Berliner Gericht gab Go - Verfassungsgericht konnte Auslieferung von Maja T. nach Ungarn nicht stoppen

Mo 01.07.24 | 11:49 Uhr | Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion
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Symbolbild: Das Kammergericht in Berlin. (Quelle: dpa/Wolfgang Kumm)
Bild: dpa/Wolfgang Kumm

Ein mutmaßliches Mitglied einer linksextremistischen Gruppe ist nach Ungarn ausgeliefert worden. Das Bundesverfassungsgericht wollte die Auslieferung stoppen, doch eine Eilentscheidung kam zu spät. Der Fall wirft Fragen auf. Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Maja T. soll 2023 mit anderen Autonomen an Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest beteiligt gewesen sein. Die ungarischen Behörden haben deshalb die Überstellung beantragt. Im vergangenen Dezember wurde Maja T. in Berlin festgenommen und saß seitdem in Dresden in Haft.

Die Bedenken des Anwalts von Maja T. gegen eine Auslieferung an Ungarn waren groß. Antifaschistinnen und Antifaschisten wie Maja T. könnten im Ungarn von Viktor Orban kein faires Verfahren erwarten, so die Einschätzung von Rechtsanwalt Sven Richwin. Außerdem hätten nonbinäre Personen wie Maja T. Haftbedingungen zu erwarten, unter denen ihre Menschenrechte nicht gewährleistet seien. Richwin hatte deshalb gegen die Auslieferung von T. nach Ungarn geklagt.

Doch Donnerstagnachmittag ging alles plötzlich ganz schnell: Das Kammergericht Berlin entschied, dass es zulässig sei, T. nach Ungarn auszuliefern. Das sächsische Landeskriminalamt ist dann offenbar sehr schnell in Aktion getreten. Gegen 3.30 Uhr soll Maja T. aus der Zelle geholt worden sein. Um 6.50 Uhr wurde T. zunächst den österreichischen Behörden übergeben, die T. weiter nach Ungarn bringen sollten.

Währenddessen versuchte T.s Anwalt Sven Richwin, die Auslieferung im letzten Moment zu stoppen. Um 7:38 Uhr stellte er einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Gegen 10:50 Uhr gab es dort eine Eilentscheidung. Das Gericht wies die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das sächsische Landeskriminalamt an, die Auslieferung vorerst nicht durchzuführen.

Offenbar befand sich Maja T. aber zu diesem Zeitpunkt bereits in Ungarn. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wurde T. bereits um 10 Uhr den ungarischen Behörden übergeben. Die Karlsruher Entscheidung erging also zu spät, nämlich erst nachdem Maja T. schon in Ungarn angekommen war.

Warum wartete die Staatsanwaltschaft nicht?

Die Frage ist allerdings: Warum haben die Justizbehörden in Berlin die Eilentscheidung aus Karlsruhe nicht abgewartet? Denn nach Informationen der ARD-Rechtsredaktion hatte Karlsruhe um 8.30 Uhr telefonisch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin informiert, dass in Karlsruhe ein Eilantrag des Anwalts von Maja T. vorliegt und geprüft wird.

Laut "Legal Tribune Online" sagt der Anwalt von Maja T. außerdem, er hätte dem LKA Sachsen schon in der Nacht mitgeteilt, dass er beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag stellen werde. Hätte Berlin die Auslieferung deshalb nicht eigentlich stoppen müssen?

Generalstaatsanwaltschaft Berlin verteidigt sich

Die Generalstaatsanwaltschaft stellt sich auf den Standpunkt, dass Maja T. nicht mehr auf deutschem Staatsgebiet, sondern schon in Österreich gewesen war, als Berlin von dem Eilverfahren in Kenntnis gesetzt wurde. Sie hätte deshalb keine rechtliche Möglichkeit gehabt, die weitere Durchführung der Auslieferung zu stoppen. Der nächtliche Anruf des LKA Sachsen bei der Generalstaatsanwaltschaft hätte keine Ankündigung enthalten, dass es einen Eilantrag in Karlsruhe geben werde. Das LKA hätte lediglich mitgeteilt, dass der Anwalt von Maja T. mit jemandem aus der Justiz sprechen wollte, um sich zu beschweren.

