Interview | Volker Kutscher - "Es ist nicht immer so leicht zu erkennen: Was ist jetzt das Richtige?"
Wie das weltoffene Berlin zur NS-Metropole wurde, schildern Volker Kutschers Gereon-Rath-Romane. Bald erscheint der letzte Band der Reihe. Im Interview spricht der Erfolgsautor über aktuelle Parallelen, die Hintergründe seiner Geschichten und seinen neuen Podcast beim rbb.
rbb: Volker Kutscher, Sie haben bis vor kurzem an ihrem aktuellen Roman "Rath" geschrieben, der am 24. Oktober erscheint. Es ist der zehnte und damit letzte Teil der Romanserie. Wie geht's Ihnen damit?
Volker Kutscher: Sehr gut, denn es zieht sich hin bei einem Roman und umso schöner ist es dann, wenn man durch ist und denkt: Ja, hat hingehauen.
Was für ein Schreibtyp sind Sie, arbeiten Sie auf den letzten Drücker?
Ich brauche natürlich ein bisschen den Druck von außen, um überhaupt mit der Selbstdisziplin in Gang zu kommen. Was ich auch ab und zu brauche: Ich gehe in Schreibklausur und mache ein oder zwei Wochen nichts anderes außer Schreiben, Essen, Schlafen. Ich kapsele mich ein wenig ab von der Welt, dann bin ich am produktivsten. Am besten klappt es immer in den Nachtstunden. Ja, ist schon so ein bisschen was wie ein Straflager, wo man nichts anderes macht, als seinem Beruf nachzugehen. Aber es ist ein schöner Beruf. Wenn man dann das Ganze in eine gute Form bringt und erkennt, in welche Richtung die Geschichte geht, dann fängt es an, wieder richtig, richtig Spaß zu machen.
Wie würden Sie ihre Roman-Reihe um Kommissar Gereon Rath jemandem erklären, der die nicht kennt?
Im Pitchen bin ich sehr schlecht. Es geht darum, dass ein Kölner in Berlin – ein Alien in Berlin – als Kriminalpolizist in Mordfällen ermittelt. Und das in den Jahren, in denen sich Deutschland total ändert, sich von einer Demokratie in eine Diktatur wandelt. Die Polizeiarbeit ändert sich, aber auch das Leben der Menschen. Ich habe eine Menge Figuren, ein großes Ensemble, und wir gucken in die Köpfe eines jeden einzelnen rein.
Ihre Bücher um Gereon Rath und Charlotte Ritter sind sehr erfolgreich. Sie wurden zur Vorlage für die gefeierte Serie "Babylon Berlin". Jetzt gibt es sogar einen rbb-Podcast mit Ihnen. Was hat Sie daran gereizt, mitzumachen?
Ich quatsche ganz gerne, und über das eigene Sujet sowieso. Aber es ist nicht nur das. Wir erzählen sehr viel über Geschichte, die historischen Hintergründe, und das auf eine lockere Art und Weise. Podcast ist einfach ein schönes Format, um sowas dann auch ein bisschen ausbreiten zu können, das hat großen Spaß gemacht.
"Der Zerfall Babylons – mit Volker Kutscher durch Berlin 1929 bis 1938" heißt der Podcast und Sie reisen zusammen mit dem Host Thomas Böhm zurück in eine Zeit, in der das Verbrechen zum Gesetz wurde. Worum geht es?
Es geht um vieles, natürlich auch um die jeweiligen Romane, es sind immerhin zehn geworden - also eine Romangeschichte in jedem Kalenderjahr von 1929 bis 1938. Wir greifen Aspekte aus der Handlung auf, aber auch die historischen Bezüge. Es ist mir wichtig, ein bisschen Interesse zu wecken an Geschichte. Gerade in den heutigen Zeiten ist das nicht unwichtig, bestimmte Fehler, die damals unser Vorfahren gemacht haben, nicht nochmal zu machen.
