TXL wird Veranstaltungsort - Eine Kultur-Oase in der Flughafen-Wüste
"Lift Off", heißt es am früheren Berliner Flughafen Tegel. Allerdings starten keine Jets, sondern ein Kulturprojekt: Das Turbulence-Kollektiv hat dort einen Veranstaltungsort aufgebaut, am Samstag starten die Konzerte und DJs umsonst und draußen. Von Jakob Bauer
Eine alte Frachtkantine im Westen des stillgelegten Flughafens Tegel: Wo früher leckeres Flugzeugessen gekocht wurde, ist jetzt der Backstage-Bereich für die Veranstalter des Turbulence-Kollektivs. Draußen, auf dem Open Air Areal, wuseln Menschen umher, bauen Tanzpodeste und Bühnendekoration, sitzen auf Sofas unterm Sonnensegel und kümmern sich um letzte organisatorische Fragen.
Pflanzen und kleine Bäume tupfen trotziges Grün in das von Beton geprägte Areal. Im Hintergrund liegt brutalistisch, imposant und unendlich weit das Vorfeld des alten Flughafens. Raul Llamas Kirchhoff vom Turbulence-Kollektiv schaut dauernd auf sein Handy, muss hierhin und dorthin. Die Hebeanlage der Toiletten macht Probleme, der Elektriker kommt nochmal vorbei. Letzte Handgriffe vor dem Lift Off.
Am Samstagnachmittag startet das Turbulence-Kollektiv in die Saison 2024. "In den letzten Jahren mussten viele Orte, viele Flächen in Berlin schließen, die gerade für Kollektive oder freie Gruppen tolle Veranstaltungsorte waren", sagt Raul: "Was wir schaffen wollen, ist ein Ort, wo Leute wirklich alles machen können, was sie wollen, aber das auch selbst machen müssen. Wir bieten also eine Spielfläche für andere."
Der "Lift Off" ist nur der Anfang
Seit Wochen zimmern sie hier – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Veranstaltungs-Infrastruktur hin. Denn der "Lift Off" am Samstag, bei dem mehrere DJs und eine Band auftreten, ist nur der Anfang. Bis Spätherbst sollen circa alle zwei Wochen Veranstaltungen stattfinden. Ein paar vom Turbulence-Kollektiv selbst veranstaltet, die Idee ist aber, dass das Kollektiv diese Fläche herrichtet und anderen Kollektiven kostenlos zur Verfügung stellt, das Gelände sozusagen kuratiert - für Clubkultur, Live-Musik, Theater oder Filme.
Dafür gibt es ab Juni einen Open Call, bei dem sich Gruppen bewerben können. Wer ausgewählt wird, kann auf dem Gelände veranstalten, ohne Miete zu zahlen, auch die Personalkosten werden übernommen. Außerdem soll das Gelände unter der Woche auch für Workshops, Gartenarbeit oder sportliche Betätigung zur Verfügung stehen. Eine bunte Mischung aus Quartiers- und Kulturarbeit soll so entstehen.
Ein Kulturort für's geplante Schumacher-Quartier
Das Turbulence-Kollektiv arbeitet dabei mit dem Projektfonds “Urbane Praxis” zusammen. Der fördert Projekte und Kulturakteure in Berlin, die im Bereich zwischen Stadtentwicklung und Kultur arbeiten, die sich mit dem öffentlichen Raum beschäftigen und ihn transformieren. Wie eben das Turbulence-Kollektiv.
25 bis 30 Projekte im Jahr finanziert der Fonds mit insgesamt fast 1,2 Millionen Euro Senatsgeldern, das Turbulence erhält für dieses Jahr 85.000 Euro. "Das ist ja ein ganz besonderer Standort", sagt Larissa Krause vom Fonds, sie ist an diesem letzten Vorbereitungstag auch auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens. "In der Planung vom Schumacher-Quartier war bisher gar keine kulturelle Nutzung geplant". Das Quartier ist das Wohnviertel, das hier auf dem Tegel-Areal entstehen soll. "Aber es gab damals, noch unter Kultursenator Klaus Lederer, die Idee, der Club-Kultur einen Ort zur Verfügung zu stellen. Wir haben hier sozusagen ein Modell-Projekt, das sich noch austestet und ausprobiert."
Experimentierfeld bis 2027?
Gemietet ist das Areal bis Ende 2027, für insgesamt fünf Jahre. Die Finanzierung ist allerdings erstmal nur bis 2025 gesichert, dann stehen neue Haushaltsdebatten an. Die Fläche soll grundsätzlich unterschiedlichen Kultur-Akteuren zur Gestaltung zur Verfügung gestellt werden, 2024 ist aber erstmal das Turbulence-Kollektiv dran.
Ihr Ziel: Einen inklusiven, barrierefreien Kulturraum zu schaffen. Und tatsächlich ist Barrierefreiheit hier eines der prägenden Gestaltungsmerkmale. Ein hübsches, großes selbstgebautes Rollstuhl-Podest steht gegenüber der Bühne, Rampen verbinden unterschiedliche Ebenen.
"Was man zur Eröffnung sehen kann, ist nur der Grundstein. Dann wird weiter gebastelt, gebaut, gemalt, geschraubt. Es wird sich die ganze Zeit verändern, es ist Work-In-Progress", sagt Raul beim Gang über das Gelände. Einer baut gerade noch Sitz- und Tanzpodeste, der andere bastelt am DJ-Pult, eine Holz-Metall-Konstruktion, letzter Feinschliff, "damit das schick aussieht."
Die 90er sind vorbei
Eine runde Tischtennisplatte steht da noch, eine Zaun-Konstruktion mit Sichtfenster auf das Rollfeld. Auf dem Gelände verteilt sind überall Blumentöpfe und Beete, viele hier seien auch in Pflanzen- und Permakultur-Projekten engagiert, erzählt Raul. Himbeeren, Erdbeeren und Felsenbirnen sind hier gepflanzt, aus Töpfen wachsen Pappeln. "Seit der Schließung ist der Flughafen so eine Wüste aus Beton und Stein", sagt Raul, "und wir wollen hier mehr Aufenthalts-Qualität reinbringen. Wir wollen eine kleine Oase in der Betonstadt werden." Eine Kultur-Oase in der Flughafen-Wüste.
Ein Projekt, das hoffentlich weiterlaufen kann, wie Larissa Krause vom Projekfonds Urbane Praxis sagt. "Die 90er Jahre sind vorbei. Wir haben die Freiräume von damals nicht mehr in der Stadt. Und trotzdem versuchen wir, irgendwie das Gefühl zu erhalten. Wie kriegen wir es hin, dass Kultur sich ausleben kann, gerade junge Künstler*innen und Veranstalter*innen? Das wollen wir hier ausprobieren." Aber, fügt sie noch hinzu, dafür braucht es das Geld von der Politik und auch den politischen Willen, solche Experimentier-Flächen weiter zu finanzieren.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.05.2024, 08:54 Uhr