Urs Fischer und Union Berlin - Das Ende ist nah

Mi 01.11.23 | 06:07 Uhr
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Unions Trainer Urs Fischer (imago images/Peter Hartenfelser)
Video: rbb24 | 31.10.2023 | Jan Ole Behrens | Bild: imago images/Peter Hartenfelser

Union Berlin scheidet aus dem Pokal aus und verliert zum elften Mal in Folge. Dabei wirken die Maßnahmen des Trainers wie Verzweiflungstaten. Und die Leistung der Mannschaft wie ein Abgesang. Von Ilja Behnisch

Nimmt man es mit Humor - und das wäre angesichts der Alternativen unbedingt geraten - könnte man sagen: Es ist erstaunlich, dass an diesem 31. Oktober 2023 nicht viel mehr Menschen mit Trikots des 1. FC Union Berlin durchs Land gezogen sind. Denn was wäre aktuell eine gruseligere Halloween-Verkleidung als dieses Leibchen?

Man muss sich das nochmal vor Augen führen nach dieser 0:1-Niederlage in der zweiten Runde des DFB-Pokals: "NNNNNNNNNNN". Das ist nicht etwa der Arbeitsnachweis eines schläfrigen Beamten, der auf seinem beliebtesten Tastatur-Kürzel eingeschlafen ist. "NNNNNNNNNNN", das ist die Formkurve des Bundesliga-Vorjahresvierten. Elf Mal "N" wie Niederlage.

"Irgendwas muss man ja tun"

Dabei haben sie nichts unversucht gelassen, weil "irgendwas muss man ja tun", wie Kapitän Christopher Trimmel hinterher gestand. Also wechselte Trainer Urs Fischer mächtig durch, brachte im Vergleich zum Spiel bei Werder Bremen fünf Neue. Hätte sich Alexander Schwolow nicht beim Aufwärmen verletzt, wären es gar sechs Änderungen gewesen. Wobei der Wechsel im Tor schon anzeigt, dass inzwischen eine gewisse Verzweiflung Einzug gehalten hat bei den Berlinern. Aber irgendwas muss man ja schließlich tun. Weshalb Fischer auch gleich noch am System schraubte und erstmals in dieser Saison auf eine Viererkette und ein 4-2-3-1 setzte.

Ein System, mit dem Fischer dereinst in Basel äußerst erfolgreich war, so erfolgreich, dass es vor seinem Wechsel nach Berlin vor etwas mehr als fünf Jahren als sein Lieblingssystem galt. Was gefühlte 5.000 Union-Spiele mit Dreierkette später kaum mehr vorstellbar scheint. Aber auch darüber hinaus lassen sich gute Gründe für das System finden. Das 4-2-3-1 ist eine derart verbreitete und in der Jugend eines jeden Fußballers durchexerzierte Formation, dass jeder Profi selbst mit getrübter Wahrnehmung in der Lage sein sollte, es zu beherrschen. Union spiegelte damit zudem Stuttgarts Aufstellung. Ein durchaus bewährtes Mittel, in Zeiten der eigenen Unsicherheit. Auge um Auge, Stuttgart und Union.

Gruselige Angriffsbemühungen

Defensiv ging der Plan durchaus auf. Die Abstände stimmten, die sehr situativen Pressing-Auslösungen im Mittelfeldzentrum waren gelungene Gemeinschaftswerke. Dass der VfB Stuttgart in der Bundesliga-Tabelle derzeit auf Rang drei geführt wird, war dabei zumindest vom ersten bis zum dritten Blick nicht unbedingt ersichtlich. Die Schwaben spielten zwar mit dem Selbstbewusstsein eines Spitzenteams, allerdings ohne ein Spitzenteam zu sein.

Den gruselig harmlosen Berliner Angriffsbemühungen hingegen war die aktuelle Situation anzusehen. Wer den Union-Sturm an diesem Abend mit der Frage "Süßes oder Saures" hätte behelligen wollen, hätte nur eine Antwort erhalten: Niemand da.

Rechtsaußen Benedict Hollerbach zeigte bei seinem Startelf-Debüt für Union, dass er über einen stabilen Körper und schnelle Beine verfügt, in Sachen Handlungsschnelligkeit jedoch noch nicht auf Bundesliga-Niveau angekommen ist. Zuweilen konnte man ihm das Grübeln förmlich ansehen, wobei Verzweiflung ja selten Unterhaltungswert hat. Immerhin trat Hollerbach überhaupt in Erscheinung. Von der hängenden Spitze Kevin Volland konnte man das wahrlich nicht behaupten.

Selten hat eine Mannschaft so konstant erfolglos und dennoch ok gespielt.

