Nicht in Arbeit oder Ausbildung - "Es ist ein Klischee, dass diese jungen Menschen faul sind"

Mo 11.09.23 | 06:19 Uhr | Von Max Ulrich
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Symbolbild: Junge erwachsene sitzen gelangweilt auf einer Parkbank und schauen auf ihre Handydisplays. (Quelle: dpa/Zuma)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 11.09.2023 | D. Donschen | Bild: dpa/Zuma

Wie umgehen mit jungen Menschen, die weder zur Schule gehen, noch eine Ausbildung oder einen Job haben? Der Wissenschaftler Christian Brzinsky-Fay hat sich mit der Gruppe auseinandergesetzt. Er sagt: Druck sei meist kontraproduktiv.

rbb|24: Herr Brzinsky-Fay, das Acronym NEETs steht für "Not in education, employment or training", also junge Menschen, die weder in Beschäftigung, Ausbildung oder Weiterbildung sind. Wie ist dieser Begriff entstanden?

Christian Brzinsky-Fay: Der ursprüngliche Gedanke hinter dem Begriff war, dass man eine Alternative zur Jugendarbeitslosenquote findet. Denn in die Arbeitslosenquote gehen ja nur die Jugendlichen ein, die beim Jobcenter gemeldet sind. Die anderen werden gar nicht erfasst.

Zur Person

Und wer fällt da alles rein?

Das ist eine sehr heterogene Gruppe. Es sind junge Menschen, die nach der Schule einen Südamerika-Aufenthalt machen, die Schwarzarbeiten - oder eben nichts tun.

Was sind so die Hauptgründe, weshalb Leute in diese Situation geraten?

Häufig sind es Jugendliche, die keinen Schulabschluss haben beziehungsweise keine Ausbildung abgeschlossen haben. In Deutschland gehören aber auch vermehrt junge, alleinerziehende Mütter dazu. Leicht überrepräsentiert ist die Gruppe der Migrantinnen und Migranten.

Wie groß ist denn die Gruppe der NEETs? Wie viele Leute betrifft es in Deutschland?

Das hängt davon ab, wie man das zählt. Aber es betrifft ungefähr fünf bis 15 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 15 bis 29.

Wie kommen denn diese Menschen in diese Situation? Es wird ja nicht einfach so sein, dass die Leute faul sind und keinen Bock haben, irgendwas zu machen, oder?

Nein, das ist ein weit verbreitetes Klischee. So nach dem Motto: Wer Arbeit sucht, der findet auch welche. Aber ob man einen Zugang zur Erwerbstätigkeit bekommt, hängt davon ab, was davor passiert. Im Wesentlichen trifft es Leute, die nicht auf dem klassischen Bildungsweg voranschreiten, sondern aus dem Raster fallen. Etwa Jugendliche, die psychische Probleme haben oder Suchterkrankungen. Bei denen ist das mit der Jobvermittlung nicht so einfach. Selbst wenn die aktiv nach Arbeit suchen oder Angebote bekommen.

Und was für Auswirkungen hat das auf die Leute, wenn sie so orientierungslos sind und nicht so richtig wissen, was aus ihnen werden soll?

Meistens tritt dann so ein Verstärkungseffekt ein. Wenn der erste Schritt in die Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt nicht funktioniert, dann hat das Folgen für die Zukunft. Im schlimmsten Fall führt das dann nur Desillusionierung oder zur Inaktivität. Und da hilft es dann auch relativ wenig, wenn man den Leuten Druck macht.

Was passiert denn, wenn Druck aufgebaut wird?

Wenn ich Druck bekomme, dann entwickle ich Strategien, wie ich dem ausweichen kann. Eine Vermittlung in Arbeit oder in eine Ausbildungsstelle wird ja als erfolgreich angesehen, wenn sie passiert. Aber das führt auch dazu, dass die Leute dann Sachen machen, die sie gar nicht wollen. Also etwa eine Ausbildung beginnen und sie dann nach einem Jahr wieder abbrechen. Das ist oft nicht unbedingt hilfreich.

Wer ist denn dafür verantwortlich, diesen Leuten zu helfen?

