Kleinere Klassen gefordert - Erster Streiktag der GEW: Unterrichtsausfall an Berliner Schulen

Di 06.06.23 | 17:40 Uhr
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Archiv: Lehrkräfte nehmen an einem Warnstreik in Berlin teil und halten ein Plakat mit der Aufschrift "Ich fordere Schutz meiner Gesundheit!". (Foto: dpa)
Video: rbb|24 | 06.06.2023 | Nachrichten | Bild: dpa

Die Gewerkschaft GEW hat in Berlin zu einem weiteren Warnstreik für kleinere Klassen aufgerufen - erstmals über drei Tage. Die Schülervertretung unterstützt das Anliegen zwar, sieht den Warnstreik aber auch kritisch.

Für viele Berliner Schülerinnen und Schüler ist am Dienstag der Unterricht entfallen. Auch am Mittwoch und Donnerstag soll der normale Schulalltag an zahlreichen Berliner Schulen stillstehen. Grund dafür ist ein Warnstreik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Dazu hatte die GEW vor etwa zwei Wochen aufgerufen. Sie will ihre Forderung nach kleineren Klassen unterstreichen. So soll nach Ansicht der Gewerkschaft die Klassengröße an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in einem Tarifvertrag für Gesundheitsschutz festgeschrieben werden. Bereits seit Juni 2021 steht das Anliegen im Raum, seitdem ruft die GEW immer wieder zu Warnstreiks auf.

An dem Streik am Dienstag beteiligten sich nach Angaben eines Sprechers der Berliner Bildungsverwaltung etwa 2.300 Lehrkräfte - insgesamt gibt es in Berlin rund 34.000. Viele davon sind Angestellte und dürfen daher, anders als verbeamtete Lehrkräfte, streiken. Trotz des Warnstreiks habe der Unterricht vielerorts regulär stattgefunden, so der Sprecher. Eine zentrale Prüfung des Abiturs, ein Nachschreibetermin in Biologie, habe wie geplant durchgeführt werden können.

Bildungssenatorin: Forderungen nicht zu erfüllen

Die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) sagte am Dienstag dem rbb, dass sie die Botschaft verstanden habe. Sie könne die Forderungen aber nicht umsetzen. "Mir fehlen hunderte Lehrer und tausende Schulplätze", so Günther-Wünsch bei Radioeins. Es seien deshalb andere Entlastungen angeboten worden, um den Streik abzuwenden. Dazu zählten unter anderem zusätzliche Verwaltungs- oder IT-Kräfte.

Bei einem gemeinsamen Gespräch mit der GEW hatte Günther-Wünsch bereits in der vergangenen Woche erklärt, die Landesregierung sehe keine Möglichkeit für eine tarifliche Regelung zur Verkleinerung der Schulklassen. Zusammen mit Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hatte sie darauf verwiesen, dass Berlin der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) angehöre und kein Alleingang unternommen werden könne. "Die GEW-Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz, der die Klassengröße regelt, würde Berlins Weg raus aus der Tarifgemeinschaft der Länder bedeuten", hieß es in einer Erklärung beider Politiker.

Die GEW lässt dieses Argument nicht gelten. "Das ist nicht schlüssig", sagte Geschäftsführer Markus Hanisch am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Das Land Berlin kann handeln und hat das an anderer Stelle auch schon getan", sagte er und verwies zum Beispiel auf die sogenannte Berlin-Zulage, die Beschäftigte im Landesdienst bekommen. Bei der TdL habe Berlin das Anliegen überhaupt noch nicht vorgebracht.

Evers wiederholte am Dienstag Argumentation

Evers wies am Dienstag erneut auf diese Argumentation hin: Die Forderung der GEW nach einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz sei für das Land Berlin schon aus rechtlichen Gründen nicht umsetzbar. Das wisse die Gewerkschaft auch, ignoriere das aber seit Jahren.

Linke fordert Senat auf, zu verhandeln

Dagegen forderten die Abgeordneten der Linke-Fraktion im Landesparlament den Senat auf, Verhandlungen über einen entsprechenden Tarifvertrag zu beginnen. Sie wollen einen Antrag dazu zur nächsten Sitzung des Abgeordnetenhauses einbringen, wie die Fraktion mitteilte.

"Wir müssen diesen Kolleginnen und Kollegen dringend eine Perspektive bieten", sagte die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Franziska Brychcy. "Dabei ist klar, dass die GEW-Forderungen nur schrittweise und nicht von heute auf morgen umsetzbar sind." Aber es brauche Verhandlungen mit dem Ziel, tarifvertraglich Klassenhöchstgrenzen festzusetzen.

Schülervertretung kritisiert Zeitpunkt

Die Berliner Schülervertretung unterstützte den Warnstreik, übt aber auch Kritik an der Gewerkschaft GEW. "Wir finden problematisch, dass der Warnstreik an Prüfungstagen stattfindet. Das ist unsolidarisch", sagte der Sprecher des Landesschülerausschusses, Paul Seidel, am Montag. Für die betroffenen Schülerinnen und Schüler sei es schwierig, wenn mündliche Abiturprüfungen verschoben oder von anderen Lehrkräften als geplant abgenommen würden.

