Weideschuss in Brandenburg - Wenn schon töten, dann anständig
Seit langer Zeit stehen Viehtransporte und Schlachthöfe in der Kritik. Oft würden Tiere in den Lastwagen leiden, heißt es - und in den Schlachthöfen besonderen Stress erfahren. Die mobile Schlachtung funktioniert anders. Von Ludger Smolka
Es klingt paradox, doch für Holger Behrens ist es kein Widerspruch: Er schlachtet Tiere und doch liegt ihm das Tierwohl am Herzen. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof. Nachdem er viele Jahre als Manager im Sanitärbereich gearbeitet hat, kehrte er im vergangenen Jahr zu seinen Wurzeln zurück und will nun Nutztieren den Weg in den Tod erleichtern. Klingt seltsam, er trifft aber einen Nerv in der Branche – und bei immer mehr Verbrauchern.
Behrens ist Fleischer, hat seinen Betrieb in Glau, einem Ortsteil von Trebbin in Teltow-Fläming. Auch wenn er Tiere tötet, sagt er, habe er dennoch Respekt vor ihnen. Er will nicht nur, dass sie artgerecht aufwachsen, sondern auch, dass sie anders als die meisten Rinder und Schweine sterben. Damit meint er: nicht in einem unbekannten Schlachthof nach stundenlanger Fahrt im Viehtransporter. "Das bedeutet Stress pur für die Tiere", sagt Behrens, "im Transporter und erst recht im Schlachthof." Dort werden sie in aller Regel mit einem Bolzenschuss betäubt und sterben dann durch Ausbluten nach einem Schnitt in die Kehle.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden pro Tag in Deutschland mehr als zwei Millionen Tiere geschlachtet: 1,7 Millionen Hühner, 142.000 Schweine, 91.000 Puten, 26.500 Enten und 9.000 Kühe. In Brandenburg wurden im gesamten Jahr etwa 29.000 Rinder gewerblich geschlachtet.
Statt Stress im Schlachthof Entspannung auf der Weide
Um den Prozess für die Tiere möglichst stressfrei zu machen, wirbt Behrens für den Weideschuss. Dabei werden freilebende Tiere in ihrer Herde geschossen – mit einem großkalibrigen Gewehr direkt ins Gehirn. Bis zum Schluss haben die Tiere keinen Stress, sie sterben in vertrauter Umgebung. Zugelassen ist diese sogenannte mobile Schlachtung in Brandenburg seit 2022.
Mara Hübner beaufsichtigt eine rund 100 Tiere starke Rinderherde in der Nachbarschaft als Herdenmanagerin. Und auch sie findet den Weideschuss viel besser als die Schlachthof-Tötung: "Weil es die Tiere wertschätzt. Und eben nicht unter Stress setzt. Das ist ruhig auch für die ganze Gruppe. Die laufen da nicht weg, haben keine Panik. Die sind dann relativ entspannt".
Hübner qualifiziert sich gerade weiter, noch darf sie nicht selber schießen. Sie braucht Sachkunde, einen Waffenschein, eine Waffenbesitzkarte und eine Haftpflichtversicherung und natürlich ein entsprechendes Gewehr, mit Munition und Safe – und Übung. Man muss schusssicher sein. Und: Der Schuss muss angemeldet werden, ein Veterinär muss dabei sein. Aufwand, der sich nach Ansicht von Holger Behrens aber lohnt.
Auch Biorinder sterben meist im Schlachthof
"Die Tiere produzieren bei der Tötung auf der Weide keine Stresshormone", erklärt Behrens. Im Gegensatz auch zu den meisten Biorindern, die meist in einem Schlachthof konventionell geschlachtet werden, zu dem sie mit einem Viehtransporter gebracht werden. "Wir haben Blutproben genommen und ausgewertet. Im Vergleich zur industriellen Schlachtung haben wir wesentlich geringere Cortisol-Werte, Andrenalin-Werte und Hormon-Werte allgemein", sagt Behrens. "Es ist einfach eine stressfreie Schlachtung zum Wohl des Tieres."
Und das würde auch der Verbraucher merken: Ein Tier, das übermäßig verängstigt, gestresst oder gar durch wiederholte Schläge der Treiber in einem Schlachthof gequält wird, "schüttet Angst- und Stresshormone aus." Wenn keine Stresshormone im Fleisch sind, unterscheide es sich in der Optik, Konsistenz und im Geschmack. Es sei zarter, ein Steak schrumpfe beim Braten nicht zusammen und halte mehr Wasser.
