Willkommensklassen - Hunderte geflüchtete Kinder in Berlin warten auf einen Schulplatz

Do 25.05.23 | 07:24 Uhr | Von Kirsten Buchmann
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Symbolbild: «Klasse 1c. Herzlich Willkommen» steht bei der Einschulung auf dem Smartboard in einer Berliner Schule. (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Video: rbb24 Abendschau | 25.05.2023 | Heike Schüler | Bild: dpa/Christoph Soeder

Rund 11.000 neu zugewanderte und geflüchtete Kinder und Jugendliche in Berlin besuchen Willkommensklassen, wo sie Deutsch lernen. Rund 1.600 Kinder aber haben bisher noch keinen Platz. Von Kirsten Buchmann

An den Wänden hängen große, bunte Buchstaben sowie Plakate mit zwei Händen und den Worten "links" und "rechts". Hier lernt die Willkommensklasse "W 1" der Bruno-H.-Bürgel-Schule in Tempelhof-Schöneberg Deutsch. Die zwölf Kinder kommen unter anderem aus Afghanistan, Russland und der Ukraine. Willkommensklassen-Leiterin Corinna Köhn lobt Liza aus der Ukraine für ihre Hausaufgaben: "Wow, gut gemacht". Die Achtjährige ist stolz, was sie schon kann: "Ich habe das deutsche Alphabet gelernt." Das sei leicht gewesen.

Laut Schulleiter Jens Otte bleiben die Kinder rund ein Jahr in Willkommensklassen, bis sie in reguläre Klassen wechseln. Um sie in Mathe und Deutsch weiter zu fördern, bekämen sie dann teils noch in kleinen Gruppen Unterricht: "Wenn es möglich ist, tun wir das - natürlich sind das alles Personalressourcen. Punktuell gelingt das sehr gut. Aber dauerhaft ist das schwierig."

Vorbereitende Lerngruppen

So weit, überhaupt an einer Schule zu lernen, ist der 16-jährige Nour aus Syrien noch nicht. Er wartet erst mal darauf, dass er einen Platz in einer Willkommensklasse erhält. Bis dahin besucht er in Lichtenberg vormittags eine "Fit für die Schule"-Lerngruppe. Das vorbereitende Programm wird von der Bildungsverwaltung gefördert und von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung angeboten. In einer solchen Gruppe lernt Nour erste deutsche Grammatik und bei Museumsbesuchen und Ausflügen die Stadt kennen, "mit S-Bahn und mit Straßenbahn", wie er sagt.

Nour ist es wichtig, bald einen Platz in einer Willkommensklasse zu bekommen. "Ich möchte eine Ausbildung machen und als Krankenpfleger in Berlin arbeiten." Um eine Ausbildung anzufangen, braucht er zunächst einen Schulabschluss.

Seiner Deutsch-als-Zweitsprache-Lehrerin Dana Berg ist es wichtig, ihn und andere auf die Willkommensklassen vorzubereiten: "Manchmal sind sie schon nach zwei Monaten in der Schule, wenn sie viel Glück haben. Aber in der Regel müssen sie sieben Monate warten." Das Projekt "Fit für die Schule" sei dafür da, "dass sie in den Willkommensklassen nicht von vorne anfangen müssen".

Lange Wartelisten

Laut Yvonne Hylla von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung warten momentan rund 1.600 Kinder und Jugendlichen auf Schulplätze, dazu kämen noch welche in Notunterkünften und Ankunftszentren: "Im Moment gibt es bestimmte Bezirke und große Unterkünfte, wo viele Kinder und Jugendliche auf der Warteliste stehen." Hier müsse das Angebot an Willkommensklassen auf jeden Fall weiter ausgebaut werden. Besonders lang seien die Wartelisten in Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Pankow, sowie wegen der großen Unterkünfte beziehungsweise Ankunftszentren in Tempelhof und Tegel.

Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch zufolge werden am Ukraine-Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel gerade 13 Container aufgebaut. Sie sind allerdings nicht für Unterricht gedacht. Geplant sind laut der Senatorin Angebote, um für rund 200 geflüchtete Kinder den Tag zu strukturieren: "Wir reden von krisenbehafteten, zum Teil schwer traumatisierten Kindern. Die brauchen dringend eine Struktur." Sie könnten nicht den ganzen Tag rumsitzen und nichts zu tun haben, sondern bräuchten Angebote. Sprachbildung sei automatisch enthalten, sagt die Senatorin: "Das Schöne bei Kindern ist ja: Sprachbildung ist überall dabei. Wenn Sie mit ihnen spielen, wenn Sie ihnen was vortanzen, wenn Sie sich bewegen, wenn Sie sich mit ihnen unterhalten. Aber es ist kein Deutschunterricht, der da stattfindet."

Unterricht in Schichten und am Wochenende

Für die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, Klara Schedlich, steht die Schule im Vordergrund: "Das Ziel muss sein, allen Kindern einen Schulplatz zu bieten. Wir haben einen Bildungs- und Erziehungsauftrag." Um Lehrkräfte für Willkommensklassen zu gewinnen, drängt sie darauf, ausländische Abschlüsse von Pädagogen schnell anzuerkennen. Räume könnten auch am Wochenende sowie doppelt, am Vor- und Nachmittag, von Willkommensklassen genutzt werden. Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Franziska Brychcy, sieht noch andere freie Kapazitäten, zum Beispiel an manchen Gymnasien: "Da würden wir uns vorstellen, innovativer zu sein und zusammenzuhalten, damit Willkommensklassen eingerichtet werden können."

Jede Schule sollte ihrer Meinung nach jeden nicht genutzten Raum prüfen, damit zusätzliche Willkommensklassen eingerichtet werden können.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.05.2023, 7:49 Uhr

Beitrag von Kirsten Buchmann

21 Kommentare

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  1. 21.

    1945 flüchteten Menschen nach Deutschland, jetzt flüchten Menschen nach Deutschland. 1945 wurden diese angefeindet, jetzt werden diese angefeindet. Hat keiner was aus 1945 gelernt? Damals waren flüchtende Menschen in höchster Not - jetzt flüchten Menschen in höchster Not. Stellen Sie sich bloß mal vor, Sie müssten fliehen und bekämen überall die Antwort "Zu voll - nur unsere Einwohner dürfen bleiben. Verschwinden Sie - aber ganz schnell" >>Das würden Sie doch begrüßen, wenn man Ihre Not dann vergrößern würde - weil solch Verhalten Ihrer Logik entspricht - eigentlich toll, oder? Da dürften hinkende und nicht hinkende Vergleiche überflüssig sein.

  2. 20.

    "... Dauerhaft mehr Kitaplätze als Kinder. ..."
    Nicht gleich nach den Sternen greifen ;-)
    zeitweise, gelegentlich, temporär, einstweilig, kurzzeitig ... wäre doch schon ein Fortschritt.

  3. 19.

    In einem Land, in dem man gut und gerne lebt, sollte doch eins sichergestellt sein:
    Dauerhaft mehr Kitaplätze als Kinder.
    Offenbar haben die ständig propagierten fortschrittlichen Bildungsrezepte ihren Praxistest nicht bestanden.
    Wie lange reden wir schon über zu wenig Kitas, zu wenig Erzieher, zu wenig Lehrer?
    Da es genug besser bezahlte Alternativjobs im Lifestyle-Segment bzw. in Marketing-Abteilungen oder Finanzproduktindustrie gibt, blutet die Daseinsvorsorge immer weiter aus.
    Die Politik ändert daran nichts, setzt die völlig falschen Berufsfelder-Anreize, und selbst ohne Arbeit kann man in Deutschland gut und gerne leben.
    Daher wird sich nichts ändern.
    Für die Kinder ist dies einfach nur traurig.

  4. 18.

