Persönlicher Blick - Der Sound von Depeche Mode hat mich geprägt
Depeche Mode sind mit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern die größte Electro-Pop-Band weltweit. Am Freitag und Sonntag spielen sie im Olympiastadion. Sebastian Hampf blickt auf seine ganz persönliche Geschichte mit der Band zurück.
Vier Mark. So viel habe ich 1990 für meine erste Kassette auf dem Polenmarkt in Słubice bezahlt. Es war das Album "Violator" von Depeche Mode. Klar war es kein Original, aber das wusste man, wenn man an einen der vielen Stände ging, um nach cooler Musik zu suchen. Und darum ging es letztlich auch – um die Musik.
Ich bin ein Wendekind und im Osten aufgewachsen. Das Land meiner Kindheit war am Ende. Der Blick aus meinem Kinderzimmer zeigte marode und teilweise leerstehende Altbauten. Gespielt haben wir oft in ausgeschlachteten Trabis und Skodas. Wie es weiter gehen sollte, ungewiss. Ich habe es damals nicht so empfunden, aber diese Situation hat natürlich auch mit mir etwas gemacht. Und die Musik von Depeche Mode war dafür der passende Soundtrack: dunkel, kühl und kraftvoll. Rückblickend war "Violator" also nicht die schlechteste Investition und hat mich lange durch die Teenager-Zeit begleitet.
Erstkontakt durch Cousine aus Frankfurt (Oder)
Mein Erstkontakt begann jedoch schon früher, um 1986/87 in Frankfurt (Oder). Meine Cousine ist ein paar Jahre älter und gehörte zu den Depeche-Mode-Fans, von denen es in der DDR einige gab. Ich war damals sieben, acht Jahre alt und für die Musik habe ich mich noch nicht sonderlich interessiert. Der Eindruck der Band oder besser ihrer Musik war jedoch bleibend, so dass ich mir ein paar Jahre später eben meine erste eigene Depeche-Mode-Kassette kaufte.
Im Zimmer meiner Cousine hingen damals Poster der Synth-Pop-Band, "Black Celebration" und "Music for the Masses" auf kopierten Orwo-Kassetten liefen eigentlich immer.
Die einzige Amiga-Lizenzplatte der Band stand bei ihr auch auf dem Schrank, beinahe wie der heilige Gral in Szene gesetzt. Auf dem Schulhof wurden Poster für fünf Mark gehandelt.
Dunkelheit und Schwere
Um die Texte verstehen zu können, war ich da immer noch zu jung, doch Musik funktioniert in erster Linie über das Gefühl. Und "Violator" holte mich voll ab. Diese Dunkelheit und Schwere im Sound, dazu das schlaue Beat-Programming und die Stimme von Dave Gahan fand ich einfach krass.
Ich habe immer das Sound-Design bewundert. Es klang nie nach vorgefertigten Elementen. Die Drums waren hart, metallisch, kühl. Die meist melancholischen Melodien erzeugten einen Sog, der durch die Stimme verstärkt wurde. Das hat mich an Depeche Mode am meisten fasziniert.
Depeche Mode waren nie eine Boyband
Aber klar, auch die Texte waren wichtig und bei Depeche Mode oft auf das Wesentliche reduziert. Mit wenigen Worten viel sagen, und zwar so, dass sich möglichst viele Menschen damit identifizieren können - diese hohe Kunst der Reduktion beherrscht die Band wie kaum eine andere große Pop-Band.
Lässt man die musikalische Komponente weg, bleiben die Personen hinter Depeche Mode. Dave Gahan, Martin Gore, Andrew Fletcher (bis 2022) und Alan Wilder (bis 1995) waren nie eine Boyband und verkörperten dennoch eine Art Prototyp dessen. Vier ganz unterschiedliche Jungs – in ihrem Charakter, aber auch in ihrem Äußeren - die perfekte Projektions- und vor allem Identifikationsfläche für Millionen Menschen.
Die Klamotten fand ich auch irgendwie cool, die Begeisterung für die Musik war bei mir aber immer größer. Wer weiß, wäre ich 1990 schon 16 Jahre alt gewesen, hätte ich mir vielleicht auch die Frisur von Dave Gahan schneiden lassen.
Texte eckten bei DDR-Oberen nicht an
Meine Cousine fand Dave Gahan "schnucklig", wie man damals sagte. Allein war sie damit nicht. In ihrer Klasse und Clique gab es viele Fans der Band. In der gesamten DDR hatten sie eine große Fan-Gemeinde - etwa 70 Fanclubs gab es damals [mdr.de].
