Interview | Hertha-Trainer Sandro Schwarz - "Jürgen Klopp hat zu mir gesagt, dass es mit dem Trainerberuf etwas werden könnte"
Auf seinem Weg zum Cheftrainer bei Hertha BSC hat Sandro Schwarz viele Stationen durchlaufen. Im Interview spricht er über seine Karriere und zieht Bilanz seiner ersten Monate in Berlin.
Sandro Schwarz, Sie haben jetzt gerade eine lange WM- und Winterpause. Nach fünfzehn Spieltagen ist der allgemeine Tenor zu Hertha BSC: Entwicklung positiv, Leistung anständig, aber viel zu wenige Punkte. Wie fällt ihre Bilanz der ersten Monate bei Hertha BSC aus?
Sandro Schwarz: Kann man so unterschreiben. Wir haben an Stabilität gewonnen, was die Leistung und unser Miteinander betrifft. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten dafür gesorgt, dass wir eine gute Atmosphäre haben. Aber - und das ist das große Aber - was die Ergebnisse betrifft, haben wir schon den einen oder anderen Punkt zu wenig. Damit waren und sind wir nicht zufrieden.
Sie sind mit einem Erfolgserlebnis in die Pause gegangen. Jetzt haben Sie ein bisschen Zeit. Bevor die Weihnachtspause wirklich anfängt, können mal in Ruhe ohne Stress und Spieldruck trainieren. Ist das angenehm und kommt vielleicht sogar auch wichtig im Moment für Sie?
Die Situation, dass wir eine lange Vorbereitungszeit auf die Rückrunde haben, ist für alle natürlich erstmal neu. Ich finde es so, wie wir es gemacht haben, mit drei Wochen bis zum Urlaub, sinnvoll. Wir nutzen das, damit wir in den athletischen Bereichen gut vorbereitet sind. Es ist jetzt eine Zeit, in der wir inhaltlich nochmal tief ins Detail gehen können, was unser Spiel betrifft: in der Arbeit gegen den Ball, mit Ball und in den Umschaltmomenten. Dann haben wir den Urlaub und danach nochmal drei Wochen bis zum ersten Pflichtspiel in Bochum.
Hertha geht als Tabellenfünfzehnter in diese letzten 19 Spieltage, ist punktgleich mit dem 16., dem Relegationsplatz, und steht nur einen Punkt über einem direkten Abstiegsrang. Wie kritisch oder auch angespannt empfinden Sie diese Ausgangssituation?
Natürlich wissen wir, in welcher Tabellenregion wir uns befinden. Es ist jetzt aber nicht so, dass wir uns jeden Tag damit beschäftigen. Es gilt, sich inhaltlich zu verbessern und weiterzuentwickeln. Das wird jetzt die Hauptaufgabe sein und sich nicht von Punktabständen ablenken zu lassen. Komplett bei sich zu bleiben, ist wichtig für die nächsten Monate. Klar, dann auch mit dem einen oder anderen Punkt mehr.
Schauen wir auf Ihre Geschichte als Profi und Trainer. Tue ich Ihnen unrecht, wenn ich sage, als Profi sind Sie wahrscheinlich eher über die Mentalität als über wahnsinnige spielerische Klasse gekommen?
(lacht laut) Würde ich auch so unterschreiben. Und dennoch, was fußballerische Qualitäten angeht, war ich, glaube ich, kein ganz schlechter Kicker. Was allerdings meine Geschwindigkeit angeht... die hätte durchaus besser sein können.
Sie sind im Umfeld von Mainz aufgewachsen und haben dort erste fußballerische Erfahrungen gemacht. Sie sind dann auch als Trainer nach Mainz gegangen. Ist das Ihr Herzensverein?
Es ist der Heimatverein. Ich bin in dieser Stadt geboren und aufgewachsen. Und da dann die ersten Schritte als Profitrainer zu tun, war etwas Besonderes. Und dennoch liegt jetzt der komplette Fokus - die Energie, der Kopf, das Herz, all das, was ein Mensch in sich trägt - auf der Hertha.
Welche Rolle hat Jürgen Klopp für Sie als Profi in Mainz gespielt?
Für uns alle hat er eine wichtige Rolle eingenommen, weil es eine sehr prägende Zeit in Mainz war. Ich habe mit ihm als junger Spieler selbst noch zusammengespielt. In der Zeit war er der erfahrene stellvertretende Kapitän unserer Mannschaft. Als er dann unser Trainer wurde, war es mit dem Nichtaufstieg schon sehr emotional. Dann sind wir im dritten Jahr aufgestiegen. Von daher war es eine sehr prägende Zeit für uns alle. Speziell dann auch mit Kloppo.
2004, der Aufstieg nach mehreren gescheiterten Versuchen. Sie sind weggegangen und haben gar nicht die Möglichkeit genutzt, Bundesliga zu spielen. Warum?