    Kinder lernen schneller Fremdsprachen ohne Kurs und ohne Untericht einfach so durch Spiel- und Schulkameraden, als manchem Erwachsenen recht ist.

  5. 16.

    "Wir schaffen das" oder "Wir haben Platz" und die Realität, die böse, macht einfach nicht mit.

  6. 15.

    Wenn man Ihren Vorschlag 1945 gegenüber deutschen Flüchtlingen aus Ost-/westpreußen, Pommern und Schlesien zur Anwendung gebracht hätte, ja dann (dann können Sie sich diese Frage selbst beantworten, ohne rot im Gesicht zu werden).

  7. 14.

    Dann stimmt wohl bei mir was nicht, eigentlich müsste ich jetzt fließend russisch sprechen können, dabei verstehe ich nicht mal ein Wort; denn seit einigen Monaten wohnt hier ein erzählfreudiger russischsprachiger 6-jähriger. Umgekehrt funktioniert das aber, jedenfalls in der Schule - so wurde es uns bei der Schulanmeldung berichtet. Die Mutter des Jungen hat da ein wenig Zweifel. Ihr ist nicht ganz wohl dabei, ihr Liebstes den ganzen Vormittag wo hinzusetzen, wo er kein Wort der Mitschüler/innen oder Lehrer/innen versteht.

  8. 13.

    ' Sprachbildung sei automatisch enthalten, sagt die Senatorin: "Das Schöne bei Kindern ist ja: Sprachbildung ist überall dabei. Wenn Sie mit ihnen spielen, wenn Sie ihnen was vortanzen, wenn Sie sich bewegen, wenn Sie sich mit ihnen unterhalten. Aber es ist kein Deutschunterricht, der da stattfindet." ' Das ist zu flach. Wenn ein langandauernder Aufenthalt und eine erfolgreicher Schulbesuch angestrebt wird, sollte vorallem primär Deutschunterricht erteilt werden.

  9. 12.

    "Um Lehrkräfte für Willkommensklassen zu gewinnen, drängt sie darauf, ausländische Abschlüsse von Pädagogen schnell anzuerkennen." Das kommt sicher sehr darauf an, welches Fach und in welcher Altersklasse unterrichtet werden soll. Leider sagt Sie auch nicht an welches Ausland Sie dabei denkt, woher die vielen Pädagogen kommen sollen, deren Pädagogikabschluß nur nicht anerkannt wird.

  10. 11.

    Der Artikel ist halt nur die Sicht auf den Zustand in Deutschland. Weiterhelfen würde ein vergleichender Überblick über alle aufnehmenden Staaten und deren Vorgehen und bisherigen Ergebnisse.

  11. 10.

    Bei den Kindern aus der Ukraine hieß es mal am Anfang, daß soviele Lehrer auch aus der Ukraine geflüchtet sind und der online-Unterricht in der Ukraine so gut ausgebaut ist, daß diese Kinder nach dem Lehrplan der Ukraine von Ukrainern - live oder online - unterrichtet werden können. Was ist daraus geworden?

  12. 9.

    Würde Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen stoppen oder reduzieren, könnten unsere Politiker nicht mehr durch die Welt reisen und dort die Einhaltung der Menschenrechte offensiv einfordern.

  13. 8.

    Wir haben das Schulproblem schon ewig und ohne Geflüchtete, denn die Schulen sind marode, schon der Zuzug aus anderen Bundesländern ist schwer zu stemmen und Personal fehlt auch.In Schulen, Kita's Horten. Und on Top Geflüchtete in Hoher Anzahl SEIT 2015. Da bleibt es auch nicht beim Schulproblem,denn es fehlen auch Wohnungen,Personal in allen Verwaltungen aber eine wachsende Vevölkerung braucht auch eine funktionierende Verwaltung. Ob andere europäische Länder,Stadtstaaten diesen Ansprüchen wohl besser gerecht werden.

  14. 7.