In einer Pressemitteilung hatte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin zudem geschrieben: Die Auslieferung von Maja T. entspreche ganz den Abläufen bei einem Europäischen Haftbefehl. Ungarn habe ausdrücklich zugesichert, dass Maja T. nach einem Strafverfahren in Ungarn nach Deutschland zurückgebracht werden soll, um hier eine Strafe abzusitzen. Außerdem hätten die ungarischen Behörden zugesichert, dass Maja T. während des Strafverfahrens menschenrechtskonforme Haftbedingungen bekomme.

Muss Maja T. jetzt zurückgeholt werden?

Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts enthält zwei Anordnungen: Zum einen wurde die Generalstaatsanwaltschaft Berlin angewiesen, die Übergabe von Maja T. an die ungarischen Behörden zu verhindern. Das war am Freitag um 11 Uhr zeitlich nicht mehr möglich.

Außerdem stand noch in der Anordnung, dass die Berliner Behörde eine "Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken" habe. Die Frage ist nun, ob die Berliner Generalstaatsanwaltschaft sich jetzt darum kümmern muss, dass Maja T. nach Deutschland zurückgebracht wird.

Berlin meint, dass das der Anordnung aus Karlsruhe aber nicht zu entnehmen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft versteht die Eilentscheidung anscheinend so, dass sie nicht verpflichtet ist, eine Rückführung von Maja T. aus Ungarn zu erwirken. Die Durchlieferung durch Österreich sei nicht von den deutschen Behörden, sondern von Ungarn in Auftrag gegeben worden. Mit der Übergabe an Österreich sei die Auslieferung aus deutscher Sicht vollzogen gewesen. Die Generalstaatsanwaltschaft hätte dann nichts mehr machen können. Die Eilentscheidung aus Karlsruhe habe sich nun erledigt, weil Maja T. schon in Ungarn sei.

Berlin hatte am Freitag aber anscheinend noch beim Bundesverfassungsgericht nachgefragt, ob sich die Eilanordnung erledigt habe. Karlsruhe teilte daraufhin der Generalstaatsanwaltschaft mit, dass ein richterlicher Hinweis auf die Anfrage aus Berlin "nicht erforderlich erscheine".

Ob sich der Fall für Karlsruhe damit erledigt hat, ist allerdings fraglich. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht die rasche Auslieferung von Maja T. offenbar für rechtswidrig erachtet. Das könnte bei einer Verfassungsbeschwerde von Maja T. eine Rolle spielen. Zum anderen stellt sich weiterhin die Frage, ob die Generalstaatsanwaltschaft Berlin oder andere deutsche Behörden verpflichtet sind, sich um eine Rückführung von Maja T. zu bemühen. In der Eilentscheidung vom Freitag steht eindeutig: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wird angewiesen, die Rückführung von Maja T. in die Bundesrepublik Deutschland "durch geeignete Maßnahmen" zu erwirken.

Quelle: tagesschau.de

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Beitrag von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

98 Kommentare

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  1. 98.

    Ein großer Junge wie sie bekommt jetzt das Weinen? Entschuldigen Sie bitte, aber Ihre Kommentare lassen einen Schluss zu. Sie wollenanderen Menschen die Welt erklären, aber bei einer Starken Widerrede von Horst bemühen sie gleich Paragrafen? Ich schüttelte nur den Kopf. Sie scheinen nicht in der Realität zu leben.

  2. 97.

    Natürlich muss man das auch von bestimmten, neonazistischen Gewaltverbrechen verlangen. In den Fällen, die mir bekannt sind, wurde auch ordentlich verdonnert und der Stecker gezogen. Allein schon das Verwenden oder Zeigen von verfassungswidrigen Kennzeichen oder Symbolen kostet richtig Geld. Der Staat kennt hier kein Pardon. Im Gegensatz zu Autobahn-Blockierern, die eine ganze Stadt stilllegen, und einen immensen Schaden bei vielen Menschen verursachen, für den sie nicht gerade stehen müssen, oder wenn, nur symbol- fragmentarisch.