Grundsätzlich ist die Bundesagentur für Arbeit für alles zuständig, was Ausbildung und Erwerbstätigkeit angeht. Aber wenn die Schwierigkeiten schon in der Schulzeit beginnen, dann haben wir das Problem, dass die Bundesagentur dafür eigentlich nicht verantwortlich ist. Schule ist ja Ländersache. Es gibt zwar zunehmend Maßnahmen für Schülerinnen und Schüler, die auch von der Bundesagentur unterstützt und finanziert werden. Aber da haben wir häufig Abstimmungsprobleme. Und natürlich auch Probleme bei der Finanzierung. Denn die Mittel der Bundesagentur für Arbeit werden aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert, die Schule wird aus den Länderhaushalten finanziert. An der Schnittstelle dazwischen passiert schon viel, wie die Jugendberufsagenturen. Aber trotzdem haben wir dort nach wie vor ein Zuständigkeitsproblem.

Wie würde man denn diesen jungen Menschen in der Orientierungsphase am besten helfen?

In der Vergangenheit hat man versucht, den Jugendlichen Angebote für Jobs oder Weiterbildungsmaßnahmen zu machen. Aus meiner Sicht braucht es aber Verantwortliche für die Jugendlichen, die so ein bisschen das Rundum-Paket anbieten. Also es braucht einen Sozialarbeiter, der sozialpsychologisch hilft. Dann braucht es aber auch jemanden, der auf die Jugendlichen zugeht und für sie individuell nach passenden Bildungsmaßnahmen sucht. In der Vergangenheit ist das selten passiert. Aber die Maßnahmen gehen immer mehr in die Richtung. Man muss sich das Profil der Jugendlichen anschauen und sie individuell unterstützen.

Muss man als Gesellschaft vielleicht auch einen bestimmten Prozentsatz an NEETS akzeptieren?

Vieles hängt natürlich von der Arbeitsmarktlage ab. Also wenn die Arbeitsmarktsituation schlecht ist, dann ist es für diese Jugendlichen ganz besonders problematisch. Und wenn die Lage auf dem Arbeitsmarkt gut ist, dann ist es nicht ganz so schlimm für sie. Es wird zwar immer so sein, dass Leute aus dem System rausfallen. Aber auch denen müssen wir helfen. Denn es geht ja hier um Lebenswege und -perspektiven. Deswegen müssen wir da was tun. Und gleichzeitig akzeptieren, dass es nicht immer klappt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Max Ulrich für rbb|24.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.09.2023, 19.30 Uhr

Beitrag von Max Ulrich

32 Kommentare

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  1. 32.

    Ich nahm lediglich einen Bezug auf den Artikel, in dem ein Arbeitsmarktforscher seine Sicht auf das Problem "Jugend ohne Lust auf Beruf" darstellt.
    Ergo, es geht nicht um die Jugend an sich, sondern nur um den Teil derJugend, die keinen Bock hat.
    Mit meiner Familie hat diese "null Bock - Moderne" gar nichts zu tun, aber vieleicht mit Ihrer, da sie sofort das Bedürfnis zum persönlichen Angriff verspüren und umsetzen.

  2. 31.

    Hier tritt wieder eines der Grundprobleme dieser Gesellschaft zu Tage: Eine viel zu hoch-schwellige und von den freien Kapazitäten völlig unzureichende seelische Versorgung. - Unsicherheiten und Fehleinschätzungen hinsichtlich der eigenen Wünsche, Ziele und Fähigkeiten sind normal und betreffen auch viele Erwachsene, und erst recht Jugendliche. Ein paar Gespräche mit geeigneten Coaches könnten in sehr vielen Fällen schon helfen. In manchen Fällen wäre eine überschaubare psychologische Unterstützung ratsam. Leider aber gibt es in diesem Bereich viel zu wenig Angebote. Zudem ist so etwas nach wie vor sehr stigmatisiert und verpönt. - Jede* Lernende in Deutschland sollte etwa in der achten Klasse und auch noch später verpflichtend einige Stunden an einem Einzelcoaching teilnehmen, um mit einer unabhängigen, professionellen Person Perspektiven zu entwickeln. Das wäre eine sehr geringe Investition im Vergleich zu den menschlich und auch finanziell sehr positiven möglichen Ergebnissen.

  3. 30.

    Mehr Empathie bitte. Gegenüber denjenigen, die sich nicht ausnehmen lassen wollen.
    die
    P.S. Und schön an die Rentenpunkte denken: Lange viel einzahlen hilft eher als das Nichtstun.

  4. 29.

    Richtig, und viele Jugendliche werden meiner Meinung nach zur Faulheit erzogen.Ohne sich dafür anstrengen zu müssen, wird ihnen alles in den Allerwertesten geblasen, ihnen alle Steine aus dem Weg geräumt. Auch teilweise Schulkonzepte, die suggerieren, dass alles "SPASs" machen muss, bereiten nicht wirklich auf den " ERNST DES LEBENS" vor.

