Interview | Ivar Buterfas-Frankenthal - "Die, die heute bei mir waren, die fallen als Wähler für die AfD aus - die sind geheilt"

Sa 24.02.24 | 11:51 Uhr
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Ivar Buterfas-Frankenthal in der Stadthalle Cottbus (Foto: rbb/Jahn)
Audio: Antenne Brandenburg | 22.02.2024 | Josefine Jahn | Bild: rbb/Jahn

Ivar Buterfas-Frankenthal ist 91 Jahre alt, hat den Holocaust überlebt und fährt seit 30 Jahren als Zeitzeuge durch Deutschland. Nun sprach er in der vollen Cottbus Stadthalle, hauptsächlich vor Schülern.

Der Zuschauerraum im Saal ist voll besetzt - und dennoch ist es auffällig ruhig. Die 1.300 Gäste, darunter vor allem Schüler aus Südbrandenburg, hören Ivar Buterfas-Frankenthal aufmerksam zu. Die Stimme des 91-Jährigen ist brüchig, aber sie bringt deutlich zum Ausdruck, warum seine Vorträge heute so wichtig sind.

"60 Millionen Menschen sind unter dem Hakenkreuz gestorben. Und heute gibt es Idioten - ich kann sie nicht anders bezeichnen - heute haben diese Leute schon wieder in geheimen Sitzungen vor, Menschen abzuschieben."

Nach seinem Vortrag hat ihn rbb-Reporter Phillipp Manske für ein Interview getroffen.

Ivar Buterfas-Frankenthal schreibt sich in der Stadthalle Cottbus in das Goldene Buch der Stadt ein (Foto: rbb/Jahn)
Ivar Buterfas-Frankenthal trägt sich in der Stadthalle Cottbus in das Goldene Buch der Stadt ein | Bild: rbb/Jahn

rbb|24: Herr Buterfas-Frankenthal, Sie haben heute vor 1.300 Gästen gesprochen, hauptsächlich Schüler aus der Lausitz. Gab es etwas, das Sie beeindruckt hat?

Ivar Buterfas-Frankenthal: Es ist mehr als beeindruckend, das kann ich gar nicht schildern. Da kommen Studienräte zu mir und sagen: Ich habe 28 Schülerinnen und Schüler 45 Minuten bei mir und kriege die nicht annähernd so leise und so andächtig wie Sie.

Bei den Schülern hier hört man kein Getuschel, da läuft kein Handy, die hören nur angespannt zu, was ich zu berichten habe. Daran merkt man auch, welchen Notstand wir haben, was das Wissen mit der Vergangenheit anbelangt. Da ist in Deutschland sehr viel Schindluder getrieben worden. Denn es heißt ja: Je mehr wir verdrängt haben, desto mehr wiederholen wir die Vergangenheit. Da ist eine Menge dran.

ZUR PERSON

Ivar Buterfas-Frankenthal sitzt in seinem Keller und spricht mit einem Journalisten (Archivfoto: dpa/Schulze)
dpa

Ivar Buterfas-Frankenthal wurde 1933 in Hamburg geboren. Als sogenannter "Halbjude" wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt. Den Holocaust überlebten er mit seiner Familie in Kellerverstecken.

Buterfas-Frankenthal war Unternehmer und Boxveranstalter, ist Bundesverdienstkreuzträger und Buchautor. Er lebt mit seiner Frau in Hamburg.

Der Wissensnotstand ist viel größer als man ahnt. Das ist ja auch die tödliche Gefahr mit dem Nationalsozialismus. Dadurch, dass sie so wenig wissen, ist die Gefahr der Wiederholung riesengroß. Und das macht mir Angst. Aber ich habe jetzt einige Hoffnung, nachdem ich zum allerersten Mal in meinem Leben gesehen habe - und ich bin jetzt 91 Jahre alt - dass Deutschland aufsteht. Die lassen sich das nicht mehr gefallen.


Was nehmen die Schüler denn mit?

