Untersuchung vorgestellt - Gibt es durch die stationären Grenzkontrollen weniger illegale Immigration?

Mi 17.07.24 | 13:11 Uhr | Von Nina Heinrich
Bundespolizei an der Stadtbrücke in Frankfurt (Oder)
Audio: Antenne Brandenburg | 16.07.2024 | Sabine Tzitschke | Bild: Tony Schönberg/rbb

Seit 2023 gibt es an der deutsch-polnischen Grenze wieder stationäre Kontrollen. Die Grünen im Brandenburger Landtag haben Migrationsforscher beauftragt, die Auswirkungen der Kontrollen zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Viadrina vorgestellt. Von Nina Heinrich

Das Schengener Abkommen steht für Reisefreiheit und die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes ohne Grenzkontrollen. Das Abkommen besagt allerdings auch, dass temporäre Grenzkontrollen aufgrund besonderer Umstände eingeführt werden dürfen. Das war zum Beispiel während der Corona-Pandemie der Fall.

An der brandenburgisch-polnischen Grenze sind auch seit Oktober 2023 an drei Grenzübergängen stationäre Kontrollen eingerichtet: an der A15 bei Forst (Spree-Neiße), an der A12 bei Frankfurt (Oder) und auf der Frankfurter Stadtbrücke nach Slubice. Als Begründung gilt hier die Überforderung von Kommunen mit der Aufnahme von Schutzsuchenden.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag hat im Frühjahr dieses Jahres beim "Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung" (Dezim e.V.) eine sogenannte Expertise zur Wirksamkeit der Grenzkontrollen für das tatsächliche Migrations-Aufkommen in Auftrag gegeben. Diese wurde am Dienstag an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Institut für Europa-Studien vorgestellt und diskutiert. [Expertise als PDF: gruene-fraktion-brandenburg.de]

Mehr Aufdeckungen bei mehr Kontrollen?

Laut der Expertise mit Bezug auf Daten des Bundesinnenministeriums (BMI) wurden zwischen Oktober 2023 und Februar 2024 bei den Binnengrenzkonrollen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz 23.000 unerlaubte Einreisen festgestellt. Das sind demnach mehr als dreimal so viele wie im September des Vorjahres, also noch vor Einführung der Kontrollen, registriert wurden. "Wo mehr kontrolliert wird, lassen sich natürlich auch vermehrt irreguläre Grenzübergänge feststellen", erklärte Sozialwissenschaftler Marcus Engler, Mitverfasser der Studie, bei der Vorstellung.

Laut BMI sank nach Oktober 2023 die Zahl der unerlaubten Einreisen ab. Engler zufolge lässt sich dies dadurch erklären, dass mit Start der Grenzkontrollen auf alternative Routen ausgewichen wurde. Damit widerspricht er dem vom BMI kommunizierten Rückgang illegaler Migration durch die Maßnahmen. Auch den Rückgang von Asylantrags-Zahlen zu Jahresbeginn 2024 sieht das BMI als Indiz für die Wirksamkeit. Laut Engler entspricht das aber auch saisonalen Schwankungen, die bereits in Vorjahren festgestellt worden seien.

Stationäre Kontrollen an drei von 17 Übergängen

Insgesamt gibt es neben den drei stationär kontrollierten Übergängen 17 weitere entlang deutsch-polnischen Grenze. Hier sehen die Verfasser:innen der Kurz-Expertise eine Schwäche der Wirksamkeit der Kontrollmaßnahmen, da die Bundespolizei nur einen Bruchteil der Einreisenden tatsächlich überprüfen könne.

Was einen irregulären Grenzübergang darstellt, ist nicht leicht definierbar. Das Völkerrecht besagt, dass Schutzbedürftigen die Einreise nicht verwehrt werden darf, wenn beim Grenzübertritt ein Antrag auf Asyl gestellt wird.