    Moinsen,
    Diese Missstände hat die Bundesregierung zu vertreten, die die Kommunen allein lässt.
    Ich schäme mich als Altlinker dafür.
    Wer einerseits wie Frau Faeser (SPD) Grenzkontrollen an Deutschlands Außengrenzen ablehnt, andererseits den Kommunen nicht ausreichend hilft, dem ist es wohl egal, ob der Laden unten vor Ort noch läuft.
    Und zu den Menschen aus der Ukraine: das war doch klar, dass viele hierher flüchten, da hatte die Ampel ein Jahr Zeit gehabt, was zu organisieren, über eine eigene Bundesbehörde oder einen Bundesbeauftragten und ein Sondervermögen.
    Aber auch hier Fehlanzeige.
    Resultat: Die Kommunen schaffen es nicht mehr, die zu uns Geflüchteten auch nur unterbringungsmäßig halbwegs zu integrieren. Endstation Containerdorf.
    Und das unter einem Bundeskanzler der SPD, die das soziale im Namen trägt. Das regt mich jetzt ruchtig auf, deshalb wäre es das jetzt. Ende.

  15. 6.

    Und qualifizierte Lehrkräfte,
    herzlich willkommen (sein) oder als willkommen angesehen werden. Willkommen ist ein Partizip und wird auch bei noch zu schöner / gewaltiger Herzlichkeit klein geschrieben, wenn es nicht wie bei mir hier, am Satzanfang steht.
    Weil es so oft falsch geschrieben wird, merket kaum jemand , dass es eben falsch ist.
    Tja, man sollte nur versprechen, was man auch erfüllen kann. Mir tun die Kinder leid, und die jenigen Lehrkräfte, die jetzt in Rente sind, und das früher alles 'für'n Appel und 'nen Ei' gemacht haben. Auch das muss man sehen (wollen). Man hätte sich sperren sollen - aus Liebe zu den betr. Kindern??? Schöne gerechte Welt.
    Wer kümmert sich um die andere Seite?

  16. 5.

    Wundert man sich jetzt im ernst, das keine Plätze vorhanden sind?

    Das sind genau dir Bezirke die als aller erstes hier gerufen haben, wo es um die Container Dörfer ging.

    Es gibt Familien die warten auf Kita Plätze.
    Familien die Wohnungen suchen.

    Wer hier schreit, muss auch Platz dafür haben.

  17. 4.

    Die Problematik im Bildungswesen gibt es seit gut 20 Jahren. In den letzten 10 Jahren hat sie sich zunehmend verschärft und wird es auch weiterhin tun. Zu wenige Lehrer, zu wenig Platz in den Schulen, sanierungsreife, marode Schulen, etc.

    Aufgrund des nicht nachlassenden Zustroms von Geflüchteten, wird sich diese Problematik auch nicht entspannen. Denn egal wie sich die Geflüchteten in ihrer neuen Heimat aufstellen; sie benötigen Wohnraum und die Kinder müssen beschult werden. Beides ist derzeit nur sehr rudimentär möglich.

    Die Beseitigung des Lehrkräftemangels ist aber nur ein Teil der Lösung. Wie man in anderen Regionen Deutschlands (und auch in Berlin) sieht, gibt es Problematiken wie z.B. die schlechte Bildung im Elternhaus, die Negierung der Wichtigkeit des Schulbesuchs, mangelnde Motivation von Eltern und Kindern die Schule zu besuchen, etc.

  18. 3.

    Tja und in den regulären Klassen fehlen dann noch mehr Lehrkräfte. Warum eigentlich nur 12 Kinder pro Willkommensklasse? Sonst werden doch auch 27, 28 Kinder in eine Grundschulklasse gequetscht.

  19. 2.

    Ich habe das Gefühl, Deutschland will es immer allen Recht machen, statt mal zu sagen, Leute, wir sind voll, wir schaffen das nicht. Aber dann könnte man ja denken, die Deutschen kriegen nichts gebacken.

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