  5. 28.

    Woher stammt dieser unbändige Hass auf Jugendliche? Was ist in ihrer Jugend schiefgelaufen?

  6. 27.

    Doch sind sie, sie sind faul - Dank Smartphonesucht.
    Wir haben mit 15, 16 eine Lehre angefangen und sind bis heute im Beruf. Und weil wir zuverlässig sind, dürfen wir später 51 Jahre gearbeitet haben.

  7. 26.

    Dass man sich in den heutigen Zeiten vergaloppieren kann finde ich sehr nachvollziehbar.
    Keiner der Kommentatoren hier hat seine Jugend und Ausbildung unter derart belastenden Umständen verbracht wie die heutigen Kinder. Meine Zeit waren die 60er und 70er, also einer Zeit wo Vollbeschäftigung herrschte und es ein Gefühl des anything goes vorherrschte. Es konnte ja alles nur besser werden.
    Es gab keinen gesamtgesellschaftlichen Egoismus wie heute wo nur noch Geld zählt, um schwächere Schüler haben sich die Firmen eben auch mal gekümmert, weil einfach die Notwendigkeit bestand.
    Heute haben Politik und sehr sehr viele Erwachsene die Coronakrise auf den Rücken der Kinder ausgetragen, leben nach dem Motto "lebe jetzt, die junge Generation zahlt für mich später". Das betrifft zumindest den Klimawandel und die Renten.
    Und mal ehrlich: das herum hacken auf Jugendliche langweilt mich zutiefst. Das geht schon mehr als 5000 Jahren (Sumer) so.

  8. 25.

    Ich habe in meinem Berufsleben auch junge Leute kennengelernt, die nach drei, vier Wochen die Lehre schmeißen wollten. Aber bei uns hat man sich mit denen hingesetzt und geredet, erfragt, was ihnen nicht gefällt und was sie lieber machen würden. Und wir haben ihnen erklärt, dass es in jedem Beruf langweilige Tätigkeiten gibt. Wir haben überlegt, wie wir die Ausbildungspläne besser gestalten können. Und, wenn es gar nicht ging, haben wir versucht, sie weiterzuvermitteln. Aber fast alle haben ihre Ausbildung bei uns abgeschlossen. Manche blieben danach in der Firma, andere kehrten nach Abstechern in andere Firmen oder einem Studiumbzu uns zurück. Wer Jugendliche als Azubis gewinnen und behalten will, muss eben etwas dafür tun.

  9. 24.

    Ich glaube nicht, dass die Ausbilder einem Klischee aufgesessen sind, die suchen dringend und finden die Jugendlichen, die eine Auszubildung machen wollen nicht.
    Tja,zu erst hat man keinen Bock und hängt rum, dann kommen die Drogen, und dann wird das Problem auf den Drogenkonsum geschoben.

  10. 23.

    Es ist nunmal Tatsache das es auch Menschen gibt die „faul“ sind oder fällt das auch wieder unter diskriminirung? Nicht alles lässt sich entschuldigen mit Krankheit oder einer Störung. Behinderte gehen ja auch arbeiten und das sogar gerne als der eine oder andere ohne Handicap.

  11. 22.

    Naja, so mit 23-25 Jahren sollte man jedoch einmal langsam "loslegen".
    Etwas zugespitzt: Mit 16 wählen und mit 29 Jahren noch keinen Plan. Passt das?

  12. 21.

    "... es betrifft ungefähr fünf bis 15 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 15 bis 29."

    Also gehen mindestens 85 Prozent der jungen Menschen dieser Altergruppe zur Schule, machen eine Ausbildung, studieren oder arbeiten. Nach Statista sind derzeit 5,8 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos gemeldet. 10 % davon sind junge Menschen unter 25 Jahre. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn jeder - nicht nur die Jungen - einen Arbeitsplatz finden würde. Und es wäre an der Zeit, dass das Bildungssystem endlich alle Menschen mitnehmen würde und ihr Wissen und Können für die Zeit nach dem Schulabgang so schulen würde, dass ihnen dann alle Türen offen stehen. Aber hier gleich von Lethargie, Faulheit oder von den Eltern Verzogenen bezogen auf "die Jugend" zu sprechen, ist wohl etwas verfehlt. Als ich vor gut 50 Jahren Jugendliche war, galten wir auch als faul, lethargisch und verzogen. Die meisten sind trotzdem was geworden - und schimpfen nun selbst über die heutige Jugend.

