Interview | Ivar Buterfas-Frankenthal - "Die, die heute bei mir waren, die fallen als Wähler für die AfD aus - die sind geheilt"
Ivar Buterfas-Frankenthal ist 91 Jahre alt, hat den Holocaust überlebt und fährt seit 30 Jahren als Zeitzeuge durch Deutschland. Nun sprach er in der vollen Cottbus Stadthalle, hauptsächlich vor Schülern.
Der Zuschauerraum im Saal ist voll besetzt - und dennoch ist es auffällig ruhig. Die 1.300 Gäste, darunter vor allem Schüler aus Südbrandenburg, hören Ivar Buterfas-Frankenthal aufmerksam zu. Die Stimme des 91-Jährigen ist brüchig, aber sie bringt deutlich zum Ausdruck, warum seine Vorträge heute so wichtig sind.
"60 Millionen Menschen sind unter dem Hakenkreuz gestorben. Und heute gibt es Idioten - ich kann sie nicht anders bezeichnen - heute haben diese Leute schon wieder in geheimen Sitzungen vor, Menschen abzuschieben."
Nach seinem Vortrag hat ihn rbb-Reporter Phillipp Manske für ein Interview getroffen.
rbb|24: Herr Buterfas-Frankenthal, Sie haben heute vor 1.300 Gästen gesprochen, hauptsächlich Schüler aus der Lausitz. Gab es etwas, das Sie beeindruckt hat?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Es ist mehr als beeindruckend, das kann ich gar nicht schildern. Da kommen Studienräte zu mir und sagen: Ich habe 28 Schülerinnen und Schüler 45 Minuten bei mir und kriege die nicht annähernd so leise und so andächtig wie Sie.
Bei den Schülern hier hört man kein Getuschel, da läuft kein Handy, die hören nur angespannt zu, was ich zu berichten habe. Daran merkt man auch, welchen Notstand wir haben, was das Wissen mit der Vergangenheit anbelangt. Da ist in Deutschland sehr viel Schindluder getrieben worden. Denn es heißt ja: Je mehr wir verdrängt haben, desto mehr wiederholen wir die Vergangenheit. Da ist eine Menge dran.
Der Wissensnotstand ist viel größer als man ahnt. Das ist ja auch die tödliche Gefahr mit dem Nationalsozialismus. Dadurch, dass sie so wenig wissen, ist die Gefahr der Wiederholung riesengroß. Und das macht mir Angst. Aber ich habe jetzt einige Hoffnung, nachdem ich zum allerersten Mal in meinem Leben gesehen habe - und ich bin jetzt 91 Jahre alt - dass Deutschland aufsteht. Die lassen sich das nicht mehr gefallen.
Was nehmen die Schüler denn mit?
Die jungen Menschen haben eines begriffen, wenn die bei mir sind. Sie stellen sich nicht die Frage, was ihr Land für sie tun kann - sondern was sie für ihr Land tun können. Und das heißt, diese Demokratie gegen jeden feindlichen Einfluss zu schützen. Für mich ist die AfD ein feindlicher Einfluss. Das, was die Leute von sich geben, ist ein solcher Schwachsinn und gar nicht für einen normalen Menschen zu verkraften.
Denn stellen Sie sich mal vor, wenn die es tatsächlich geschafft hätten, zwei Millionen aus Deutschland, die hier arbeiten, die hier Geld verdienen, die unseren Wohlstand mit vermehren, die unser Land mit aufgebaut haben, die Gastarbeiter, die 1970 in Massen nach Deutschland gekommen sind, um uns zu helfen ... wenn sie die rausjagen, bricht die ganze deutsche Wirtschaft zusammen.
Solange ich Kraft habe, werde ich gegen diese Leute ankämpfen. Das bin ich mir und meinen eigenen Kindern schuldig.
Sie sind jetzt 91 Jahre alt. Das ist sicherlich auch kräftezehrend. Wo nehmen Sie Ihre Kraft her?
Aus der Vergangenheit. Wer die Vergangenheit so erleben musste wie meine Geschwister und ich ... mich wollten Kinder bei lebendigem Leib verbrennen. Wie sind diese Kinder von ihren Eltern erzogen worden, dass sie einen solchen Hass gegen andere Kinder entwickeln konnten?
Und ich habe die Gabe, die jungen Menschen zu erreichen. Und wenn ich sie erreiche, dann können sie sich auf eins verlassen: Die, die heute bei mir waren, die fallen als Wähler für die AfD aus. Die sind geheilt, die haben begriffen.
Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, auch im Jahr 2024 an den Holocaust zu erinnern, so wie Sie es tun?