  3. 96.

    Im Artikel ak-analyse und kritik (mein Kommentar 87) steht folgendes:
    Zitat: "...schließlich liegt der Fall inzwischen bei der Generalbundesanwaltschaft (GBA), die einen klaren Verfolgungswillen gezeigt hat. Die GBA räumt allerdings dem Verfahren in Ungarn Priorität gegenüber einem Prozess vor hiesigem Gericht ein..."

    Also hat die Generalbundesanwaltschaft--sollte der Bericht stimmen--keine Probleme mit einem Verfahren in Ungarn.

  4. 95.

    Ja, wenn Recht ignoriert wird um klare Kante zu zeigen, wenn Klartext eigentlich nur Unkenntnis oder Missachtung verfassungsrechtlicher Staatsprinzipien ausdrückt, mit einschlägigen diffamierenden Begriffen um sich wirft ... ja, nur dann sichern wir unsere Demokratie. Das genau sind Ansätze totalitären Denkens. Auch, dieses aus Kalkül oder Dummheit anderen zu unterstellen.

  5. 94.

    Nun, dass Verbüßen einer Strafe für den Fall einer Verurteilung (und nicht einer Vorverurteilung, wie Sie es tun), wird vsl. in D stattfinden. Steht im - vielleicht doch noch einmal zu lesenden - Artikel. Und ich frage mich bei Ihrer Wortwahl und der Ignoranz der in eben diesem Artikel beschriebenen Abläufe schon, inwieweit Sie sich gedanklich auf dem Boden der Verfassung bewegen. Und ob Meinungsfreiheit eigentlich Ihrerseits bedeutet, keinen Widerspruch zu bekommen. Vielleicht fragen Sie sich das auch mal?

  6. 93.

    Wie sind Sie so zynisch und Menschenverachtend geworden? Sie wünschen einer jungen Frau, die einen Fehler beging, daß sie in einem autokratischen Staat mit zweifelhafter Justiz, für 5 Jahre ins Gefängnis geschickt wird? Wie fühlen Sie sich jetzt? Besser? Würden Sie dies auch z.V. von bestimmten, neonazistischen Gewaltverbrecher verlangen? Das ist höchst unmenschlich und abwertend.

  7. 92.

    Da wäre ich mir nicht so sicher. Man kann auch zwischen den Zeilen seine Botschaften ventilieren. Das ist wie mit dem Gendern. Da zeigt man auch, wo man politisch hingehört und steht !

  8. 91.

    Endlich mal jemand, der noch Klartext beherrscht und sich entsprechend artikuliert! Das ist auch selten geworden. Die linken Sympathie-Kommentare sind teilweise wirklich schon mehr als fragwürdig, besonders dann, wenn man der naiven Überzeugung auferlegen ist, auf der einzig richtigen Seite zu stehen. Dann bleibt auch die Demokratie auf der Strecke, und wandelt sich ein ein totalitäres Gehabe und Gebaren mit religiösen Pseudo-Charakter.

  9. 88.

    Horst:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 01.07.2024 um 19:43
    Mit Sympatisanten des linksradikalen Terror bleibt auch jegliche Diskussion unnütz."

    Da Sie offenbar keine sachlichen Argumente haben, versuchen Sie jetzt, mich zu beleidigen und zu diffamieren! Damit begehen Sie eine Straftat nach § 185 StGB (Beleidigung) bzw. § 186 StGB (Üble Nachrede) bzw. § 187 StGB (Verleumdung)! Und auch Ihnen als Straftäter gestehe ich - wie allen anderen Straftätern - den Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren zu, auch dann, wenn Sie unseren Rechtsstaat verachten!

