Interview | Resilienzforscher - "Jeder Mensch hat Faktoren und Kräfte in sich, die ihn resilient machen"

Mi 25.12.24 | 08:00 Uhr
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Menschen sitzen im Kettenkarussell (Quelle: firo Sportphoto/Jürgen Fromme)
Audio: rbb|24 | 17.12.2024 | O-Ton aus dem Gespräch mit Klaus Lieb | Bild: firo Sportphoto/Jürgen Fromme

Resilienz ist die Fähigkeit, Krisen gesund zu bewältigen. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist der Begriff omnipräsent. Im Interview spricht der Psychiater Klaus Lieb über innere Widerstandskraft - und wie man sie trainieren kann.

rbb|24: Hallo Herr Lieb, liegt es an der Resilienzfähigkeit, dass Menschen gut durch die Corona-Krise kamen?

Klaus Lieb: Ja. Resilienz ist die Widerstandsfähigkeit, also die Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit trotz belastender Ereignisse. Die Corona-Pandemie war für die gesamte Bevölkerung ein massiver Stressfaktor. Da haben wir gesehen, dass ein sehr großer Teil der Menschen gut damit zurechtgekommen ist. Mehr als zwei Drittel der Menschen konnten ihre psychische Gesundheit aufrechterhalten oder sehr schnell zurückgewinnen. Das bezeichnen wir als Resilienz.

Zur Person

Professor Klaus Lieb (Quelle: privat)
privat

Psychiater - Klaus Lieb

Klaus Lieb ist ein Psychiater. Er ist seit 2007 ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz und seit 2020 wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung Mainz.

Sie selbst sind dann vermutlich ein resilienter Mensch, denn Sie haben den Fokus Ihrer Antwort auf das halbvolle Glas gelegt - und nicht auf das eine Drittel der Menschen, die psychisch nicht gut durch die Corona-Pandemie kamen.

Genau darum geht es. Den Blick auf das Positive – auch im Rahmen von Stressfaktoren oder belastenden Ereignissen – zu richten. Das sehen zu können, ist ein wesentlicher und wichtiger Resilienzfaktor. Menschen, die das Glas halb voll sehen, tun sich leichter mit der Bewältigung von Krisen. Das sind die Menschen, die dann auch aktiv an die Problemlösung schwieriger Situationen herangehen. Sie betreiben, wie wir hier sagen, aktives Coping. Sie ziehe sich nicht zurück und verharren in schlechtem psychischem Zustand, sondern sie versuchen, das Problem zu lösen und Veränderungen herbeizuführen.

Woran erkennt man einen resilienten Menschen noch?

Resilienz ist der Outcome – also das, was am Ende nach einer belastenden Situation rauskommt. Man bezeichnet Menschen grundsätzlich als resilient, wenn sie nach einer belastenden Situation ihre psychische Gesundheit aufrechterhalten oder eben sehr schnell zurückgewinnen. Es ist ganz normal, wenn während kritischer Lebensereignisse wie beispielsweise Schwierigkeiten in der Partnerschaft, einer Trennung oder sogar dem Verlust eines nahen Angehörigen psychische Belastungsreaktionen auftreten. Wenn diese sich dann aber sehr schnell zurückbilden und die Menschen wieder stabil sind, spricht man von Resilienz.

Ist Resilienz-Therapie jetzt - nach vor einigen Jahren NLP - das nächste große Ding? Das Schlagwort ist überall anzutreffen.

Resilienz ist tatsächlich in aller Munde. Wir Wissenschaftler im Leibniz-Institut für Resilienzforschung erforschen, was da im Gehirn passiert. Also was hinter der Resilienz steht. Wir forschen also zu den Ursachen. Und das ist sehr komplex. Gleichzeitig ist die Resilienz auch etwas, was als "ordinary magic" (gewöhnliche Magie) bezeichnet wird, also als etwas, das Menschen als Fähigkeit innewohnt. Die Menschheit ist evolutionär immer wieder mit Krisen und Belastungen konfrontiert worden. Da war es ein Überlebensvorteil, resilient zu sein. Insofern hat jeder Mensch Faktoren und Kräfte in sich, die ihn resilient machen. Menschen können diese in der Regel selbst wecken und trainieren. Dafür muss man nicht unbedingt einen Psychologen aufsuchen.

