Konzertkritik | Bernadette La Hengst im Schokoladen - Polit-Pop vor der ganzen Familie
"Visionäre Leere" heißt das neue Album von Bernadette La Hengst. Seit vergangener Woche ist die Mitbegründerin der Hamburger Schule damit auf Tour. Das Konzert im Schokoladen in Berlin wurde dabei zu einer ganz besonders familiären Angelegenheit. Von Lennart Garbes
Ein bisschen fühlt es sich an, wie ein Treffen mit guten, alten Freunden. Das liegt einerseits an der Bar des Schokoladens, einem der letzten alternativen Hausprojekte in Berlin-Mitte, die mit etwa 100 Menschen schon komplett voll und ausverkauft ist. Und anderseits daran, dass Bernadette La Hengst schon vor dem ersten Song durch diese 100 Menschen durch muss, um überhaupt mit ihren vier Bandmitgliedern auf die Bühne zu kommen. Einige Umarmungen gibt es deswegen schon vor dem Konzert. Dann pfeffert die Sängerin ihren blauen Cardigan in die Ecke und stimmt im schulterfreien, silbernen Glitzerkleid die ersten Songs an.
Zu Beginn spielt die Musikerin, die mit ihrer früheren Band "Die Braut haut ins Auge" in den 90er Jahren genauso zu den Mitbegründern der Hamburger Schule gehörte wie die Sterne oder Tocotronic, vor allem Lieder von ihrer neuen, siebten Solo-Platte.
Pop, Politik und Persönliches
Wie immer bei Bernadette La Hengst geht es dabei spielend leicht hin und her zwischen Pop, Politik und Persönlichem. Neben dem albumtitelgebenden "Łużyca Du visionäre Leere", das von den Narben handelt, die der Kohletagebau in der Lausitz hinterlassen hat, gibt es Songs über das Coronavirus, das auch nur geliebt werden möchte, und die Systemrelevanz der Musik. Bevor es nahtlos weitergeht zu feministischen Balladen und einen "Mama-Blues", in dem die Sängerin das Erwachsenwerden ihrer Tochter verarbeitet.
Kurz darauf steigt die gerade besungene Tochter, die 19-jährige Ella Mae Hengst, dann selbst aus dem Publikum auf die Bühne, um mit ihrer Mutter im Hintergrund den gemeinsamen Song "Gib mir meine Zukunft zurück" zu singen. So locker und selbstbewusst, als ob sie wie ihre Mutter schon seit Jahrzehnten auf der Bühne stehen würde.
Eine Stunde Zugabe
Noch während des Songs sorgt das zärtliche Mutter-Tochter-Duett für Jubelstürme beim Publikum, bei dem sich auch ein paar jüngere Fans unter die Ü40er und Ü50er gemischt haben. Und eigentlich wäre das auch schon ein gelungener Höhepunkt für diesen Konzertabend. Stattdessen aber steigt Tochter Ella wieder ins Publikum und die Band zieht sich ein paar Lieder später kurz hinter den obligatorischen roten Mini-Vorhang zurück, um dann noch eine volle Stunde Zugabe dranzuhängen.
Bernadette La Hengst wechselt dafür immer wieder zwischen Gitarre und Keyboard, singt, tanzt und schmettert Parolen gegen Menschenfeindlichkeit und Intoleranz. Da ist es gar nicht weiter schlimm, dass ihr an ein paar Stellen der Text flöten geht, die Gitarre zwischendurch neu gestimmt werden muss und Background-Sänger Nick Nuttall zwischenzeitlich Probleme mit seinem Minisynthesizer hat. Im Gegenteil verstärkt sich so nur noch der Eindruck, dass das hier ein entspannt vertraulicher Abend unter guten Bekannten ist.
Da passt es dann auch wie die Faust aufs Auge, dass nach stolzen zwei Stunden Konzert eine glücklich verschwitze Sängerin zusammen mit einem beseelten Publikum den letzten Song des Abends anstimmt: "Lass uns Drogen nehmen und rumfahren" – die beste Antwort auf jede Form der visionären Leere.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.01.2024, 6:55 Uhr