Volland auf Tauchstation

Der Ex-Nationalspieler hatte in der gesamten ersten Halbzeit lediglich neun Ballkontakte. Mit Abstand die wenigsten auf dem Platz. Immerhin seine Zweikampf-Quote lag bei 100 Prozent. Was vermutlich daran lag, dass er keinen einzigen Zweikampf bestritten hatte. Der vor ihm postierte Kevin Behrens machte sich vor allem durch cheffige Anweisungen in Richtung seiner Mitspieler bemerkbar. Und dadurch, in der 50. Minute die einzige, sehr gute Konterchance Unions auf eine Art zu verstockfehlern, dass man sich hinterher selbst als neutraler Beobachter beim Ball entschuldigen wollte.

Mit dem hatte der als Linksaußen aufgestellte Sheraldo Becker weniger Probleme. Dafür zur Genüge mit seiner ungewohnten Position, die er zuletzt im Juli 2021 für die Nationalmannschaft Surinames bekleidet hatte (2:1 gegen Guadeloupe).

Trainer Urs Fischer quetschte die Anspannung aus sich heraus

Später wechselte Trainer Fischer unter anderem noch Mikkel Kaufmann für Behrens ein, stellte erst auf Zweier- dann auf Dreiersturm um. Kurzum: Sie machten und taten und rannten und kämpften. Allein Christopher Trimmel dürfte an diesem Abend um drei Tage gealtert sein, so sehr quälte er seinen für Profi-Fußballer ja schon methusalem-artigen Körper. Weshalb er in der 80. Minute durch Links- und Nationalverteidiger Robin Gosens ersetzt wurde, positionsgetreu wohlgemerkt. Spätestens jetzt war die Messe gelesen, die Mannschaft auseinander gefallen. Wobei, um mal ein Kompliment in die Beschissenheit der Union-Dinge zu stellen: Vermutlich gab es selten eine Mannschaft, die so konstant erfolglos und dennoch so konstant ok spielte.

Allein es nützte nichts. Unions Schluss-Offensive betonte vor allem ein Wort: Schluss. Die Mannschaft erspielte sich keine einzige Torchance, spielte wie ein Ungläubiger, den es zum Gebet treibt. Die anwesenden Fotografen dürften häufig "Urs Fischer, verzweifelt" in ihre Bildbeschreibungen getippt haben an diesem Abend. Immer wieder verschränkte er die Arme hinter dem Rücken, presste die Hände gegeneinander, quetschte die Anspannung aus sich heraus. Irgendwas muss man ja tun. Auch nach Schlusspfiff.

Alles an diesem Zweitrunden-Aus deutet auf Abgesang hin.

Aus dem Regen in die Traufe - Fischer sieht rot

Also eilte Urs Fischer nach dieser elften Niederlage in Folge auf den umsichtigen Schiedsrichter dieser Partie zu, um nach offenbar zu deutlichen Worte die rote Karte gezeigt zu bekommen von Sascha Stegemann. Man will es nicht wahrhaben. Dafür ist das, was Urs Fischer mit Union Berlin, was dieser Verein in den vergangenen fünf Jahre erreicht und geleistet hat, zu groß. Aber alles an diesem Zweitrunden-Aus deutet auf Abgesang hin.

Die Personal-Rochaden, der Systemwechsel, die rote Karte des Trainers. Verzweiflungstaten, so scheint es. Sollte sich der 1. FC Union Berlin dennoch zusammen mit Urs Fischer aus dieser Nummer befreien, dann wäre das wohl höher zu bewerten als der Aufstieg in die Bundesliga. Und Union-Trikots wären auch an 364 anderen Tagen im Jahr wieder zum Fürchten. Für die Gegner.

Sendung: rbb24 Inforadio, 1.11.2023, 9:15 Uhr

88 Kommentare

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  1. 88.

    Die Krise bei Union wird noch ein paar Wochen anhalten.
    Ich kenn das. Bin seit über 30 Jahren (auch) Freiburg-Fan und die gurgeln sich auch immer wieder durch grausige Phasen.
    Trotzdem stellt sich die Trainerfrage NICHT.
    Bei Urs Fischer verbietet sich das geradezu!
    Eisern!

  2. 87.

    Bitte nichts übers Knie brechen, das hat der Trainer nicht verdient. Denkt an Streich und Freiburg, da hat das Festhalten am Trainer selbst mit Abstieg funktioniert. Am Wichtigsten ist nun ein klares Statement des Vereinsführung - jetzt und nicht irgendwann.

  3. 86.

    Herr Fischer war bisher absolut klasse und hat in der letzten Saison etwas erreicht was sich keiner in den kühnsten Träumen ausgerechnet hat.
    Jetzt bitte nicht den Stab über ihm brechen, er bringt die Mannschaft wieder voran.

  4. 85.

    Zustimmung ! Wäre grundfalsch , den Trainer jetzt rauszuschmeissen ! Für den Klassenerhalt reicht es immer. Wenn die normalen Mechanismen angewendet werden sollten, wird Union dann doch irgendwie normal und sicher nicht erfolgreicher .
    Ein leidgeprüfter Herthaner

  5. 84.

