Berliner Gericht gab Go - Verfassungsgericht konnte Auslieferung von Maja T. nach Ungarn nicht stoppen
Ein mutmaßliches Mitglied einer linksextremistischen Gruppe ist nach Ungarn ausgeliefert worden. Das Bundesverfassungsgericht wollte die Auslieferung stoppen, doch eine Eilentscheidung kam zu spät. Der Fall wirft Fragen auf. Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion
Maja T. soll 2023 mit anderen Autonomen an Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest beteiligt gewesen sein. Die ungarischen Behörden haben deshalb die Überstellung beantragt. Im vergangenen Dezember wurde Maja T. in Berlin festgenommen und saß seitdem in Dresden in Haft.
Die Bedenken des Anwalts von Maja T. gegen eine Auslieferung an Ungarn waren groß. Antifaschistinnen und Antifaschisten wie Maja T. könnten im Ungarn von Viktor Orban kein faires Verfahren erwarten, so die Einschätzung von Rechtsanwalt Sven Richwin. Außerdem hätten nonbinäre Personen wie Maja T. Haftbedingungen zu erwarten, unter denen ihre Menschenrechte nicht gewährleistet seien. Richwin hatte deshalb gegen die Auslieferung von T. nach Ungarn geklagt.
Doch Donnerstagnachmittag ging alles plötzlich ganz schnell: Das Kammergericht Berlin entschied, dass es zulässig sei, T. nach Ungarn auszuliefern. Das sächsische Landeskriminalamt ist dann offenbar sehr schnell in Aktion getreten. Gegen 3.30 Uhr soll Maja T. aus der Zelle geholt worden sein. Um 6.50 Uhr wurde T. zunächst den österreichischen Behörden übergeben, die T. weiter nach Ungarn bringen sollten.
Währenddessen versuchte T.s Anwalt Sven Richwin, die Auslieferung im letzten Moment zu stoppen. Um 7:38 Uhr stellte er einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Gegen 10:50 Uhr gab es dort eine Eilentscheidung. Das Gericht wies die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das sächsische Landeskriminalamt an, die Auslieferung vorerst nicht durchzuführen.
Offenbar befand sich Maja T. aber zu diesem Zeitpunkt bereits in Ungarn. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wurde T. bereits um 10 Uhr den ungarischen Behörden übergeben. Die Karlsruher Entscheidung erging also zu spät, nämlich erst nachdem Maja T. schon in Ungarn angekommen war.
Warum wartete die Staatsanwaltschaft nicht?
Die Frage ist allerdings: Warum haben die Justizbehörden in Berlin die Eilentscheidung aus Karlsruhe nicht abgewartet? Denn nach Informationen der ARD-Rechtsredaktion hatte Karlsruhe um 8.30 Uhr telefonisch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin informiert, dass in Karlsruhe ein Eilantrag des Anwalts von Maja T. vorliegt und geprüft wird.
Laut "Legal Tribune Online" sagt der Anwalt von Maja T. außerdem, er hätte dem LKA Sachsen schon in der Nacht mitgeteilt, dass er beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag stellen werde. Hätte Berlin die Auslieferung deshalb nicht eigentlich stoppen müssen?
Generalstaatsanwaltschaft Berlin verteidigt sich
Die Generalstaatsanwaltschaft stellt sich auf den Standpunkt, dass Maja T. nicht mehr auf deutschem Staatsgebiet, sondern schon in Österreich gewesen war, als Berlin von dem Eilverfahren in Kenntnis gesetzt wurde. Sie hätte deshalb keine rechtliche Möglichkeit gehabt, die weitere Durchführung der Auslieferung zu stoppen. Der nächtliche Anruf des LKA Sachsen bei der Generalstaatsanwaltschaft hätte keine Ankündigung enthalten, dass es einen Eilantrag in Karlsruhe geben werde. Das LKA hätte lediglich mitgeteilt, dass der Anwalt von Maja T. mit jemandem aus der Justiz sprechen wollte, um sich zu beschweren.
In einer Pressemitteilung hatte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin zudem geschrieben: Die Auslieferung von Maja T. entspreche ganz den Abläufen bei einem Europäischen Haftbefehl. Ungarn habe ausdrücklich zugesichert, dass Maja T. nach einem Strafverfahren in Ungarn nach Deutschland zurückgebracht werden soll, um hier eine Strafe abzusitzen. Außerdem hätten die ungarischen Behörden zugesichert, dass Maja T. während des Strafverfahrens menschenrechtskonforme Haftbedingungen bekomme.
Muss Maja T. jetzt zurückgeholt werden?
Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts enthält zwei Anordnungen: Zum einen wurde die Generalstaatsanwaltschaft Berlin angewiesen, die Übergabe von Maja T. an die ungarischen Behörden zu verhindern. Das war am Freitag um 11 Uhr zeitlich nicht mehr möglich.
Außerdem stand noch in der Anordnung, dass die Berliner Behörde eine "Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken" habe. Die Frage ist nun, ob die Berliner Generalstaatsanwaltschaft sich jetzt darum kümmern muss, dass Maja T. nach Deutschland zurückgebracht wird.
Berlin meint, dass das der Anordnung aus Karlsruhe aber nicht zu entnehmen sei. Die Generalstaatsanwaltschaft versteht die Eilentscheidung anscheinend so, dass sie nicht verpflichtet ist, eine Rückführung von Maja T. aus Ungarn zu erwirken. Die Durchlieferung durch Österreich sei nicht von den deutschen Behörden, sondern von Ungarn in Auftrag gegeben worden. Mit der Übergabe an Österreich sei die Auslieferung aus deutscher Sicht vollzogen gewesen. Die Generalstaatsanwaltschaft hätte dann nichts mehr machen können. Die Eilentscheidung aus Karlsruhe habe sich nun erledigt, weil Maja T. schon in Ungarn sei.
Berlin hatte am Freitag aber anscheinend noch beim Bundesverfassungsgericht nachgefragt, ob sich die Eilanordnung erledigt habe. Karlsruhe teilte daraufhin der Generalstaatsanwaltschaft mit, dass ein richterlicher Hinweis auf die Anfrage aus Berlin "nicht erforderlich erscheine".
Ob sich der Fall für Karlsruhe damit erledigt hat, ist allerdings fraglich. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht die rasche Auslieferung von Maja T. offenbar für rechtswidrig erachtet. Das könnte bei einer Verfassungsbeschwerde von Maja T. eine Rolle spielen. Zum anderen stellt sich weiterhin die Frage, ob die Generalstaatsanwaltschaft Berlin oder andere deutsche Behörden verpflichtet sind, sich um eine Rückführung von Maja T. zu bemühen. In der Eilentscheidung vom Freitag steht eindeutig: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wird angewiesen, die Rückführung von Maja T. in die Bundesrepublik Deutschland "durch geeignete Maßnahmen" zu erwirken.
Quelle: tagesschau.de
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