Sie greifen geschichtliche Ereignisse wie Weltwirtschaftskrise, Machtübernahme der Nazis auf, aber im Mittelpunkt stehen die Menschen.
Es geht nicht um die großen historischen Ereignisse, sondern eher darum, wie sich diese gravierende Änderung des Lebens in Deutschland im Alltag der Menschen bemerkbar macht.
Welches Ereignis hat Sie bei der Recherche überrascht?
Das war eine ganze Menge. Die Unruhen aus den Mai 1929 im ersten Roman waren mir kein Begriff, sind aber nicht ganz unwichtig, weil er zum ersten Mal wieder bürgerkriegsähnliche Zustände auf Berlins Straßen geherrscht haben. Oder im aktuellen Roman die Polen-Aktionen, die der Pogromnacht vorausgegangen ist. Da sind erstmals in großem Stil Juden deportiert worden. Sie wurden mitten in der Nacht im November aus den Betten geholt und kaum bekleidet mit kleinen Köfferchen ins Niemandsland an die polnische Grenze bei Wind und Wetter deportiert und da ausgesetzt. Was da genau passiert ist, ist im allgemeinen Bewusstsein ein bisschen verschüttet gegangen. Denn vieles wird verdeckt durch die noch viel schlimmeren Dinge, die dann später kamen, wie Krieg und Holocaust.
Im Gegensatz zur Fernsehserie, die 1933 endet, geht ihre Romanreihe – und auch der Podcast – bis 1938. Wieso?
Mir war es wichtig, das Leben in der Diktatur, das sich langsam etabliert, aufzuzeigen. Das war nicht von jetzt auf gleich. Das Jahr 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war natürlich eine große Zäsur. Aber viele haben gehofft, dass es nicht lange anhalten wird. Er war ein Reichskanzler von vielen, die haben damals alle eine relativ geringe Halbwertszeit gehabt, also zwei bis drei Monate, vielleicht mal ein halbes Jahr, aber länger bestimmt nicht. Das haben die Leute, die keine Nazis waren, sich auch von Hitler ein bisschen erhofft. War aber nicht so, und der Alltag ging weiter, die Leute lebten ihr alltägliches Leben. Wenn man nicht gerade vom Regime verfolgt wurde als Kommunist – das war im ersten Jahr fast noch mehr als bei Juden – konnte man sein Leben weiterleben. Man konnte sich anpassen, man konnte es einfach auch komplett ignorieren.
Aber es war kein vorübergehendes Ereignis.
Immer mehr verstrickte man sich in Schuld, denn das Regime griff immer mehr auch in den Alltag ein. Dem musste man sich stellen – entweder bejahen oder verneinen. Auf Dauer wegducken ging eben auch nicht. Das ist für mich schon eine sehr interessante Frage, weil es auch um meine Vorfahren geht. Wie hat man sich verhalten? Wie mutig musste man sein? Welche Entscheidung ist es eben auch, zu emigrieren, zu sagen, ich verlasse mein Land aus politischen Gründen?
Im Rückblick kann man leicht urteilen über Menschen, die damals gelebt haben. Aber wenn man mittendrin ist, ist das eine ganz andere Frage. Das aufzuzeigen, ist für mich sehr wichtig, denn es könnte auch durchaus wichtig sein für unsere heutige Zeit, sich dem zu stellen. Was mache ich, wenn eventuell die AfD an die Regierung kommt, und wenn es wieder autokratischer wird in Deutschland? Bleibe ich dann, um Schlimmeres zu verhindern? Oder verlasse ich das Land? Es ist nicht immer so leicht zu erkennen: Was ist jetzt das richtige Handeln, in welchen Situationen? Und es ist nicht verkehrt, wenn man sich darüber zumindest im Fiktionalen schon mal Gedanken gemacht hat.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Fanny Michaelis, rbb24 Inforadio. Dieser Beitrag ist gekürzt und redaktionell bearbeitet. Das Original-Gespräch können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Header nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 29.09.2024, 06:20 Uhr