Das Anliegen des Arbeitskampfs der Lehrer unterstützte der Landesschülerausschuss indes. "Es ist richtig, dass für gute Bildung auch gestreikt wird", sagte Seidel. "Die Lehrkräfte machen das nicht nur für sich, sondern auch für die Schülerinnen und Schüler."

Auch der Landeselternausschuss stellte sich hinter die GEW-Forderung und den Warnstreik. "Wir sehen im Moment keinen anderen Weg", sagte der Vorsitzende Norman Heise. "Die Politik hat das Thema verschlafen." Aus Sicht Heises hätte sie längst das Schulgesetz ändern oder andere Regelungen für kleinere Klassen finden können.

Die GEW hatte schon vor einigen Tagen erklärt, sie habe bei der Ansetzung des Warnstreiks versucht, möglichst wenige zentrale Prüfungstermine zu beeinträchtigen.

Sendung: rbb 88.8, 06.06.2023, 15:30 Uhr

90 Kommentare

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  1. 90.

    Es konnten sehr viele studieren, es gab sogar Abendgymnasien, wo man als Erwachsener kostefrei sein Abitur nachmachen konnte, und ein Studium anschließen.
    In den 70 Jahren wohnte ich in Frankfurt am Main, da war so etwas gang und gäbe, und in den 60. ebenso usw..

  2. 89.

    "Gerade die Wirtschaftswunderjahre, bis hinein in die Siebziger, boten sehr gute Aufstiegschancen, die Hunderttausende genutzt haben. "

    Es sind wie immer sie, der uns Unfug als Tatsachen verkaufen will. Wieviele Arbeiterkinder konnten in den Wirtschaftswunderjahren studieren? Die Eliten blieben unter sich. Dafür sorgte schon das Bildungssystem.

  3. 88.

    Vielen Dank für Ihren Kommentar!
    Ihre gute Zusammenfassung sollte mit im Artikel stehen, damit noch einige die Zusammenhänge verstehen. ;-)
    (Kam gestern nicht durch ... warum auch immer)

  4. 87.

    Was wollen Sie uns hier für einen Unfug verkaufen? Gerade die Wirtschaftswunderjahre, bis hinein in die Siebziger, boten sehr gute Aufstiegschancen, die Hunderttausende genutzt haben. Allein der Mangel an Fachkräften durch die Verluste im Krieg und später die stetig wachsende Wirtschaft machte es erforderlich, dass die Wirtschaft alle bestehenden Potentiale genutzt und gefördert hat. Nicht umsonst musste man später für die einfachen Tätigkeiten auf ausländische Gastarbeiter zurückgreifen.

  5. 86.
    Antwort auf [Fini 1] vom 07.06.2023 um 09:11

    Der Beitrag ist nicht nur ein gutes, sondern in erster Linie ein abschreckendes Beispiel für den Fortschritt des geistigen und moralischen Verfalls dieser Gesellschaft, vor dem schon Helmut Kohl gewarnt hat. Allerdings bis heute erfolglos, sondern auch noch von den Enkeln systematisch kultiviert.

  6. 84.

    Gutgeschrieben. Leider ist es so, dass viele oder einige glauben, mit politischer Ideologie Spitzenleistungen erzielen zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Auffällig ist,welche politischen Richtungen immer zu den Letzten in der Bildung gehören. Das hat seine Gründe.

  7. 82.

    zu DDR Zeiten konnten und sollten die Eltern in Schulen im Unterricht hospitieren, um so zu erfahren was man den Kindern beibringt, vielleicht sollten sich einige mal diese Zeit nehmen um so erkenn wieso manche Schüler nicht in die Schule wollen und wo die Probleme sind.

  8. 81.

    Die Sympathisanten der rechtsextremen AfD sind sich also einig? Gerade die sollten sich nicht über die abnehmende Fähigkeit und den Willen zur sachlichen Diskussion beschweren,waren es sie doch die den Verfall des politischen Anstands zu verantworten haben.

  9. 80.

    So ein Quatsch konnte ja nun wieder von einem kommen der "liberal" und "neoliberal" nicht unterscheiden kann, obwohl er selbst ein Anhänger von neoliberaler und sozialdarwinistischer Politik ist.

    "Politische Mittel, die dem Neoliberalismus häufig zugeordnet werden, sind Privatisierung, Deregulierung, Lohnzurückhaltung, Steuersenkung und ein möglichst schlanker Staat, der das Sicherstellen von reibungslosem Marktgeschehen als einzige Aufgabe hat."

    "Der Sozialdarwinismus ist eine Ideologie aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Darwins Lehre von der Evolution durch natürliche Auslese auf die menschliche Gesellschaft anwendet."

    Das propagieren sie hier doch bei jeder Gelegenheit.

  10. 79.