Die jungen Menschen haben eines begriffen, wenn die bei mir sind. Sie stellen sich nicht die Frage, was ihr Land für sie tun kann - sondern was sie für ihr Land tun können. Und das heißt, diese Demokratie gegen jeden feindlichen Einfluss zu schützen. Für mich ist die AfD ein feindlicher Einfluss. Das, was die Leute von sich geben, ist ein solcher Schwachsinn und gar nicht für einen normalen Menschen zu verkraften.

Denn stellen Sie sich mal vor, wenn die es tatsächlich geschafft hätten, zwei Millionen aus Deutschland, die hier arbeiten, die hier Geld verdienen, die unseren Wohlstand mit vermehren, die unser Land mit aufgebaut haben, die Gastarbeiter, die 1970 in Massen nach Deutschland gekommen sind, um uns zu helfen ... wenn sie die rausjagen, bricht die ganze deutsche Wirtschaft zusammen.

Solange ich Kraft habe, werde ich gegen diese Leute ankämpfen. Das bin ich mir und meinen eigenen Kindern schuldig.

Der Wissensnotstand ist viel größer als Sie ahnen. Dadurch ist die Gefahr der Wiederholung riesengroß. Und das macht mir Angst.

Ivar Buterfas-Frankenthal

Sie sind jetzt 91 Jahre alt. Das ist sicherlich auch kräftezehrend. Wo nehmen Sie Ihre Kraft her?

Aus der Vergangenheit. Wer die Vergangenheit so erleben musste wie meine Geschwister und ich ... mich wollten Kinder bei lebendigem Leib verbrennen. Wie sind diese Kinder von ihren Eltern erzogen worden, dass sie einen solchen Hass gegen andere Kinder entwickeln konnten?

Und ich habe die Gabe, die jungen Menschen zu erreichen. Und wenn ich sie erreiche, dann können sie sich auf eins verlassen: Die, die heute bei mir waren, die fallen als Wähler für die AfD aus. Die sind geheilt, die haben begriffen.

Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, auch im Jahr 2024 an den Holocaust zu erinnern, so wie Sie es tun?

Diese Zeit, die wir jetzt haben, hat Deutschland verändert. Das sehen Sie an der Reaktion, wie die Menschen auf die Straßen gehen. Unser Verfassungsschutz hat in den letzten Monaten sage und schreibe 2.900 kriminelle Handlungen mit nationalsozialistischem Hintergrund festgestellt. Das müssen wir verhindern. Da spielt Aufklärung eine ganz, ganz große Rolle.

Bei vielen Menschen sorgt die aktuelle Zeit dafür, dass sie sich an den erstarkenden Nationalsozialismus vor rund 90 Jahren erinnert fühlen - auch, wenn sie nicht dabei gewesen sind. Sie waren dabei. Erkennen auch Sie Parallelen?

Sicher. Sehen Sie den Neonazi, der in Halle aus dem Auto springt, seinen Kofferraum öffnet, eine Kalaschnikow rausholt, auf die Synagoge zumarschiert, das ganze Magazin in der Hoffnung leer feuert, dass die Tür aufgeht und er kann 87 Menschen, eine Gemeinde, die sich neu gegründet hat, hinrichten. [Der Täter scheiterte schließlich daran, die Tür zu öffnen, d. Red.] Das gab es 1934 noch nicht so schlimm, wie das heute ist.

Oder nehmen Sie den NSU mit der Zschäpe an der Spitze, die zehn Jahre lang durch Deutschland reist und völlig wahllos türkische Menschen, die zu uns gehören, die ein Geschäft haben, die Sozialabgaben abführen, die also wertvoll sind, auch für uns, für die Gemeinschaft, die werden einfach sinnlos erschossen. Das ist doch schrecklich.

Und sehen Sie, was sich hier auf dem Gebiet der DDR abgespielt hat, nachdem die Mauer gefallen ist. Vietnamesischen Familien, die auf das Dach geklettert sind, um nicht verbrannt zu werden. Unten haben die Nazis gestanden, haben applaudiert und Lieder gesungen. Das ist furchtbar.