Mehr Qualität fürs Fleisch
Zur Fleischqualität trage auch bei, dass die Tiere sofort nach dem Schuss in einer mobilen Schlachtbox ausbluten und unmittelbar danach in eine Fleischerei oder in ein Schlachthaus gefahren werden, wo sie ausgenommen, enthäutet und gelagert werden. Das Fleisch, sagt Behrens, müsse auch nicht teurer sein: Die Wertschöpfung von der Herde über die Schlachtung bis zum Verkauf bleibe unmittelbar in der engeren Region. "Davon profitieren die kleinen Betriebe."
Und das ist auch im Sinne des Landwirtschaftsministeriums. Die Corona-Pandemie hat die großen Schlachthöfe mit schlecht bezahlten Mitarbeitern aus dem Ausland in Verruf gebracht. Die Folgen der afrikanischen Schweinepest kamen dann noch dazu. Die Umsätze brachen ein. Weil es in Brandenburg an Schlachtkapazitäten fehlte, dachte man im Potsdamer Landwirtschaftsministerium daran, zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern einen Schlachthof in der Region zu etablieren. Doch der Plan scheiterte, denn – so heißt es aus dem Ministerium in einer Antwort an den rbb: "Letztlich sind es unternehmerische Entscheidungen, die für oder gegen eine Ansiedelung ausfallen."
Schlachten rentiert sich nur bei fast voller Auslastung
Schlachten ist kostenintensiv und rentiert sich nur bei fast voller Auslastung, heißt es beim Landesbauernverband. Deshalb werden jetzt die jährlich rund 30.000 Rinder aus Brandenburg zum Schlachten in andere Bundesländer oder auch ins Ausland transportiert. Der Verband bedauert das: "Regionale Kreisläufe sind unser Ziel", heißt es auf rbb-Nachfrage, "kurze Transportwege vom Tierhalter zur Schlacht- und Zerlegungsstätte sind anzustreben." Das sei aktuell aber leider nur Theorie.
Um wieder einen mittelständischen Schlachtbetrieb in Brandenburg anzusiedeln, fordert der Bauernverband deshalb unter anderem eine "Anhebung der Investitionsförderung". Die Staatssekretärin aus dem Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg, Anja Boudon, stimmt grundsätzlich zu. Auf der Grünen Woche im Januar erklärte sie beim Klimagespräch des Landesbauernverbandes: "Die unzureichenden Schlachtkapazitäten sind eine große Herausforderung."
Vom Fell bis zur Schulter – das ganze Tier vermarkten
Ob sich das rechnet? Für Mara Hübner aus Trebbin geht es mehr um das Tierwohl: "Klar ist Massentierhaltung lukrativer und man verdient schnell Geld. Aber ich glaube, das ist es wert, sich da mehr Zeit zu nehmen. Und am Ende nur zwei, drei Tiere pro Tag zu schlachten."
Holger Behrens ist von dem regionalen Konzept auch aus ökonomischer Sicht überzeugt: "Wir können mit der teilmobilen Schlachtung auch größere Stückzahlen herzustellen. Dafür müssen wir auf jeden Fall aber auch das Gesamttier in der Verwertung noch weiter fokussieren. Das heißt, dass wir auch zum Beispiel die Felle dementsprechend gerben, kleine Taschen draus machen - mit einem Branding drauf: 100 Prozent ohne Tiertransport aus Brandenburg." Um das zu realisieren, bräuchte es aber noch mehr mobile Schlachter. Sein Ziel ist ein ganzes Netz von Erzeugern. Kunden dagegen, sagt er, die auf das Wohl von Tieren Wert legen und bereit seien, dafür tiefer in die Tasche zu greifen, die gäbe es genug.
Ministerium begrüßt die mobile Schlachtung
Das Landwirtschaftsministerium in Potsdam begrüßt den Ausbau von mobiler Schlachtung. Zwar "können Schlachtbetriebe nicht ersetzt werden, aber sie stellen eine sinnvolle Ergänzung dar. Mobile Schlachtung erspart den Tieren lange Anfahrtswege und somit zusätzlichen Stress und Belastung." Das Interesse der Landwirte an dieser Möglichkeit steige, heißt es.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 10.04.2023, 19:30 Uhr