrophe."
Um die Aufsicht über die Boote untereinander aufzuteilen, haben Jan Ebel und andere Buchtbewohner ihre Boote zu einer Insel zusammengebunden. "Wir teilen uns hier so auf, dass immer mindestens eine Person die Boote von unserer Insel beaufsichtigt. Das haben wir allerdings auch vor der Verordnung schon so gehandhabt." Ebel fügt hinzu: "Das ist unser Zuhause, wir haben nichts anderes. Wir wollen unsere Boote gar nicht allein stehen lassen. Das ist gar nicht unser Interesse." Doch nun müsste man schon aufpassen, wenn man zum Brötchenholen das Boot verlasse.
Um die Bucht von illegalem Müll zu befreien, meldet Ebel immer wieder Müllsammelaktionen bei den Behörden an. Nach eigenen Angaben hat er schon mehr als 50 Tonnen Schrott aus der Spree geholt, darunter über 300 E-Scooter, mehr als 1.000 Fahrräder, knapp 1.000 Einkaufswagen und rund 100 gesunkene Boote. Der Müll im Wasser sei ein Problem, "ein Fass ohne Boden", sagt er.
Sorge vor dem Ende
Auch Ebel sagt, dass nicht alle Wasserbewohner gleichermaßen vorbildlich leben würden. "Man muss sagen, dass nicht alle, die hier leben, auch maritimes Know-how haben. Es gibt Menschen, die vorher obdachlos waren, in Berlin keine Wohnung gefunden haben und dann notgedrungen aufs Wasser gekommen sind", so Ebel. Gebrauchte Segelboote etwa seien im Internet teilweise so billig oder gar umsonst erhältlich, weil die Entsorgung die Besitzer oft teuer zu stehen komme. Aber ohne eine wirkliche Affinität zu diesem Lebensstil fehle es einigen Bewohnern auch am Willen, die Bucht sauber zu halten.
"Ich denke, wir brauchen keine Verbote, sondern eine Kennzeichen-Pflicht für Boote. Damit ließen sich die Halter identifizieren und wir hätten dann wahrscheinlich nicht das Problem, dass Leute hier ihre Boote einfach wie einen Schrotthaufen liegen lassen." Ob es eine solche Regelung geben wird, oder ob sich in der Zukunft doch ein Ankerverbot durchsetzen könnte, darüber machen sich in der Bucht viele Wasserbewohner Gedanken - Jan Ebel befürchtet, die Verordnung könnte der "Anfang vom Ende" für das alternative Leben auf dem Wasser sein.
Während das Wasserschifffahrtsamt einige wenige Liegestellen vergleichsweise kostengünstig für rund 200 Euro verpachtet, koste ein Platz in einer privaten Marina bis zu 800 Euro, sagt Ebel. Nicht inbegriffen sind Haltungskosten, Versicherungen, Rücklagen für Reparaturen.
Jan Ebel spricht sich dafür aus, dass das Wasser für alle zugänglich bleibt und alternative Lebensentwürfe auch in Zukunft möglich sind. "Dazu bräuchte es aus meiner Sicht keine neuen Regeln. Die Behörden müssten einfach nur in der Lage sein, das geltende Recht durchzusetzen."
Sendung:
Jetzt auf Youtube anschauen: Leben auf dem Hausboot bedroht | rbb24 explainer