    "...wenn Sie den Inhalt von Steffen´s Kommentar für Quatsch halten, haben Sie eine geschichtliche Bildungslücke. "

    Falsch. "Die Wirtschaftswunderjahre waren nicht geprägt von sozialistischer Gleichheit durch Verteilung sondern vom Versprechen, dass Jeder mit Fleiß und Wissen die Chance zum sozialen Aufstieg hatte."

    Das ist schlicht Blödsinn, die Zeit war geprägt von niedrigen Löhnen und langen Arbeitszeiten. Ein sozialer Ausfstieg war so gut wie unmöglich, auch weil das Bildungssystem noch stark von Klassenunterschieden geprägt war.

    Da konnte kein Arbeiterkind studieren. Das kam erst mit Ende der Wirtschaftswunderjahre und mit Hilfe der Gewerkschaften.

  11. 78.

    Nicht mal 10% der nicht-verbeamteten Lehrer streiken? Dann kann das Problem ja nicht so groß sein, wenn ca. 30.000 Lehrer NICHT streiken.

  12. 77.

    Der Staat erzieht sich diesbezüglich aber seine (großen) Kinder, die es den kleinen dann fein weitergeben. Wäre unser Sozialsystem nicht so wie es jetzt ist, gäbe es viele von Ihnen genannte Probleme gar nicht. Allerdings wäre die Kehrseite der Medaille, dass eben auch viele hinten runter fallen.
    Und nicht jeder, der Wert auf eine Work Life Balance legt, ist auf Almosen angewiesen. Auch eine 4 Tage Woche kann knall hart sein, da sollte man nicht alle über einen Kamm scheren. Außerdem bedeutet die 4 Tage Woche nicht automatisch, dass man nur ein paar Stunden arbeiten geht. Es gibt Betriebe, die dieses Modell im Vollzeitmodus probieren bzw bereits anwenden...

  13. 76.

    Ihr Beitrag beschreibt zutreffend die vergangene Zeiten in Westdeutschland.
    Im Gesamtdeutschland der letzten 25 jahre wird die Verantwortung für das eigene Wohl und das Wohl des Nachwuchses immer mehr an den Staat delegiert, kurz um der Staat hat für mich und meinen Nachwuchs möglichst "alles Richten" und mir wenig abverlangen..

    Übrigens, nur der Wille zum diskutieren hat rapide zugenommmen, aber die Fähigkeit und der Wille zur sachlichen Diskussion hat stark abgenommen, und die Absicht zum Zuhören ebenso.

  14. 75.

    Da bestimmt der Platzmangel die pädagogische Arbeit und nicht mehr die Pädagogik den Raum. Aber auch ausserhalb des Klassenzimmers ist Masse nicht zu stemmen - Konfliktbegleitung bei den Kids , Elternarbeit sowie Familienunterstützung, die Lehrer gemeinsam mit Erziehern , Elternvereinen und Sozialpädagogen stemmen - aber auch die Diagnostik und Pflege von Förderbedarfen gemeinsam mit den Schulpsychologen wird auf noch längeren Wartebanken zu finden sein.
    Die, die streiken dürfen - gehen für die verbindliche Klassengröße, unabhängig von der Finanzlage des Landes auf die Straße, für die Erhöhung von Inklusionsstunden, für kleinere Klassen in Schulen mit besonders herausfordernden sozialen Umfeldern... für eine verbindliche Zuweisung von Sozialarbeitern und Schulpsychologen anhand von Schülerzahlen, für die Reaktivierung von Schulgebäuden, die dem Immobilienmarkt preisgegeben wurden..und dafür, dass
    ALLE Kinder das Recht auf Teilhabe und Bildung haben.

  15. 74.

    Die Kinder bleiben auf der Strecke ... kaum bzw. nicht mehr aufzuhalten!
    Grundschule in Berlin sollte Container bekommen, wird nichts (evtl. Herbst), also ca. 50 Erstklässler rein in die Schule ...
    Wie Mittagessen, Schulhofkapazitäten ect. funktionieren soll ... fraglich.
    Lärm, Aggressionen, überforderte Kinder sind vorprogrammiert!
    Wir müssen uns nicht wundern, dass alles den Bach runtergeht ;-(

  16. 73.

    26 bis 29 Kinder nächstes Jahr in allen ersten Klassen unserer Schule, kommen teilweise ohne Schuleingangsuntersuchung... Überraschungspaket nach offener Kitaarbeit. Hier wird die Grundschulverordnung von 25 + 1Kind mit Integrationsstatus schon nicht einzuhalten sein.

  17. 72.

    Damit diese noch weniger Lehrstoff vermittelt bekommen??

    Berliner Schülern wird Lehrstoff sehr mangelhaft vermittelt und deshalb sind sie fast an letzter Stelle aller Bundesländer was das Wissen betrifft.

  18. 71.

    Er polarisiert spalterisch. Liberal ist da ausgleichend. Das gefällt ihn nicht. Daher verwendet er fast immer „neoliberal“. Man muss auch nicht auf alles antworten :-)

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