    Auch wenn die Ergebnissituation für Union derzeit wirklich besch..... ist zeigt sich doch in der gegenwärtigen Situation vor allem Eines, Union ist unglaublich gereift in den letzten Jahren! Während Medien, Konkurrenten und was weiß ich wer noch alles derzeit hyper-hibbelig tagein tagaus glauben die Situation von Union bewerten zu können oder zu müssen, bleiben genau zwei Seiten einfach nur cool und fokussiert: der 1. FC Union Berlin und seine unglaublichen Fans. Es ist genau diese fast schon stoisch anmutende Gelassenheit, die Union Berlin weiter arbeiten und den erfolgreich eingeschlagenen Weg weiter verfolgen lässt, dies nötigt mir im Grunde noch mehr Respekt ab, als der grandiose Weg von Union Berlin in der 1. Bundesliga ohnehin schon.

  6. 83.

    zumindest bis Saisonende ist Union min. noch einen Tabellenplatz vor Hertha. Danach ist die natürliche Ordnung wieder hergestellt

  7. 82.

    Das mag sich wohl für einige hart anhören, aber der Kollege Schnürschuh bringt es mal auf den Punkt. Verlieren ohne unterlegen zu sein, auf Dauer beschissen. Also muss da schleunigst eine Lösung her.

  8. 81.

    es gibt nur einen Club. Achtsam werden!

  9. 80.

    Wieso, der User hat doch absolut recht. Jetzt wird langsam und schrittweise geerdet und in die richtige Richtung geführt was nie hätte sein dürfen.

  10. 77.

    Ich bin Fan des 1.FC Union Berlin seit den 1980'er Jahren. Da weiß ich auch, dass nicht immer alles gut läuft. Auch meine ich, Sie haben Ihren Kommentar und Ihr Loblied auf die alte Dame an der falschen Stelle eingestellt. Mal gewinnt man, mal verliert man, das sollten sie speziell als Hertha Fan wissen. Ihren Beitrag werte ich als diffamierend, er grenzt schon an Beleidigung gegenüber anderen Vereinen, deren Leistungen u. Fans. Eher sollten Sie sich bei Hertha BSC auf eine Stelle bewerben...

  11. 76.

    Doch, es ist zwar ein wenig unglaublich, aber genauso ist es: Spielerisch ist man doch nie im Oberhaus angekommen. Das fällt jetzt vor die Füße.
    Zudem profitierte man von einer wirklich schwachen Liga. Dank des Zuwachses an Niveau dank Leverkusen, Leipzig, auch Hoffenheim und Stuttgart spielen eine feine Klinge, sind die Zeiten, in denen es reichte, den "Bus vorm Strafraum zu parken" und einen Awonyi oder Becker zu "schicken" sind gottseidank vorbei. Die Schiedsrichter scheinen auch etwas genauer hinzuschauen und ahnden dieses eklige Spiel.

  12. 75.

    Wie es nur eine Sonne in unserem Sonnensystem gibt, so gibt es nur einen führenden Verein in Berlin, nämlich Hertha BSC.
    Es ist nur der gönnerhaften, großzügigen Natur von Hertha zu verdanken, das Union aktuell vor Hertha steht. Aber wir ahnen es, Union wird wieder in die Niederungen der 2. Liga rutschen und Hertha wird Ihren glorreichen Weg nach oben
    fortsetzen. (1, Liga). Dann sind die Dinge wieder zu recht gerückt. Lange schallt es im Oly noch, unsere Hertha lebe hoch !
    HaHoHe, hier an der Spree regiert nur Hertha BSC.

  13. 74.

    Sollte Urs Fischer gehen war es das für mich mit Union. Nachdem schon zwei meiner Lieblingsspieler dank permanenten Kaderumbau gehen durften, ist er mit Abstand das sympathischste an dem Ganzen Verein. Wenn er jetzt auch noch geht bin ich raus.

  14. 73.

    wer unseren Urs feuern will, der sollte erst einmal mit Ihm Fliegen Fischen gehen. Fe Urs!

  15. 71.

    Hier gibt es ja tolle „Fans“, die keine Ahnung von Union haben. Der Trainer wird hier nicht gleich beim ersten Wehweh entlassen.

  16. 70.

    Auch wenn derzeit der 1. FC Union eine Durststrecke, in Sachen Spiele zu gewinnen, durchläuft, der Verein wird aus meiner Sicht diese Saison nicht absteigen. Jetzt einen Abgesang auf Urs Fischer dem Verein und dessen Nichtverbleib in der 1.BL. anzustimmen, halte ich für Schadenfreude. Ich sehe auch, dass viele Spiele erst kurz vor Schluss o. zum Ende einer Halbzeit verloren gingen. Man darf nicht vergessen, dass der Verein auch u. a. durch die CL. bereits viele schwere Spiele hinter sich hat.

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