Diese Zeit, die wir jetzt haben, hat Deutschland verändert. Das sehen Sie an der Reaktion, wie die Menschen auf die Straßen gehen. Unser Verfassungsschutz hat in den letzten Monaten sage und schreibe 2.900 kriminelle Handlungen mit nationalsozialistischem Hintergrund festgestellt. Das müssen wir verhindern. Da spielt Aufklärung eine ganz, ganz große Rolle.
Bei vielen Menschen sorgt die aktuelle Zeit dafür, dass sie sich an den erstarkenden Nationalsozialismus vor rund 90 Jahren erinnert fühlen - auch, wenn sie nicht dabei gewesen sind. Sie waren dabei. Erkennen auch Sie Parallelen?
Sicher. Sehen Sie den Neonazi, der in Halle aus dem Auto springt, seinen Kofferraum öffnet, eine Kalaschnikow rausholt, auf die Synagoge zumarschiert, das ganze Magazin in der Hoffnung leer feuert, dass die Tür aufgeht und er kann 87 Menschen, eine Gemeinde, die sich neu gegründet hat, hinrichten. [Der Täter scheiterte schließlich daran, die Tür zu öffnen, d. Red.] Das gab es 1934 noch nicht so schlimm, wie das heute ist.
Oder nehmen Sie den NSU mit der Zschäpe an der Spitze, die zehn Jahre lang durch Deutschland reist und völlig wahllos türkische Menschen, die zu uns gehören, die ein Geschäft haben, die Sozialabgaben abführen, die also wertvoll sind, auch für uns, für die Gemeinschaft, die werden einfach sinnlos erschossen. Das ist doch schrecklich.
Und sehen Sie, was sich hier auf dem Gebiet der DDR abgespielt hat, nachdem die Mauer gefallen ist. Vietnamesischen Familien, die auf das Dach geklettert sind, um nicht verbrannt zu werden. Unten haben die Nazis gestanden, haben applaudiert und Lieder gesungen. Das ist furchtbar.
Heute haben wir den blanken Nationalsozialismus in Thüringen. Stellen Sie sich mal vor, wenn so eine Kreatur wie der Höcke tatsächlich Ministerpräsident wird, weil die allein regieren können. Da ist doch der Bürgerkrieg programmiert. Oder glauben Sie, dass sich die anderen Menschen das gefallen lassen? Die wollen doch auf all die Privilegien, für die sie geschuftet haben, nicht verzichten. Das sind unheimliche, unglaubliche Verhältnisse.
In vielen ostdeutschen Bundesländern, unter anderem in Brandenburg, wird in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt. Was wünschen, was hoffen Sie?
Ich hoffe, dass die Menschen so vernünftig sind und einen berechtigten Egoismus an den Tag legen: Ich möchte mir gerne meinen dreimaligen Urlaub im Jahr erhalten. Ich möchte mir meine Zweitwohnung, die ich auf Sylt habe, für die ich geschuftet habe, erhalten. Ich lasse mich doch nicht durch diktatorische Maßnahmen wieder in eine Situation bringen, die mir das alles möglicherweise abspenstig macht, die das zerstört und kaputt macht, die auch an unser Vermögen geht.
Was diese Leute vorhaben, das ist doch blanker Nationalsozialismus. Die träumen tatsächlich vom Vierten Reich. Das ist doch unmöglich.
Es ist eine deutsche Traditionslüge, die da behaupten, das haben wir alles nicht gewusst. Jeder Deutsche hat gewusst und gesehen, wie die Juden reinweise vor den Synagogen erschlagen wurden, als sie überall in Flammen aufgingen. Überall wurden die Synagogen, die jüdischen Gotteshäuser, in einer einzigen Nachtaktion durch die SS und Waffen-SS angezündet und vernichtet. Über 30.000 Juden kamen ins Konzentrationslager, 3.600 sind gleich erschlagen worden.
Die SS und die Polizei haben sich Späße erlaubt. Die haben jüdischen Rabbinern die Bärte abgeschnitten. Dann haben sie ihnen Zahnbürsten in die Hand gedrückt. Damit mussten die zum Spaß der johlenden deutschen Menge die Trottoirs schrubben.
Am 6. Mai 2045 feiern wir 100 Jahre deutschen Frieden. Bei so einem Datum wird die ganze Welt die Ohren spitzen. Das hat es noch nie gegeben.
Vielen Dank für das Interview!
Der Text ist eine gekürzte und redigierte Version.
Sendung: Antenne Brandenburg, 22.02.2024, 16:10 Uhr