Konzertkritik | Lizzo in der Mercedes Benz Arena - So politisch, warm und lustig kann Pop sein
Die US-Sängerin Lizzo steht nicht nur für charttauglichen RnB Sound und tolle Refrains, sondern auch für Body Positivity und ein neues schwarzes, weibliches Selbstbewusstsein. Ein Konzert von ihr ist eine Mischung aus Party und Botschaften. Von Hendrik Schröder
Geschätzt nicht ganz 10.000 Fans sind an diesem Dienstag in die Mercedes Benz Arena gekommen und obwohl die Halle damit lange nicht ausverkauft ist, ist die Stimmung schon bevor es los geht grandios. Da stehen Frauen in Ballett Tütüs neben Typen in bauchfreien Shirts, Menschen in regenbogenfarbenen Röcken neben halstätowierten Hipstern.
Eine sektbeschickerte Truppe versucht, kurz bevor es los geht, immer wieder eine La Ola Welle durch die Halle zu treiben, aber das Publikum ist zu aufgeregt, um mitzumachen und starrt und fiebert nur gen Bühne.
Den Hintern in die Menge
Und dann kommt Lizzo. Und zwar aus der Bühne hochgefahren. In einem hautfarbenen Ganzkörperbody, der nur an einigen neuralgischen Stellen glitzernde Neonpatches aufgenäht hat. In derben, ebenfalls neonfarbenen Boots. Und man versteht ihre ersten Zeilen kaum, weil die Halle derartig kreischt. Ihre Band besteht nur aus Frauen, Lizzo nennt sie liebevoll ihre Lizbians. Die Band spielt live, was bei dieser Art von RnB und Rap durchaus ungewöhnlich ist. Aber natürlich kommen zusätzlich noch Beats und Sounds aus dem Computer. Dann stolziert Lizzo das erste Mal ganz nah ans Publikum und reckt ihren Hintern gen Menge und schüttelt ihn mit aller Kraft. Erneut zieht ein Kreischen durch die Halle.
Die Botschaft: Auch dicke Menschen können alles sein
Acht Tänzerinnen flankieren Lizzo bei ihrem Auftritt, in pinkfarbenen, viel Haut zeigenden Kostümchen - und sie alle haben eine ähnliche Figur wie die Sängerin. Und sie tanzen, streng choreographiert, wie die Wahnsinnigen. Dieses Ensemble kann man nicht anders verstehen, als einen Mittelfinger ins Gesicht derjeniger, die meinen, dicke Menschen könnten nicht stark, sportlich, sexy und absolut umwerfend sein.
Ihre Stimme streichelt, fleht und bellt
Es wäre natürlich eigentlich besser, Lizzos Figur gar nicht zu erwähnen und nur von ihrer Musik zu sprechen, diesem beatgefüllten RnB Rap, der straight genug ist, um massenkompatibel zu sein, aber auch zackig genug, um nie zu langweilen. Oder über ihre Stimme. Die bei den langsameren Nummern, wenn sie sich auf dem Steg, der in den Zuschauerraum ragt, auf ein Sofa setzt, erst richtig durchkommt. Wenn sie fleht und streichelt und zetert und bellt, alles gefühlt gleichzeitig. Aber Lizzo hat sich selbst zum Sprachrohr der Body Positivity Bewegung und der queeren Szene gemacht und ihre Figur ist für einen Popstar derart ungewöhnlich und die Leute lieben sie an diesem Abend so sehr für alles was sie da tut und sagt, Sachen wie: Love yourself, you are great, dass man das einfach erzählen muss.
Lachen, lieben, weinen
Wenn Menschen sich in den Armen liegen, sich küssen, sich in allem bestätigt fühlen, was sie schon so lange spüren, weil da eine steht, die die Halle mit Liebe und Zuneigung überschüttet, die sich einzelne Fans raussucht und sie kurz interviewt, dann gackernd ein paar Sprüche reißt, so dass die Halle das Gefühl hat: Wir alle gehören zusammen und genau jetzt genau hierher - da geht einem schon das Herz auf. Und auch Lizzo verdrückt ein paar Tränen, als das Publikum gar nicht mehr aufhören will zu klatschen und zu johlen.
Wunderbar zu sehen auf der riesigen, halbrunden Videowand hinter der Sängerin. Die Videowand ist so riesig, dass man das Gefühl hat gleichzeitig bei einem Konzert und im Kino zu sein. Nur den Rammstein Song, den Lizzo kurz anstimmt, hätte man vielleicht weglassen können. Die meisten Leute in der Halle wissen eventuell gar nicht mehr so genau, wer das ist. "My Body Choice" wird irgendwann auf Lizzos Körper gebeamt und wieder Jubel. Und Tränen. Umarmungen. Liebe. Alles. So politisch, warm und lustig kann Pop sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 01.03.2023, 6:55 Uhr