Geänderte Frist bei Bauprojekt - Vertrag mit Coral World: Senatsverwaltung verstrickt sich in Widersprüche
Der Investor des umstrittenen Hotel-Aquariums hat fast zwei Jahre mehr Zeit für den Bau, eine Rückabwicklung ist vorerst nicht mehr möglich. Dem rbb liegen nun Belege vor, dass die Senatsverwaltung den Kaufvertrag geändert hat. Die Verwaltung beteuert, es seien nur Dinge "klargestellt" worden. Von Anja Herr
- Das Hotel-Aquarium "Ocean Berlin" hätte eigentlich im Juni fertig sein sollen
- Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat dem Investor aber deutlich mehr Zeit gegeben
- Dem rbb liegen Belege vor, wonach der Kaufvertrag geändert wurde
- Die Verwaltung möchte das nicht zugeben
Bald wird es festlich an der Rummelsburger Bucht: Am 25. April will das Unternehmen Coral World International sein Bauprojekt "Ocean Berlin" in Berlin-Lichtenberg feiern. Hier soll ein siebenstöckiges Hotel mit Gastronomie und Groß-Aquarium entstehen. Doch nicht alle sind in Feierlaune: Das Projekt ist von Beginn an umstritten. Kritiker fragen sich, ob ein Hotel mit Riesen-Aquarium tatsächlich das ist, was auf der ehemals landeseigenen Fläche gebraucht wird.
2016 hatte das Land Berlin das Grundstück an den Investor verkauft. Seitdem gab es Kritik an den Verwertungsplänen. Initiativen protestierten gegen Naturzerstörung an der Rummelsburger Bucht. Für Unmut sorgte auch, dass die Pläne für ein Hotel erst spät bekannt wurden. Besonders groß war die Skepsis im Januar 2023. Nachdem im Monat zuvor der "Aquadom" geplatzt war, kam es zu einer Debatte: Soll nun tatsächlich wieder ein Gebäude mit ähnlichem Konzept gebaut werden - ein Hotel mit einem Aquarium?
Doch Möglichkeiten für einen Neustart nutzt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht.
Zugeständnisse in Schreiben an Coral World
Im Januar 2023 muss der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung klar gewesen sein: "Coral World International" kann den Kaufvertrag voraussichtlich nicht erfüllen. Das Unternehmen wird nicht rechtzeitig bis Juni 2024 mit dem Gebäude fertig - so wie es im Vertrag vorgeschrieben ist.
Das bedeutet für die Senatsverwaltung: Eine Rückabwicklung des Vertrags wäre ab Juni 2024 prinzipiell möglich gewesen. Alternativ hätte womöglich auch eine Vertragsstrafe in Millionenhöhe gefordert werden können.
Doch auf beide Möglichkeiten verzichtet die Senatsverwaltung offenbar freiwillig. Sie macht stattdessen dem Investor Zugeständnisse, indem sie den Kaufvertrag ändert. Das Schreiben der Senatsverwaltung an die Projektleitung von Coral World vom 31. Januar 2023, das per Mail verschickt wurde, liegt dem rbb vor. Darin heißt es: "Nach Prüfung Ihrer Anfrage können wir Ihnen mitteilen, dass wir (…) Ihnen entgegenkommen wollen."
Begründet wird dies damit, dass die Regelungen im Kaufvertrag widersprüchlich seien, es habe sich um einen "missverständlichen Vertragstext" gehandelt. Nach rbb-Recherchen ist dies aber nicht der Fall. Die gesetzten Fristen zur Fertigstellung - vier Jahre nach Eintreten der Bestandskraft der Baugenehmigung, spätestens jedoch vor Ablauf von fünf Jahren ab Übergabetag des Grundstücks - widersprechen sich nicht per se. Übergabe des Grundstücks war im Juni 2019. Im Juni 2024 hätte das Gebäude dann fertig sein müssen.
Nach der Änderung des Kaufvertrags gilt das nun nicht mehr, stattdessen gilt nur noch die erste im Vertrag vereinbarte Frist ("vier Jahre nach Eintreten der Bestandskraft der Baugenehmigung"). Die Senatsverwaltung schreibt dazu: „Wir sind im Sinne einer Klarstellung daher bereit, die Fertigstellungsfrist (…) zu verlängern.“ Die neue Frist zur Fertigstellung lautet nun: 17. April 2026.
Senatsverwaltung bezeichnet Vorgang selbst als "Klarstellung"
In dem Schreiben steht außerdem: "Ergänzend sichern wir Ihnen zu, dass dem Land ein Rücktrittsrecht dementsprechend nur dann zusteht, wenn die vorgenannte Fertigstellungspflicht bis zum 17.04.2026 durch Coral World Berlin nicht eingehalten bzw. erfüllt wird." Eine Rückabwicklung ab Juni 2024 ist damit nicht mehr möglich.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betonte dem rbb gegenüber stets, der Vertrag sei gar nicht geändert worden - es handle sich lediglich um eine "Klarstellung". Daher sei es auch nicht nötig gewesen, politische Ausschüsse einzubeziehen. Das müsse nur bei Vertragsänderungen geschehen.
Dem rbb liegt allerdings ein Vermerk vom 21 Februar 2024 aus der Senatsverwaltung vor, in dem eine Juristin der Senatsverwaltung den Vorgang selbst als "Änderung" bezeichnet. Wörtlich schreibt sie: "Diese Änderung ist gemäß § 21 Abs.2 schriftlich durch zwei inhaltlich übereinstimmende Schreiben beider KV-Parteien [Kaufvertrags-Parteien, Anm.d.Red.] vorgenommen worden."
Nach rbb-Recherchen wurde der Vertrag also geändert - und dies war der Verwaltung auch bewusst. Auf rbb-Nachfrage geht die Senatsverwaltung auf diesen Widerspruch jedoch nicht ein. Sie spricht weiterhin von einer "Klarstellung". Diese sei zwingend notwendig gewesen, da die Fristen im Vertrag widersprüchlich gewesen seien. Sie zitiert einen weiteren Ausschnitt des Vermerks der Juristin, in dem es heißt: "Streng genommen ist durch unser Schreiben vom 31.01.2024 die Herstellungsfrist auch nicht verlängert worden. Sondern die Auslegung dessen, was die Vertragsparteien wollten, ist gemäß Paragraf 21 [des Kaufvertrags, Anm.d.Red.] klargestellt worden."
Bausenator kommt nicht zur Grundsteinlegung
Politiker verschiedener Parteien hatten das Vorgehen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bereits im Februar stark kritisiert und Transparenz gefordert. Laut Verwaltung gab es keine politischen Entscheidungen zur "Klarstellung". Der damalige Senator für Stadtentwicklung Andreas Geisel soll nicht in den Vorgang eingebunden gewesen sein.
Der rbb hat Anfang März Akteneinsicht beantragt, um nachzuvollziehen, wer wann eingebunden war und wie es zu der Vertragsänderung kam. Bislang hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Akteneinsicht noch nicht ermöglicht. Auch die "Klarstellungsvereinbarung" möchte der rbb einsehen und hat am 21. Februar einen Antrag dazu gestellt - bislang ohne Ergebnis. Die Frage, wann eine Einsicht möglich sein wird, bleibt unbeantwortet.
Gleichzeitig werden Fakten geschaffen: mit der Grundsteinlegung. In der Einladung an ausgewählte Gäste heißt es, die Grundsteinlegung sei "ein wichtiger Meilenstein". Die politische Leitung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, so heißt es von der Pressestelle, werde an dem Termin allerdings nicht teilnehmen.
Sendung: rbb 88.8, 25.04.2024, 10:30 Uhr