Die Menschheit ist evolutionär immer wieder mit Krisen und Belastungen konfrontiert worden. Da war es ein Überlebensvorteil, resilient zu sein

Klaus Liebe, Resilienzforscher

Wie geht das als Do-it-Yourself-Maßnahme?

Einmal gibt es ein Basis-Set an Faktoren, die Menschen in Stress-Zeiten gesundhalten. Sie ähneln den Dingen, die das Herz gesundhalten. Man kann also Herz und Psyche gleichzeitig stabilisieren und gesund halten. Beispielsweise durch regelmäßige Bewegung, guten Schlaf, gesunde Ernährung. Es hilft auch, abwechslungsreiche Tätigkeiten zu haben und sich dabei selbst herauszufordern. Stress-Situationen sollte man als Herausforderung sehen. Ein wichtiger Faktor ist auch, weniger Alkohol zu trinken. Denn Alkohol und Drogen führen dazu, dass Menschen weniger stressresilient sind.

Dann gibt es noch zusätzliche Faktoren, aber nicht den einen, von denen wir wissen, dass sie mit Resilienz assoziiert sind. Dazu gehört, für ein gutes, stabiles soziales Umfeld zu sorgen. Menschen die mehr soziale Kontakte haben, sind resilienter in Krisensituationen. Kognitiv flexible Menschen, die also auch das Positive im Negativen sehen können, ebenso. Wer vorher schon Krisen und Belastungssituationen überwunden hat, und somit gelernt hat, damit umzugehen, ist ebenfalls resilienter. Wir glauben, dass jede Resilienz in jedem einzelnen Menschen anders ist, und sie sich aus verschiedenen Faktoren und Netzen zusammensetzt. Die gilt es aufrechtzuerhalten. Dazu möchte ich die Menschen auch ermuntern.

Dazu braucht man nicht zwangsläufig einen Trainer. Man kann sich viel anlesen, es gibt auch gute Bücher.

Es ist auch vielfach zu lesen, eine gute frühe Kindheit sorge für mehr Resilienz. Ist das so? Und was ist dann mit den Menschen, deren frühe Kindheit alles andere als optimal verlaufen ist?

Wir gehen nicht davon aus, dass die Resilienz zu einem großen Teil angeboren ist. Sondern vermutlich spielen genetische, also Anlagefaktoren, eine deutlich untergeordnete Rolle. Lernfaktoren und Erfahrungen in der Kindheit, der Jugendzeit und dem jungen Erwachsenenalter sind sehr wichtig für die spätere Resilienz. Interessant ist, dass eine schwierige Kindheit bis hin zu Traumatisierungen und Gewalterfahrungen einerseits dazu führen können, dass Menschen weniger resilient sind. Andererseits kann eine belastende Kindheit auch Kräfte wecken. Wir sehen gleichzeitig, dass viele dieser Menschen sehr resilient sind. Sie haben in dieser Zeit vielleicht sogar gelernt, mit Krisen und Stress-Situationen umzugehen. Sie haben also ihren Weg gefunden.

Wie ist es insgesamt mit Kindern und Resilienz – gelten für sie dieselben Annahmen und Regeln wie für Erwachsene?

Grundsätzlich schon. Aber Kinder haben oftmals weniger als Erwachsene die Möglichkeit, auf bestimmte kognitive Fähigkeiten zurückzugreifen. Sie können teils auch weniger gut Zukunftsperspektiven und langfristige Ziele für sich in Anspruch nehmen. Aber insgesamt sind die Faktoren ähnlich.

Wenn jetzt jemand doch mit professioneller Hilfe seine Resilienz stärken möchte, wird er auf der Suche nach einem Trainer oder Therapeuten quasi zugeschüttet mit Annoncen im Netz. Wie findet man da seriöse Angebote?