  13. 20.

    Viel zu hart geurteilt! Ich wünsche mir von Ihnen mehr Respekt gegenüber denen die sich nicht „ausnehmen“ lassen wollen. 45 Einzahljahre in Vollzeit haben mehr Belohnung verdient als das Nichttun....Mehr Emphatie bitte, gegenüber den jeden Tag Weckerstellenden!

  14. 19.

    Warum kein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr?
    Es gibt so tolle Angebote im In-/Ausland und sicherlich auch für alle Interessengebiete etwas dabei.
    Man bekommt sogar ein Taschengeld - in 2023 sind es 438,00 Euro.
    Wäre doch ein Anfang und ist auch gut für den Lebenslauf bei einer anschließenden Bewerbung.

  15. 18.

    Sie belegen mit Ihren tumben, autoritären Aussagen nur, dass Sie den Text nicht verstanden haben. Schön, dass dann ausgerechnet Sie sich für geeignet halten, Anderen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Ihre Vorschläge pauschaler Gleichbehandlung von oben herab passen wunderbar ins Dritte Reich und in die DDR, mit unserer Gesellschaft haben sie nichts zu tun. Dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Bedingungen unterliegen und entsprechend viele Lücken im Bildungssystem existieren, dass in vielen Fällen unindividuell und oberflächlich nach Masse geht, statt die Potenziale des oder der Einzelnen zu fördern, will Ihnen nicht in den Kopf. Wenn es nach Ihnen ginge, hieße es Rausschmiss mit Volljährigkeit - entgegen der gesetzlichen Verpflichtung der Erziehungsberechtigten zur Versorgung der Erstausbildung. So haben Sie nur Ihrer Unkenntnis, Ihren Hang zum Autoritarismus und Ihre Niederträchtigkeit gegenüber Ihren Feindbildern Raum verschafft - und sich selbst öffentlich entwürdigt.

  16. 17.

    Manchmal hilft in tritt in den Allerwertesten um der Lethargie zu entgehen und etwas Druck. Das Leben ist keine Ponyhof und niemand bietet einen Traumjob mit Milliongehalt für Nichtstuer. Wünsch Dir was endet spätestens mit 18.

  17. 16.

    Ich glaube liebe „Maria“, dass Sie Verantwortung delegieren wollen. Im Lande der Feststeller LÄSST man heutzutage?
    Und wie ist es umgedreht mit Ihrer „Emphatie“? Gegenüber den Fleißigen, die jeden Tag schaffen gehen?

  18. 15.

    > müssen zum Arbeiten _angetrieben_ werden<

    Was für eine entlarvende Wortwahl. Und wieder: Zwang.
    Entweder liest hier niemand den Artikel oder die Kommentierer haben keine Ahnung davon wie man mit jungen Menschen mit Entwicklungsproblemen umgeht - anders sind die empathielosen und völlig sinnfreien "Strategien" hier nicht zu erklären.

  19. 14.

    Es gilt das was auch für Familien gilt: Kinder sind die Symptomträger, an Ihnen können wir ablesen und erleben, was alles schiefläuft - ohne das die Kinder daran schuld sind.
    Das sind die Erwachsenen, die dafür keine Verantwortung übernehmen wollen inklusive der Bildungspolitik, die seit Jahrzehnten das Gegenteil vom dem tut was den Kindern gut täte.

  20. 13.

    Auch an Sie die Frage: Haben Sie den Artikel komplett gelesen?

    Bis Jugendliche so verloren und buchstäblich orientierungslos sind, müssen sowohl das gesellschaftliche System von Betreuung, Schule, Jugendarbeit über Eltern, Großeltern und alle anderen Erwachsenen drumherum komplett versagt haben.
    Denn jedes Kind wird neugierg geboren und ist mit dem natürliichen Willen zu lernen und zu erfahren ausgestattet. Über viele viele demotivierende herabsetzende ungünstige usw. Erfahrungen werden diese jungen Menschen oft regelrecht gebrochen.
    Wenn ich höre, wie es heutzutage an Schulen zugeht, wenn ich sehe und erlebe, was für ein Klima und Ton in der gesamten Gesellscahaft üblich sind muß man sich nicht wundern - es ist von allem das Gegenteil von dem was es bräuchte.
    Berufliche Orientierung ist Teil der großen Entwicklungsaufgaben, die jede und jeder Jugendliche zu bewältigen hat.
    Wenn es dabei zu wenig Unterstützung gibt, z. B. langfristige Berufsberatung, geht es schief.

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