Mit Resilienz zur Vizemeisterschaft - Alba Berlin und die Rettung einer fast verkorksten Saison
Mit der Vizemeisterschaft hat Alba eine schwere Saison zu einem beachtlichen Ende gebracht. Ausschlaggebend waren Widerstandsfähigkeit, ein deutscher Kern und erstarkte Leistungsträger. Nun warten wichtige Personalfragen. Von Jakob Lobach
Bei bestem Wetter kamen die Basketballer von Alba Berlin am Montagabend auf den blauen Freiplatz am Rande des Mauerparks geschlendert. Aufbauspieler Martin Hermannsson hatte seinen Sohn im Schlepptau, Sterling Brown nicht als einziger zwei Paar große Schuhe im Gepäck. Es waren Geschenke für die Alba-Fans, die ihre Mannschaft mit Applaus auf dem Streetball-Areal empfingen.
"Es ist schmerzhaft, aber auch großartig"
Drei Tage nach der entscheidenden dritten Niederlage im vierten Finalspiel der Basketball Bundesliga (BBL) gegen den FC Bayern zelebrierte Alba dort am Montag einen sehr versöhnlichen Abschluss einer sehr wechselhaften Saison. Neben der Energieleistung, die den Berlinern ihre Saison gerettet hat, bekamen sie am Montag noch einen weiteren Grund zum Feiern: Die Euroleague gab am Abend bekannt, dass Alba auch kommende Saison in der Beletage des europäischen Basketballs spielen wird.
Während die Berliner ihre Glücksgefühle angesichts der neuerlichen Euroleague-Teilnahme erst einmal wirken lassen dürften, hat der Saisonendspurt der vergangenen Wochen Albas Stimmungslage schon jetzt geprägt. Einerseits sei der undankbare Titel des Vizemeisters natürlich schmerzhaft, sagte Sportdirektor Himar Ojeda jüngst. "Aber es ist auch großartig", ergänzte der Spanier, "weil wir überhaupt die Chance hatten, Meister zu werden. Sechs Monate zuvor sah das nicht danach aus."
Mitte November 2023 hatte Alba den wackelnden Grundstein für seine schwache Euroleague-Saison – man beendete sie mit nur fünf Siegen aus 34 Spielen abgeschlagen als Letzter – längst gelegt. Der unfreiwillige Umbruch des Vorsommers hatte seine Spuren hinterlassen. Matt Thomas und Sterling Brown wurden den Erwartungen an sie (noch) nicht gerecht. Auch Trainer Israel Gonzalez stand früh in der Kritik. Dann kassierte Alba am 19. November gegen den stets abstiegsbedrohten Mitteldeutschen BC mit 33 Punkten Differenz die höchste Bundesliga-Heimniederlage der Vereinsgeschichte. In der Euroleague mitunter kaum konkurrenzfähig, in der BBL ein Übergangsjahr ohne Titelchance – so lautete das harte, aber durchaus begründbare Urteil vieler Außenstehender.
Wichtige Eigengewächse
Zur Wahrheit gehört auch, dass die Berliner in der Euroleague auch zum Saisonende hin weiter große Probleme hatten. Alba verlor seine letzten elf Spiele auf internationalem Parkett. Spieler wie Brown und Thomas gaben Alba international zu inkonstant die zwingend benötigten offensiven Impulse, Akteure wie Khalifa Koumadje und Yanni Wetzell ließen den berühmten "nächsten Schritt" vermissen. Hinzukam das massive Verletzungspech, das zwischenzeitlich acht Alba-Akteure gleichzeitig pausieren ließ und Mateo Spagnolo, Gabriele Procida, Ziga Samar und Martin Hermannsson noch immer plagt. Auch der sonst so starke Johannes Thiemann war selten im Vollbesitz seiner Kräfte. "Wir haben diese Saison viel durchgemacht, haben international häufig auf den Sack gekriegt. Das ist wirklich nicht leicht gewesen", sagte Alba-Forward Tim Schneider.
Schneider selbst hatte großen Anteil daran, dass Albas Saison von einer sehr schweren noch zu einer – zumindest national – sehr soliden wurde. Das 26-jährige Eigengewächs war Teil eines harten Kerns, der sein Team trug, als andere dies nicht konnten. Die gebürtigen Berliner Tim Schneider, Malte Delow und Jonas Mattisseck waren – zusammen mit den immer stärker werdenden Brown, Thomas und Justin Bean – hauptverantwortlich für 17 Siege aus den letzten 19 Spielen der BBL-Hauptrunde. Eine Phase, in der Spieler wie Schneider, Mattisseck und Delow spürbar den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung machten, Trainer Gonzalez zusätzliches Vertrauen in seine Rollenspieler gewann und die Berliner zu einer Einheit wurden.
Als Kollektiv den Bayern Paroli geboten
All das war auch die Grundvoraussetzung für den unerwarteten Playoff-Run von Alba. "Wir haben in den Playoffs gezeigt, dass wir unglaublich vielseitig sind. Haben gezeigt, dass wir es kompensieren können, wenn uns wichtige Spieler fehlen", sagte Tim Schneider. Ein akklimatisierter und auch anders eingesetzter Sterling Brown, ein nun teilweise überragender Matt Thomas, das Berliner Trio, der zähe Johannes Thiemann, der zurecht viel gescholtene Khalifa Koumadje – als Kollektiv trotzen sie der Belastung und dem Saisonverlauf.
All das kulminierte schließlich im Finale gegen den FC Bayern: Vermeintlich chancenlos schlug Alba den vielleicht besten Kader der BBL-Geschichte in Spiel zwei, hatte anschließend auch in den Partien drei und vier Siegchancen. Die Berliner bewiesen eine physische und psychische Widerstandsfähigkeit, die nach über 80 Saisonspielen beeindruckte. "Ich bin sehr stolz auf jeden Einzelnen der Jungs", sagte Kapitän Thiemann nach dem Saisonende, "wie wir gegen alle Widerstände gekämpft haben. Ich glaube, ein anderes Team hätte da schon früher aufgegeben."
Was macht Johannes Thiemann?
Nicht aufgeben wird Alba in den kommenden Wochen nun auch im Werben um den Weltmeister selbst. Der Vertrag des so wichtigen Forwards läuft in diesem Sommer aus. Genauso wie bei Albas zweitem vertragslosen Spieler Matt Thomas, scheint ein Abgang zu einem noch größeren, noch finanzkräftigeren Euroleague-Konkurrenten nicht unwahrscheinlich. Dass Albas Sportdirektor Himar Ojeda Thiemann und Thomas halten will, ist klar. Welche der übrigen Berliner trotz ihres Vertrags abgeworben oder auch bewusst abgegeben werden, ist ungleich offener. Da hilft es, dass die wichtigste Frage dieses Sommers, die Euroleague-Frage, nun bereits geklärt ist. Schließlich bietet die Euroleague Alba als Klub auch bei Vertragsgesprächen und der Spielersuche allgemein wichtige Argumente.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.06.2024, 21:15 Uhr