Wir selbst schauen, dass die Angebote, die wir am Leibniz-Institut für Resilienzforschung anbieten, wissenschaftlich basiert sind. Das ist für jemand Außenstehenden bei den vielen Angeboten im Netz nicht ganz einfach. Ich würde raten, sich die Qualifizierung des Trainers anzuschauen. Wenn dieser beispielsweise Psychologie studiert hat und eine entsprechende Qualifikation aufweist, ist das sicher ein Hinweis darauf, dass ein Training fundierter angeboten wird. Das muss aber auch nicht immer zutreffen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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56 Kommentare

  1. 55.

    Kann es sein, dass Ihre Kommentare unter verschiedenen Pseudonymen Ihre eigene Übergriffigkeit kaschieren sollen? Anstatt sachlich zu argumentieren, werden Sie immer persönlich. Wenn Sie etwas besser informiert wären, wüssten Sie auch von wissenschaftlicher Kritik zur Resilienz als psychologischen Terminus.

  2. 53.

    Ihre Aufmerksamkeit ist bei mir angekommen und natürlich freut mich, dass Sie den Kommentaren ein gutes Gefühl entnehmen können. Fremdsein und Vereinzelung verfliegen immer nach dem ersten Wort, geschrieben oder gesprochen, also weiß ich Ihre Herzlichkeit zu schätzen und möchte Ihre guten Wünsche mir gegenüber gerne erwidern. Auch alles Gute für Sie und Ihre Lieben und wenig Stress zwischen den Jahren. Weihnachten macht für mich Sinn :)

  3. 49.

    In Nebensätzen werden hier unter wissenschaftlichem Label womöglich Kausalitäten verdreht: "Alkohol und Drogen führen zu weniger Resilienz." behauptet der Herr Psychiater. Und "Weniger soziale Kontakte führen zu weniger Resilienz." sagt er. - Mein unstudierter Verstand sieht das eher umgekehrt: Wenn man mit Umständen nicht gut klar kommt (wenig situative Resilienz hat), greift man eher zu Betäubungsmitteln. Und wenn man mit Personen oft nicht gut klarkommt, verringert man Kontakte. Sind also Ursache und Wirkung vielleicht oft genau anders herum als hier dargestellt? Da sähe ich dann gewisse Risiken für den Heilungserfolg. Aber das ist sicherlich meine negative Grundeinstellung. - Vielleicht kann die Frau Journalistin künftig dennoch etwas mehr nachhaken, statt einen Arzt darin zu bestärken, das unglückliche Drittel der Menschen außerhalb seines Fokus zu lassen?

  4. 48.

    Resilienz ist die Widerstandskraft, die ein Mensch durch die Sozialisation in den ersten Gruppen nach der Geburt erwirbt.
    Lektüre dazu gibt es unendlich, aber immer geht es um die positive Kraft, die man in sich trägt. Es ist nämlich nicht erstaunlich, sondern selbstverständlich, dass ein Mensch mit hoher Resilienz keine abwertenden Kommentare schreibt. Das muss er nicht, er ist positiv eingestellt, lernt aus allem etwas und ist immer offen für Neues.

    Wenn ein Mensch alles abwertet, infrage stellt, trotzdem er wenig Einblick hat, liegt das wahrscheinlich an seinem Selbstwert, der tatsächlich eng mit der Resilienz verknüpft ist.

    Genau darum geht es im Beitrag.

  5. 47.

    Und ich wünsche Ihnen viel Liebe und Resilienz, damit Sie die Feiertage gut überstehen können. Ich höre aus Ihrem Kommentar viel Frustation und das zum Fest der Liebe. Traurig, wenn Menschen allein sind. Vielleicht war das ja Ihrerseits ein Hilferuf? Man weiß es ja nie. Wenn es so ist und Sie von sich sprechen, dann bitte die Telefonseelsorge anrufen oder gute Freunde, nur nicht allein bleiben mit der Traurigkeit.

  6. 46.

    Stimme zu. Würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass ohne tiefe Verletzlichkeit gar keine große Kunst möglich ist. Beispiele gibt es genug.

  7. 45.

    "Ich finde es etwas merkwürdig das man bestimmt Sachen aushalten soll und sich positive Ereignisse / Sicht der Dinge schaffen soll. Die klügere Alternative wäre doch wohl nicht das aushalten sondern das abschalten."

