Ideen gegen leere Innenstädte - Sonaten gegen Sodbrennen
Viele Innenstädte leiden unter Leerstand. In Brandenburg sollen ein automatisierter Tante-Emma-Laden, ein klavierspielender Apotheker und ein Kiosk mit eingelegten Gurken wieder Menschen in die Zentren ziehen. Von Griet von Petersdorff
Einkaufen ist immer noch der wichtigste Grund, in die Innenstadt zu gehen oder zu fahren. Das zeigt die neue sogenannte Deutschlandstudie Innenstadt des Handelsverbands Deutschland (HDE). 70,8 Prozent der Befragten nannten Einkaufen als Hauptgrund. Fast 60 Prozent gaben aber auch den Besuch von Restaurants und Cafés als wichtige Gründe an.
Dass die Zentren vieler Innenstädte zu kämpfen haben, zeigt der Leerstand mancherorts, entstanden etwa durch die Insolvenzen von Modeketten. Besonders kleinere Orte bekommen schnell Probleme: Schließt der letzte Supermarkt, verändert sich der Charakter einer Kommune zum Negativen. Dabei geht es um weit mehr als nur um das Einkaufen: Einkaufsorte sind auch Orte der Begegnung.
Neues Leben in Oderberg
Vielerorts in Deutschland entstehen originelle Initiativen, um dem entgegenzuwirken, so auch in Brandenburg. In Oderberg, einer Kleinstadt im Nordosten des Bundeslandes, hat sich ein ungewöhnliches Unternehmerduo an ein ebenso ungewöhnliches Einzelhandelsprojekt gewagt: Der Oderberger Bäckermeister Kai Kreutzmann, 25 Jahre alt, und Artur Albrecht, Puppen- und Schauspieler aus Berlin, haben sich zusammengetan.
Nachdem ein Geschäft nach dem anderen dicht machte und die Stimmung am Ort immer schlechter wurde, beschlossen die beiden, etwas zu unternehmen. Das Ergebnis ist ein gemeinsamer Laden samt Kulturprogramm. Der soll vor allem ein Ort de Begegnung sein, sagt Albrecht. Rechts im Laden ist die Bäckerei untergebracht, auf der linken Seite ein Kiosk. Dort gibt es Süßigkeiten, regionale Produkte, eingelegte Gurken, aber auch Briefmarken und Klopapierrollen. Ukrainische und arabische Lebensmittel gehören auch zum Angebot.
In einem abgetrennten Raum gibt es eine Art Internetcafé mit der Möglichkeit zu faxen und zu mailen. Die beiden Betreiber hatten vor einem halben Jahr eine Umfrage gestartet. "Was braucht Ihr?", war die Frage an die Oderbergerinnen und Oderberger, die ihre Antworten auf Zettel schreiben sollten. An denen hat sich das Duo dann orientiert.
Die Bäckerei ist zudem eine besondere, denn Kai Kreutzmann konzentriert sich auf traditionelles Backen im Holzbackofen, angefeuert mit Nadelholz. Wer hier kauft, bekommt keine billige Fertigware.
Und noch eine Besonderheit bietet der Laden: Da einer der beiden Betreiber Künstler ist, gibt es in regelmäßigen Abständen Puppenspieltheater im Laden.
Der Wunsch der beiden, mit ihrem Ladenprojekt Menschen zu verbinden, ist spürbar. Bei der Einweihungsfeier vor drei Wochen sei der Marktplatz proppenvoll gewesen, erzählen die Betreiber. Sie seien überwältigt gewesen vom großen Zuspruch. Gezeigt habe sich aber auch, was für eine schmerzhafte Lücke entstanden sei in den vergangenen Jahren der Abwanderung und Ladenschließungen.
Supermarkt 2.0 im Löwenberger Land
Auch in Teschendorf, einem kleinen Ort nördlich von Berlin mit rund 850 Einwohnerinnen und Einwohnern, war es für viele ein echter Schock, als vor 13 Jahren der Supermarkt schloss. Die Versorgung wurde zu einer echten Herausforderung in dem dünn besiedelten Gebiet.
Am 1. Juli hat im alten Supermarktgebäude "Emmas Kaufhalle" aufgemacht - ein voll automatisierter Supermarkt, der komplett ohne Personal auskommt. An den Wänden hängen Displays, dort können Kunden durch Tippen ihre Waren wählen: Tomaten, Mehl, Joghurt, Eier, Waschmittel und vieles mehr. Der virtuelle Warenkorb wird per EC-Karte bezahlt, die Ware kommt dann per Förderband.