Die Bundespolizei teilte dem politisch links zu verortenden Nachrichtenportal "Neuen Deutschland" auf eine Anfrage im Dezember 2023 hin mit, dass beispielsweise im Oktober vergangenen Jahres an der brandenburgisch-polnischen Grenze 245 Menschen zurückgewiesen wurden [ne-aktuell.de]. Solche Fälle sogenannter Pushbacks, in denen laut Aussage der Beamten der Bundespolizei kein Asylantrag gestellt wurde, werfen für Engler Fragen nach der Rechtmäßigkeit der Vorgänge auf. Die Betroffenen hätten in der Regel nicht die Mittel, ihr Recht einzuklagen, betont er. Hinzu käme, dass die Schutzsuchenden in Polen häufig nicht der polnischen Polizei übergeben werden würden, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht, so der Experte weiter.

Emanuela Falenczyk, die Integrationsbeauftragte der Stadt Frankfurt (Oder), ist nicht verwundert, dass es an dieser Stelle haken könnte. "Die können bei der Polizei in Polen vermutlich niemanden erreichen, was sollen sie dann machen?", fragt Falenczyk. Bei der Polizei in Polen herrsche Personalmangel, nach ihren Angaben wurde viel Personal an die polnisch-belarussische Grenze verlegt.

Das Frankfurter Integrationsnetzwerk "Think" der Frankfurter Stadtverwaltung steht mit zivilrechtlichen Organisationen im benachbarten Slubice in Kontakt, die versuchen, die Situation von Geflüchteten in Polen zu verbessern. Dort wären die Strukturen zur Unterbringung und Verpflegung der Menschen durch staatliche Stellen häufig nicht gegeben, sagt Falenczyk. Daher unterstütze sie als Koordinatorin des Integrationsnetzwerks die Schutzsuchenden dabei, es sicher nach Deutschland zu schaffen: "Wir raten ihnen, dass sie es statt über die Stadtbrücke von Slubice aus lieber am Grenzübergang in Küstrin versuchen sollen. Da wird nur sehr selten kontrolliert."

Diskussion: Kontrollen bekämpfen keine Fluchtursachen

Die Laufzeit der drei Grenzkontrollpunkte soll nach aktuellem Stand der Verlängerung bis vorerst 15. Dezember 2024 bestehen. Grundsätzlich hält die CDU ein Festhalten an Binnengrenzkontrollen für notwendig, hieß es am Dienstag von Fraktionschef Jan Redmann. "Es ist schon jetzt absehbar, dass wir die Grenzkontrollen an der Grenze zu Polen so lange brauchen, bis die EU ihre Asylreform auch wirksam umgesetzt hat."

Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke, der die an der Viadrina vorgestellte Expertise mit in Auftrag gegeben hatte, forderte dagegen am Dienstag, die Kontrollen schnellstmöglich zu beenden. Er argumentierte, die aktuellen Grenzkontrollen seien nicht mit EU-Recht vereinbar, wirtschaftsfeindlich und eine Belastung für die Region. Auch die grüne Landtagsabgeordnete Sahra Damus aus Frankfurt (Oder) bezeichnete die Maßnahme als "teure Symbolpolitik im Kontext der Wahlen". Meldungen über Fahndungserfolge seien "angesichts von Mehrfachzählungen übertrieben und statistisch nicht nachvollziehbar", so Dahmus.

Studien-Mitverfasser Marcus Engler bemängelt auch, dass politische Verfechter:innen der Grenzpolitik durch den "selektiven Umgang mit oftmals unvollständigen Daten und aggregierten Zahlen" vor allem "politische Kommunikation" betreiben würden, wie er gegenüber dem Publikum in der Viadrina sagte.

Und über eines sind sich die Verfasser:innen der Expertise zur Wirksamkeit von Binnengrenzkontrollen im Hörsaal 4 der Europauniversität einig: Keine Grenzkontrollen der Welt könnten die eigentlichen Fluchtursachen Krieg, Hunger, Armut, politische Verfolgung und Perspektivlosigkeit bekämpfen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 16.07.2024, 16:10 Uhr

Beitrag von Nina Heinrich

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