    Es gibt aber bestimmte Situation im Leben, die kann man aber nicht "abschalten", sondern durch diese muss man durch, so oder so. Resilienz hilft einfach dabei, auch schwere Situationen vielleicht besser/schneller zu überstehen und mit diesen umzugehen. Schwere Schicksalsschläge z.B. schwere Krankheiten, Unfälle, Verluste irgendwann verkraften zu können. Dabei hilft entsprechende Resilienz ungemein. Manche Menschen verzweifeln an einer Situation, während andere versuchen, etwas ähnliches irgendwie zu verarbeiten und vorwärts zu gehen/sehen, egal wie stark sich ihr Leben dadurch verändert hat.

  8. 44.

    Schauen Sie einfach genau hin und nicht darüber hinweg. Machen Sie Ihre Augen auf und vor allem, Ihr Herz. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Es gibt derart viele Hilferufe und keiner hört richtig hin. Es gibt immer Überlebenskämpfe, überall. Wir müssen sie enttabuisieren, sie sehen wollen und helfen. Wer Hilfe bekommt, überlebt.
    Meine persönliche Erfahrung ist, dass man Kinder in Not trotz Hilferufen gern übersehen will. Ist bequemer. Schließlich sieht alles nach außen so harmonisch aus oder was geht einen denn das Leid der anderen an.



  9. 43.

    Ich auch! Auch in der Malerei und am Himmel, diese schöne, melancholische Grau! Nicht zu verwechseln mit den omnipräsenten und vom geschmacklosen Mainstream geförderten Sofalandschaften und Möbel in anthrazit-grau!

  10. 41.

    Und genau das ist Resilienz. All das steht in Kommentar Nr. 10.

    Wissen Sie auch, dass beispielsweise Natascha Campusch derart viel Resilienz entwickelt hat, um zu überleben und das genau das von der Gesellschaft abgelehnt wurde, weil sie nicht dem Opferprofil entsprach? Weil viele sie derart anfeindeten, weil sie eben resilient war? Das es gerade die Gesellschaft war, die nichts mit der Überlebenden zu tun haben wollte?
    Ihr Kommentar erinnert mich daran.
    Ich finde den Beitrag unheimlich wichtig, kann ich doch erkennen, wie wenige Menschen tatsächlich die Möglichkeit haben, ihn inhaltlich zu verstehen.



  11. 40.

    Sie können sich nicht vorstellen, wie dankbar ich Ihnen für diesen Kommentar bin und ich wusste auch sofort, an wen er gerichtet war. Ich hatte selber überlegt, ob ich dazu etwas schreibe, aber das haben Sie ja jetzt schon getan. Danke dafür, übrigens auch für Ihren tollen Kommentar gestern unter dem Artikel mit der Einsamkeit, der war auch super. Frohe Weihnachten und alles Gute wünsche ich Ihnen von Herzen.

  12. 39.

    Absatz "Woran erkennt man einen resilienten Menschen noch?"
    Er spricht von mir! ;-))
    Eine allgemeine Frage bleibt mir aber offen: Wie definiert man "eine schwierige Kindheit"?
    Ich sehe in meinem Umfeld, dass gut behütete Helikopterkinder, die allgemein nicht zur "schwierigen Kindheit" zählen, als Jugendliche und Erwachsenen später von allen plötzlich auftretenden Querschlägen und Unannehmlichkeiten öfter aus der Bahn geworfen werden als Kinder, die schon früh in der Krippe und Kindergarten waren.

  13. 38.

    Das ist Falsch! Und nur Ihrer beschränkten Weltsicht gemäß so. Platte Aussage: ,,Mitleid behindert nur''. Solche Sprüche von ,,starken Männer, die nie weinen'' usw. gibts aktuell bei den ganz Rechten Kameraden. Und gabs auch bei unseren Großeltern (Nazis). Gibts auch den schönen Song ,,Boys don't cry!''!

  14. 37.

    Nein, bulgarische Bakterienkulturen! Nur damit wirst Du hundert! Aber warum willst Du hundert werden? Es ist doch No Future!?

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