Positionspapier - Wie sich die Brandenburger Linke als Gegenmodell zur AfD etablieren will
Linken-Landeschef Sebastian Walter will die Partei neu ausrichten, vor allem mit mehr Nähe zu den Bürgern. Auch kann er sich vorstellen, konstruktive Vorschläge anderer Parteien zu unterstützen - mit Ausnahme einer Partei. Von Thomas Bittner
- Walter stellt Konzept für einen "neuen demokratischen Aufbruch" vor
- Linke soll Nähe zu den Bürgern "maximal ausbauen"
- Jede Woche mehrere Vor-Ort-Veranstaltungen
Ein Juli-Abend in der Hafenbar von Templin. Die Wiese am Ufer des Stadtsees füllt sich, die Abendsonne scheint, Cocktails stehen auf den Tischen, die Speisekarte kreist. Ein Getränk und ein Essen sind frei, der Abend wird für die Gäste von der Landtagsfraktion der Linken gezahlt. Vorn steht Sebastian Walter, der 33-jährige Chef von Fraktion und Landesverband. Es ist Teil seiner "Alles-wird-teurer-Tour", sie bringt ihn diesen Sommer durchs Land. Er erinnere sich an seine Studentenjobs hinter der Bar, eröffnet er den Abend. Nie werde so ehrlich gesprochen wie an der Theke, deshalb mache er auch in diesem Jahr seine "Kneipentour". Mal kommen acht, mal kommen 80 Leute zum Termin. Walter redet über teure Butter im Supermarkt, das Benzin an der Tankstelle oder die Schrippe beim Bäcker. Über die Schließung der Sparkassenfilialen und steigende Mieten. Über Rekordinflation und Armutsspirale.
AfD-Potenzial unter 35- bis 49-Jährigen besonders hoch
Es ist das Repertoire eines Oppositionspolitikers, der die Verantwortlichen in der Bundes- und Landesregierung an den Pranger stellen will. Aber anders als vor fast 20 Jahren, als die damalige PDS in Deutschland gegen die Sozialpolitik der SPD-geführten Bundes- und Landesregierung Sturm lief und mit dem Anti-Hartz-IV-Kurs große Wahlerfolge erzielte, zündet das Stimmungsfeuerwerk der Linken heute nicht mehr.
Im letzten BrandenburgTrend im Auftrag des rbb im April lag die Linke bei 7 Prozent, andere Umfragen sahen sie jüngst bei 10 bis 12 Prozent. Erfolgreicher in der Opposition ist dagegen die AfD, sie führt in Brandenburg die Umfragen an. Ein vom Brandenburger Linken-Landesverband in Auftrag gegebenes Gutachten eines Berliner Beratungsinstituts sieht für die AfD in der Altersgruppe der 35- bis 49-jährigen Brandenburger ein Potenzial von bis zu 54 Prozent. "Für demokratische Parteien ist diese Altersgruppe kaum noch erreichbar", meint Sebastian Walter. Wer als Jugendlicher oder junger Erwachsener die Nachwendewirren erlebt habe, stehe neuen Veränderungen gegenüber "entschieden bis aggressiv ablehnend gegenüber". Die Bevölkerung wende sich aus Frustration und Enttäuschung zunehmend vom politischen Geschehen ab. "Und wer dies schon getan habe, erlebt es als Befreiung".
Auch jenseits von Gutachten zeigt sich: Die AfD wird als die neue "Kümmerer-Partei" wahrgenommen. Die Linke macht Schlagzeilen mit dem Streit um Sahra Wagenknecht. Die AfD steht mit Infotischen auf Marktplätzen und propagiert bei Stammtischen ihre Agenda. Die Linke streitet sich um die richtige Haltung zum russischen Krieg gegen die Ukraine. Sie hat im vergangenen Jahr deswegen auch viele Mitglieder verloren.
Linke als "oppositionelles Gegenmodell zur AfD"
Gegen den Abwärtstrend will Sebastian Walter angehen und fordert eine Neupositionierung der Linken. "Neuer Demokratischer Aufbruch" – so nennt er sein Positionspapier, das am Sonntag öffentlich wurde. Von Augenhöhe und Nähe ist da die Rede, von Lösungsorientierung und Haltung. Von einer anderen politischen Kultur. So weit, so erwartbar.