Wer mich als Mensch kennt, weiß, dass ich immer klare Entscheidungen treffe. Das hat sich in dem Moment dann auch richtig angefühlt. Ich bin damals weggegangen und zu Rot-Weiss Essen gewechselt. Da war die Liga für mich nicht ausschlaggebend, sondern es waren die Gespräche und das Bauchgefühl.
Jürgen Klopp hat mal die Geschichte erzählt, dass Sie nach dem Aufstieg mit ihrem damaligen Mitspieler Marco Rose zusammensaßen. Sie seien rabenschwarz besoffen gewesen (Schwarz lacht laut auf) und er hätte Ihnen beiden an dieser Stelle eine große Zukunft als Trainer prophezeit. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Aber das lag nicht am Alkohol, den wir an dem Abend getrunken hatten. Kloppo war aber schon derjenige, der sich auch intensiv mit dem einen oder anderen Spieler damit beschäftigt hat, was nach der Karriere passieren könnte. Er hat zu mir und zu Rosi dann auch gesagt, dass es was werden könnte, was den Trainerberuf angeht.
Wehen Wiesbaden und Eschborn waren die ersten Trainerstationen. Dann sind Sie nach Mainz gegangen. Erst U19 und U23, dann Profitrainer geworden. Es gibt ein Video aus den ersten Tagen, in dem Sie in Mainz unterwegs sind und im Trainerbüro sitzen. Man hat das Gefühl, da ist ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Stimmt das?
Es war für mich auch erstmal ein sehr, sehr schönes Gefühl. Und dennoch war es nie so, dass ich mich damit beschäftigt habe: 'Wann kommt dieser Tag, jetzt endlich Bundesligatrainer zu sein?' Man freut sich dann darüber, und dennoch heißt es ab diesem Tag, sich freischwimmen und mit jeder Mannschaft komplett alles rauszufeuern. Das war ab dem Tag dann der Fokus.
Sie kommen auch viel über Leidenschaft und Emotionalität. Wie bitter war dann das Aus im November 2019 in Mainz?
Ich glaube, das ist für jeden Trainer im ersten Moment sehr schmerzhaft. Das war die erste Beurlaubung in meiner Trainerkarriere. Ich hoffe, dass jetzt nicht mehr allzu viele dazukommen, um ehrlich zu sein. Und dennoch gehört sie dazu. In der Situation ist es auch einfach wichtig, Abstand zu gewinnen und für sich selbst zu reflektieren, was man hätte besser machen können und was gut war. Und dann nimmt man neuen Anlauf und neue Herausforderungen an. So bin ich diese Zeit dann relativ schnell und zügig angegangen.
Sie sind dann nach einigen Monaten ins Ausland zu Dynamo Moskau gegangen. Wie war diese Zeit für Sie rückblickend betrachtet, mit dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine und all dem, was sich in Moskau, in Russland und bei dem Verein abgespielt hat? Während alle anderen deutschen Trainer relativ zügig gegangen sind, sind Sie geblieben.
Die Erfahrung war logischerweise zweigeteilt. Bis zum 24. Februar war es, was das Sportliche und die Menschen betrifft, herausragend. Danach war es eine sehr herausfordernde Zeit und sehr emotional. Die Entscheidung zu bleiben, hatte nichts mit dem Sport oder Gehalt zu tun, sondern nur der Verantwortung den Menschen gegenüber, die ich jeden Tag begleitet und betreut habe. Natürlich auch mit dem Wissen, welche Haltung sie zu diesem Krieg zu diesem Zeitpunkt hatten.
Sie haben das schon damals sehr eindrücklich geschildert. Was mich gewundert hat: Dynamo Moskau ist ein großer und wichtiger Verein. Gab es da im Umfeld keine Oligarchen oder Putin-Unterstützer? Das kann doch keine Insel der Kriegsgegner gewesen sein.
Die Leute, mit denen ich zu tun hatte, hatten eine ganz klare Haltung gegen diesen Angriffskrieg. Das war für mich wichtig. Ich kannte sie auch aus den eineinhalb Jahren vorher und das war die Basis. Wir haben das als Familie jeden Tag neu abgewogen.
Bis zum Sommer, dann sind Sie zu Hertha BSC gewechselt, wodurch wir wieder am Anfang sind. Sie haben einen Vertrag bis 2024. Würden Sie gerne eine richtig langfristige Ära bei und mit Hertha prägen?
Da hätte ich nichts gegen. Dennoch ist der Fokus auch hier auf der täglichen Arbeit und nicht bei 2024. Es geht ums Hier und Jetzt. Wir wollen fleißig arbeiten und wieder ein Miteinander und eine Atmosphäre herstellen, die eine Basis für erfolgreichen Fußball ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lars Becker, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 5.12.2022, 18 Uhr