Heute haben wir den blanken Nationalsozialismus in Thüringen. Stellen Sie sich mal vor, wenn so eine Kreatur wie der Höcke tatsächlich Ministerpräsident wird, weil die allein regieren können. Da ist doch der Bürgerkrieg programmiert. Oder glauben Sie, dass sich die anderen Menschen das gefallen lassen? Die wollen doch auf all die Privilegien, für die sie geschuftet haben, nicht verzichten. Das sind unheimliche, unglaubliche Verhältnisse.

In vielen ostdeutschen Bundesländern, unter anderem in Brandenburg, wird in diesem Jahr ein neuer Landtag gewählt. Was wünschen, was hoffen Sie?

Ich hoffe, dass die Menschen so vernünftig sind und einen berechtigten Egoismus an den Tag legen: Ich möchte mir gerne meinen dreimaligen Urlaub im Jahr erhalten. Ich möchte mir meine Zweitwohnung, die ich auf Sylt habe, für die ich geschuftet habe, erhalten. Ich lasse mich doch nicht durch diktatorische Maßnahmen wieder in eine Situation bringen, die mir das alles möglicherweise abspenstig macht, die das zerstört und kaputt macht, die auch an unser Vermögen geht.

Was diese Leute vorhaben, das ist doch blanker Nationalsozialismus. Die träumen tatsächlich vom Vierten Reich. Das ist doch unmöglich.

Es ist eine deutsche Traditionslüge, die da behaupten, das haben wir alles nicht gewusst. Jeder Deutsche hat gewusst und gesehen, wie die Juden reinweise vor den Synagogen erschlagen wurden, als sie überall in Flammen aufgingen. Überall wurden die Synagogen, die jüdischen Gotteshäuser, in einer einzigen Nachtaktion durch die SS und Waffen-SS angezündet und vernichtet. Über 30.000 Juden kamen ins Konzentrationslager, 3.600 sind gleich erschlagen worden.

Die SS und die Polizei haben sich Späße erlaubt. Die haben jüdischen Rabbinern die Bärte abgeschnitten. Dann haben sie ihnen Zahnbürsten in die Hand gedrückt. Damit mussten die zum Spaß der johlenden deutschen Menge die Trottoirs schrubben.

Am 6. Mai 2045 feiern wir 100 Jahre deutschen Frieden. Bei so einem Datum wird die ganze Welt die Ohren spitzen. Das hat es noch nie gegeben.

Vielen Dank für das Interview!

Der Text ist eine gekürzte und redigierte Version.

Sendung: Antenne Brandenburg, 22.02.2024, 16:10 Uhr

23 Kommentare

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  1. 23.

    Na, weil die rechtsextreme afd als einzige Partei ist, welche die Vorstellungen von rechtsextrem eingestellten Menschen bedient. Und weil sie vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Problemstellungen anbietet, und einige Menschen darauf hereinfallen. Dass Sie von Demokratie nicht sonderlich viel halten, geht aus Ihrem Kommentar dann übrigens doch recht deutlich hervor. Zumal unsere Regierung angesichts der komplexen Problemlagen keine schlechte Arbeit macht, allerdings diese sauschlecht kommuniziert.

  2. 22.

    Wäre wirklich mehr als beunruhigend, wenn die AfD mehr Wähler hätte als die drei regierende Parteien zusammen!

  3. 21.

    Zitat: "... warum die AfD mehr Zuspruch als die anderen Parteien bekommen."

    Die AfD schneidet zwar - bedauerlicherweise - sehr stark bei den Umfragen ab, steht aber doch deutlich hinter der CDU/CSU zurück. Und auch die "Ampel" Koalition hat insgesamt mehr als doppelt so viel Zuspruch wie die Rechtspopulisten. Daher ist Ihre Behauptung nicht nur sehr simpel, sondern auch in der Sache falsch.

    Dass die Regierung, gelinde gesagt, mitunter kein allzu gutes Bild abgibt, ist unbestritten. Man sollte allerdings in Betracht ziehen, dass diese wie kaum eine zuvor mit in kürzester Zeit kulminierenden Herausforderungen zu kämpfen hat.

  4. 20.