    Ich habe jedenfalls nirgens Sympathien mit Terror geäußert - auch keine Sympathien mit rechts- oder linksradikalem Terror!

  10. 87.

    Wie funktioniert der Rechtsstaat in der EU?

    Auf der Internetseite "ak-analyse und kritik" wird die Auslieferung ebenfalls thematisiert.
    Dort macht man auch auf den Fall Ilaria S. aufmerksam (Antifaschist*in Maja T. trotz Untersagung durch Bundesverfassungsgericht nach Ungarn ausgeliefert)

    Ilaria Solis wurde laut Wikipedia --Zitat:...."Anfang 2023 wegen eines mutmaßlichen Angriffs auf drei ungarische Neonazis in Budapest verhaftet.Bei der Europawahl 2024 zog sie als Kandidatin des links-grünen Wahlbündnisses Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) ins europäische Parlament ein, wodurch ihr die Freilassung und parlamentarische Immunität zuteil wurde"

    Wenn mutmaßlich Straftaten gegen Neonazis verübt werden, wird man schnell durch links-grün-ins EU-Parlament "befördert" um einem Strafverfahren oder einer Strafe zu entgehen?

    Ist das der bessere Rechtsstaat?
    Bitte zwickt mich jemand, dass ich aus meinen Rechtsstaatsträumen erwache und alles Fake ist!

  11. 86.

    Wie sind Sie denn drauf? Ist doch gar nicht klar dass da von Ihr Straftaten begangen wurden! Es gilt die Unschuldsvermutung!

  12. 85.

    Die Worte "die Berliner Behörden" kommen in meinem Kommentar von 15:11 überhaupt nicht vor, die haben Sie in Ihrem Kommentar von 15:39 völlig frei erfunden. Sie outen sich allerdings in der Weise, daß Sie sich der menschenverachtenden Rhetorik von afd, heimat und bsw mit bedienen. Nur zu - noch herrschen Demokratie und feie Meinungsäußerung in Deutschland (zum Ärger derjenigen, die vom 4.Reich träumen).

  13. 84.

    Mit Sympatisanten des linksradikalen Terror bleibt auch jegliche Diskussion unnütz.
    Mit Ihren dümmlichen Belehrungen und Rechthabereien sind Sie es doch, der die Demokratie und Meinungsfreiheit ad absurdum führt.
    Ich hoffe, dass Maja T. für Ihre nachzuweisenden Taten büßt und für Jahre im ungarischen Strafvollzug verbleibt. Und nicht, wie die linksradikale Lina, die deutsche Kuscheljustiz genießt.

  14. 83.

    Sie sind also für die Abschaffung des Rechtsstaates !!!!!!!!!!

    Na dann ist damit wohl jede Diskussion mit Ihnen beendet!

  15. 82.

    Das kann Ihnen nur das BVerfG beantworten. Und die schriftlichen Gründe liegen offenbar noch nicht vor bzw. sind noch nicht veröffentlicht. Aber hier im Forum wird Ihnen das jetzt Niemand beantworten können.

  16. 81.

    Ausländerfreund2015:
    "Wenn Maja T. und Konsorten kriminelle und menschenverachtende Handlungen in Ungarn tätigen, ist es nur logisch, dass das mutmaßliches Mitglied einer linksextremistischen Gruppe in Ungarn verurteilt wird und nicht der hiesigen Kuscheljustiz anheim fällt."

    Nein, das ist nicht zwingend logisch! Das ist nur dann logisch, wenn in Ungarn ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist. Das BVerfG hat da aber zumindest so viele Zweifel, dass es das erstmal prüfen will.

    Die Verwendung des Wortes "Kuscheljustiz" zeigt eine Verachtung unseres Rechtsstaates!

  17. 80.

    In diesem Fall ja. Ich kann den Satz „ein polizeibekannter Straftäter nicht mehr hören.

  18. 79.

    Komisch, bei "linken" geht es in der deutschen Justiz immer ganz schnell. Liegt das an der Geschichte?

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