Erst kürzlich bei einem Klassentreffen meiner Cousine bestätigte sich der große Einfluss von Depeche Mode, denn zwei, drei ehemalige Klassenkameraden sind der Band bis heute treu – mit typischen Frisuren und Merchandise. Meine Liebe zur Band dagegen reichte immer für Tonträger - Frisuren oder Band-T-Shirts waren mir aber irgendwie zu viel.
Aus Kassetten wurden Schallplatten
Irgendwann wurden aus Depeche-Mode-Kassetten Schallplatten - und zwar eine ganze Menge. Depeche Mode macht zwar nur ungefähr ein Prozent meiner Sammlung aus, sie sind dennoch die Band, von der ich die meisten Tonträger besitze. Meine Sammlung ist wahrscheinlich auch größer als die der meisten Menschen. Gute Musik zu besitzen war mir immer wichtiger, als die Künstler live zu sehen oder Kaffeetassen im Schrank stehen zu haben.
Um das Jahr 2001 hätte es dann fast geklappt mit meinem ersten Depeche-Mode-Konzert. Da gab es noch keine Online-Tickets und man musste herumtelefonieren, wenn man nicht gerade einen Ticketladen vor der Tür hatte (Hallo Provinz!). Es blieb beim Versuch, denn die Deutschlandkonzerte in Berlin, Leipzig und Hamburg waren mindestens so schnell ausverkauft wie heutzutage.
Es sollte nochmal 16 Jahre dauern, bis ich die Band aus Basildon live erleben konnte. Am 22. Juni 2017 im Berliner Olympiastadion grölte ich all die Hits von Dave, Martin und Andrew mit und war überrascht, mit welcher Energie die Band immer noch auftrat.
Das manifestierte natürlich in erster Linie in der Performance von Dave Gahan, die Stimmung übertrug sich aber ab der ersten Sekunde auf alle Konzertbesucher. Der Sound war erfreulicherweise auch ziemlich okay, was sich ebenfalls positiv auf die Stimmung und meine Erinnerung an das Konzert auswirkte.
Berlin-Konzerte Nummer 24 und 25
Jetzt spielen Depeche Mode abermals im Olympiastadion. Es werden die Konzerte Nummer 24 und 25 in Berlin sein. Mitgezählt wurde auch das einzige Konzert in Ost-Berlin in der Werner-Seelenbinder-Halle 1988. Somit bleibt Berlin der Ort, an dem Depeche Mode die meisten Konzerte in Deutschland gespielt hat.
Sie sind unterwegs mit dem neuen Album "Memento Mori". Der lateinische Ausdruck bedeutet "Bedenke, dass du sterben wirst". Laut Aussage der Band [tagesspiegel.de] bezieht es sich nicht auf den unerwarteten Tod von Andrew Fletcher im Mai vergangenen Jahres, der Titel der Platte habe bereits vorher festgestanden.
Depeche Mode sind seit mehr als 40 Jahren als Band unterwegs und durch viele Höhen und Tiefen gegangen. Ein Suizidversuch und Drogeneskapaden hätten Dave Gahan Mitte der 1990er Jahre fast das Leben gekostet.
Erinnerung an frühere Zeiten
Auch wenn Depeche Mode, um mit ihren Alben-Titeln zu sprechen, nicht mehr mein "Ultra" sind, spielen sie am Freitag und am Sonntag in Berlin "Music for the Masses".
Mein Interesse an neuer Musik der Band wurde dagegen in den vergangenen Jahren weniger. Mich persönlich holt der Sound nicht mehr so ab wie bei älteren Platten. Spätestens seit dem Album "Sounds of the Universe" (2009) fehlt mir das, was die Band musikalisch so einzigartig gemacht hat.
Das passiert und ist auch okay. Ich habe die Band durch das Konzert im Jahr 2017 in guter Erinnerung. Das soll so bleiben - zu einem der aktuellen Konzerte werde ich nicht gehen.
Ohne nostalgisch zu werden, kann ich von Zeit zu Zeit eine ältere Platte auflegen und mich am Depeche-Mode-Sound begeistern, der so viele andere Bands beeinflusst und mich musikalisch sehr geprägt hat. In den vergangenen 20 Jahren habe ich mich sehr intensiv mit Hiphop und elektronischer Musik befasst.
Depeche Mode waren in all der Zeit aber eine Konstante, die meine Musikwelt wie ein Satellit umkreiste und durchaus stilprägend für andere Genres war, für die ich mich über die Jahre begeistern konnte. Dunkle, melancholische, kühle Musik fasziniert mich bis heute sehr - Depeche Mode sei Dank.
Sendung: Antenne Brandenburg, 07.07.2023, 16:20 Uhr