    Es geht doch mit der sog. Demokratie schon länger bergab. Da braucht es keine AfD mehr dazu. Experten wie Sie, sollten sich mal die Frage stellen, warum die AfD mehr Zuspruch als die anderen Parteien bekommen. Wahrscheinlich wegen der tollen Ergebnisse. Die bräsige, selbstgefällige und einfallslose Einfältigkeit einer Regierung ist seit Gründung der BRD an Stärke unerreicht und einmalig.

  5. 18.

    Sie freuen sich genau darauf, das -sollten die Wahlergebnisse ähnlich wie die Prognosen ausfallen (was niemand weß)-, daß es dann in 3 Bundesländern mit der Demokratie bergab geht. Schönen Untergang noch.

  6. 16.

    Nee, Sie versuchen lediglich, die rechtsextreme afd zu verharmlosen.

  7. 13.

    Man kann ja diesem Herrn sein Alter und die damit verbundenen Beschwerden nachsehen, wenn er aber vom Nationalsozialismus in Thüringen und Absichten, die früheren Gastarbeiter des Landes zu verweisen, so fehlt ihm da jede Sachlichkeit, im Gegenteil, diese Äußerungen passen in die Kategorie "Populismus".

  8. 12.

    Dier Zeitpunkt kommt : Schluss mut EU und NATO, dann ist Frieden, die bescheren uns Unfrieden, weil damit zu viele Geld machen.

  9. 11.

    Ohne Frage, solch Vorträge sind wichtig und richtig. Nur dürften die Zuhörer schon ebensolche sein, die dem Vortragenden zugewandt sind. Die Frage ist, wie man die erreicht, die das nicht sind.

  10. 10.

    Weder noch. Art. 20 Abs. 4 GG

    „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

  11. 7.

    Ich freue mich auf die drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

  12. 6.

    Wir dürfen nie vergessen, denn nur dann haben wir eine Chance die Welt besser zu machen.
    Aber wir vergessen, weil wir nur noch an uns denken wollen. Aber leider fördern wir damit nur wieder den Hass gegen andere Menschen herauf, den wir glauben mit Wegschauen und Verleugnen es überwinden zu können.
    Nein, uns geht es nicht besser, wenn wir dafür sorgen, dass es anderen Menschen schlechter geht. Es wird uns nur besser gehen, wenn wir für alle Menschen das Leben bessern werden!

  13. 5.

    Unsere Vorfahren wussten alle von dem Menschenhass, der sich gegen alle und jeden richtete. Behinderte? Wurden vernichtet. Juden? Wurden vernichtet. Andersdenkende? Wurden vernichtet. Sinti und Roma? Wurden vernichtet. Homosexuelle? Wurden vernichtet.
    Es wussten alle und sie schauten zu oder weg oder machten mit, alle.

    Ich schäme mich für jeden, der Rechtsextremismus freiwillig wählt. Denn wer den wählt, wählt seine eigenen Menschenrechte ab. So dumm kann doch tatsächlich niemand sein.

  14. 4.

    Er bringt es genau auf den Punkt, die Wähler der AfD erkennen nicht, dass sie mit ihrer Wahl gegen unser Land und gegen unsere Demokratie agieren. Also gegen sich selbst und gegen unsere Freiheit.
    Ganz bewusst sollte es aber heißen, was kann ich für mein Land tun, gegen Rechtsextremismus, gegen Abbau der Demokratie, gegen Rassismus, gegen Homophobie, für Weltoffenheit. Wir sollten diesen Stolz entwickeln, die Demokratie als Schatz anzusehen, den wir beschützen sollten wie den Schlüssel zur Freiheit, den es selten in dieser Form auf dieser Erde gibt.
    Wir wären die dümmsten Menschen, würden wir den Rattenfängern folgen. Mit Speck fängt man Mäuse, der Speck besteht aus dem Wahnsinn der Nazis, der hier neu erwachen soll. In meinen Knochen stecken Vertreibung, Enteignung, Tod, Flucht, Not, Elend, Denunziation und Traumata. Denn das bringt der Rechtsextremismus, immer wieder sind die Opfer die kleinen Leute, meist jene, die auf diesen populistischen Unfug abfahren.

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