Das Konzept will die Linke als "oppositionelles Gegenmodell zur AfD" etablieren. Dem SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke wirft Walter eine "Taktik des Weg- und Kleinredens von Problemen seit Jahren" vor, die die Linkspartei mit eigenen Beteiligungsformaten konterkarieren will.
Walter will die Nähe zu den Bürgern "maximal ausbauen". Die Kneipentour sei ein Anfang. Ziel sei es, in jeder Woche mehrere Vor-Ort-Veranstaltungen der Landtagsfraktion stattfinden zu lassen. In allen Regionen soll es regelmäßig Suppenküchen und Nachbarschaftstreffs geben. Die Abgeordneten sollen sich stärker als bisher auf die Wahlkreisarbeit stürzen und wöchentliche Veranstaltungen machen. "Es geht um eine stärkere Sichtbarkeit der Landespolitik vor Ort".
Nicht mehr "aus Prinzip dagegen sein"
Wenn die Landesregierung trotz Aufforderung nicht zu Runden Tischen oder Gipfelformaten einlädt, wolle das die Linke nun selbst tun: Betroffene und Interessensgruppen vernetzen. Als Beispiel nennt Walter auf Nachfrage ein Austauschformat mit kommunalen Energieversorgern über die Wärmeplanung, das nach der Sommerpause stattfinden soll.
Mit Volksinitiativen will auch die Linke den Druck erhöhen. Sie kündigt eine Initiative für ein kostenfreies Mittagessen in Schulen an.
Im Landtag will die Fraktion zukünftig nicht mehr "aus Prinzip dagegen sein", wenn Anträge von anderen Parteien kommen. Man wolle Vorschläge der Landesregierung und der Freien Wähler unterstützen, wenn sie zur Lösung eines Problems beitragen.
Nur bei der AfD zieht Walter eine rote Linie. "Wer die AfD in den Kreis der demokratischen Parteien einlädt, normalisiert sie. Und wer Rechtsextreme normalisiert, stärkt sie." Das zielt auf den CDU-Landesvorsitzenden Jan Redmann. Walter sieht in jüngsten Äußerungen Redmanns eine Öffnung der CDU in Richtung AfD. Man übernehme Forderungen der AfD, von Grenzschließungen bis zu einer Verschärfung des Asylrechts, kritisiert Walter die Bundes- und Landesregierung.
Redmann hatte jüngst die Polarisierung "Wir alle gegen die AfD" für gescheitert erklärt. Die Parteien müssten dafür sorgen, dass das demokratische Spektrum durch Verschiedenheit spannend und attraktiv bleibe. Der Fehler bei der Landtagswahl 2019 sei es gewesen, dass die Unterschiede im demokratischen Spektrum nicht genug herausgearbeitet wurden.
Es geht eher um den Stil
De facto macht Walter das, was sich Redmann wünscht: Die Sichtbarmachung linker Positionen. Viele Kompetenzen werden der Linken allerdings von potenziellen Wählerinnen und Wählern nicht mehr zugetraut, am ehesten wird noch das hohe soziale Engagement gelobt. Die aktuell im Konzept aufgelisteten Forderungen nach höheren Löhnen, guter Arbeit, bezahlbaren Mieten, mehr Ärzten, weniger Unterrichtsausfall, genügend Kita-Plätzen und einem besseren ÖPNV-Angebot wirken allerdings noch nicht so exklusiv, dass sie nach Neuausrichtung der Linken klingen.
Es geht eher um den Stil. Walter fordert eine Rückbesinnung auf das, was die PDS und später die Linke einmal stark gemacht hatte: Vor Ort ansprechbar und in der Fläche erlebbar zu sein. Doch das kann auch an personellen Kapazitäten scheitern. 2004 hatte die Partei noch über 10.000 Mitglieder in Brandenburg, heute sind es nur noch 4.500.
Landesparteichef und Fraktionsvorsitzender Walter, auf den auch die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2024 hinausläuft, muss seine Partei mobilisieren, wenn die Linke nicht in der Versenkung verschwinden soll. Im September wird im Landesvorstand über die Spitzenkandidatur entschieden, im Januar geht es bei einem Parteitag um den Wahlkampf.
Die Kneipentour in der Abendsonne wird da nicht mehr als eine Erinnerung an den Politiksommer vor dem Wahljahr sein.