Die persönliche Ansprache fehlt zwar, aber die Kunden sind trotzdem sehr froh, dass es endlich wieder Produkte des täglichen Bedarfs im Ort gibt, darunter auch viele regionale Produkte, zum Beispiel von landwirtschaftlichen Betrieben. Die Preise seien nicht höher als im normalen Supermarkt, sagt Patrick Scheuermann, einer der Betreiber. Das sei ganz bewusst so gewählt.
Was auch Ältere besonders gerne nutzen: die Möglichkeit, die Ware schon zu Hause zu bestellen. Da ist genug Zeit, die Kundinnen und Kunden können für das Studieren der Angebote auch eine Lupe benutzen - praktisch für die, die schlechter sehen. Nach Abgabe der digitalen Bestellung erhalten die Kunden einen QR-Code, damit können sie die reservierte Ware direkt abholen.
Ältere haben keine Berührungsängste
Gerade die Älteren seien offenbar dankbar und schreckten vor dem digitalen Konzept nicht zurück, so Scheuermann. "Das ist überraschend, denn eigentlich war der Laden eher für Jüngere gedacht, die spontan noch etwas zum Kochen brauchen." Und so passt auch das Logo: "Eine ältere Dame, also Tante Emma, trägt zurückgebundene graue Haaren, Sonnbrille und Piercing - so verbindet sich alt und neu", erklärt Scheuermann.
Ein weiterer großer Vorteil von "Emmas Kaufhalle": Das Geschäft ist rund um die Uhr geöffnet. Damit es trotzdem ein persönlicher Begegnungsort wird, stehen nun zwei Gemeindebänke und ein Tisch vor der Halle.
"Noch rechnet sich das Ganze nicht, frühestens in drei Jahren", sagt Scheuermann. "Die Fördertechnik, die Kühlautomaten, das ist alles teuer. Aber die Zahlen stimmen optimistisch, denn der Laden läuft. Jede Woche werden es mehr, die hier einkaufen. Gerade an diesem Wochenende, als die Sonne schien, da standen sie Schlange und wollten Brötchen und Grillartikel."
Eine neue Filiale ist auch schon in Planung: Die soll in Sommerfeld, eine Stunde nördlich von Berlin, entstehen. Die Kommunalpolitiker haben sich überzeugen lassen und unterstützen das Projekt. Der Laden wird dort in extra neu gebaute Container ziehen. Modernstes Einkaufen, ziemlich weit entfernt von den Toren Berlins.
Mucosolvan und Mozart - wo der Apotheker Klavier spielt
Ebenfalls in Brandenburg, auf dem Görden, einem Stadtteil von Brandenburg/Havel, war im vergangenen Jahr die Angst riesig, dass die Apotheke schließen muss. Nachdem die neue Inhaberin überraschend starb, stand der Laden ohne Nachfolger da.
Im Juli dieses Jahres übernahm dann Tino Volland, Anfang 30. "Wie ein von Gott geschickter Engel", erzählt Mitarbeiterin Alexandra Kenzler. Sie arbeitet seit 2017 in der Apotheke und hat alle Höhen und Tiefen miterlebt.
Volland war überzeugt, dass man sich was einfallen lassen muss, um gegen den Onlinehandel zu bestehen. Die Kunden müssen also trotz höherer Preise in die Apotheke gelockt werden, und deshalb muss ihnen etwas geboten werden. Nun heißt die Apotheke eben Mozart Apotheke, und Tino Volland ist ein begeisterter Klavierspieler, also war klar: Etwas mit Musik muss es sein. "Ich wusste, ich will ein Klavier hier drinnen haben", sagte er in einem Interview. Eine Zwischenwand kam dafür raus, nun steht hier ein weißes Piano. Vor einem überlebensgroßen Graffiti des Kopfes von Mozart.
"Er selbst spielt mehrmals die Woche, wenn er Lust hat", erzählt Alexandra Kenzler und fügt hinzu: "Wir haben viele Kunden und auch Nichtkunden, die hier spielen. Die kommen einfach rein und fragen, ob sie hier spielen können."
Eine besonders rührende Geschichte spielte sich vor zwei Wochen ab. Da kam ein älteres Paar in die Apotheke. Der Mann spielt bereits seit 60 Jahren Klavier und brachte seiner Frau ein Geburtstagsständchen - bestehend aus mehreren Liedern, unter anderem von John Lennon.
Und es lohnt sich auch wirtschaftlich, es kommen mehr Kunden. In so eine originelle Apotheke gehen offenbar viele gerne. Wo bekommt man das schon: Sonaten gegen Sodbrennen.
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