Ausreisezentren in Brandenburg - Neue Härte gegenüber Ausreisepflichtigen
Task-Force, Behördenzentrum, Ausreisezentren: Brandenburgs Innenminister eckt mit seinen Plänen zur Organisation von Ausreisen an einem Koalitionspartner an. Wer soll wofür zuständig sein? Und wie viele Menschen betrifft es überhaupt? Von Michael Schon
• Organisation von Abschiebungen soll erleichtert werden
• Konkrete Pläne sollen im Januar vorgestellt werden
• Bündnis 90/Die Grünen kündigt Widerstand an
Zum Einstieg ein paar Zahlen, die mit denen die Dimension der Abschiebungs-Debatte etwas greifbarer wird: In Brandenburg leben laut Ausländerzentralregister aktuell rund 47.000 Menschen, die aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen hergekommen sind. Deren Recht es also war, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen und hier Schutz zu finden.
Die Zahl der Menschen, die Brandenburg wieder verlassen müssen, ist zehnmal kleiner: Rund 4.500 Personen sind vollziehbar ausreisepflichtig, wie es im Beamtendeutsch heißt. Das bedeutet: Sie haben alle juristischen Instanzen durchlaufen. Ihre Anträge sind endgültig abgelehnt. Was es nicht bedeutet: Dass sie Brandenburg auch tatsächlich verlassen müssen, weil Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete oft ausgesetzt werden. In den Iran zum Beispiel werden Menschen seit einiger Zeit nicht mehr zurückgeschickt. In die Russische Föderation gibt es keine Direktflüge. Und bei Afghanistan und Syrien verweist das Innenministerium auf fehlende diplomatische Beziehungen.
Rund 2.300 Menschen müssen Brandenburg verlassen
Die Zahl, um die es in der Abschiebungs-Debatte eigentlich geht, ist noch einmal halb so groß: Rund 2300 Menschen könnten tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden, wenn alle bürokratischen Rahmenbedingungen erfüllt sind. Um diese Menschen geht es, wenn beispielsweise Innenminister Stübgen davon spricht, die Zahl der Abschiebungen erhöhen zu wollen.
Für das ganze Bild braucht es dann noch eine letzte Zahl: 577. So viele Menschen ohne Bleiberecht haben Brandenburg in diesem Jahr verlassen. Entweder freiwillig oder weil sie abgeschoben wurden. Aus Sicht von Stübgen, und angesichts aktueller Wahlumfragen offenbar auch vieler Brandenburgerinnen und Brandenburger, sind das zu wenige.
Deshalb will Stübgen diese Zahl nun mit sogenannten Ausreisezentren steigern. Die Idee hat er sich, so erzählt es Stübgen, in Schleswig-Holstein abgeschaut. Es handelt sich dabei um Sammelunterkünfte, in der Menschen "mit Abschiebehindernis" zentral untergebracht werden. Solche Hindernisse können fehlende Pässe oder Ersatzpapiere sein - oder, "dass das Land sie nicht zurücknimmt", wie es Stübgen formuliert.
Fahndung nach untergetauchten Ausreisepflichtigen
Das Besondere ist, dass es in den Einrichtungen eine Residenzpflicht geben soll. Verstöße werden mit dem Entzug von Unterstützungsleistungen geahndet und die Betroffenen zur Fahndung ausgeschrieben. Damit soll verhindert werden, dass sie vor ihrer Abschiebung untertauchen können, wie es bisher in den dezentralen Gemeinschaftsunterkünften der Landkreise immer wieder vorkommt.
Die neuen Ausreisezentren sollen zwar ebenfalls von Landkreisen betrieben werden, allerdings in Zusammenarbeit mit der Zentralen Ausländerbehörde des Landes (ZABH), die ab Januar die Gesamtverantwortung für Rückführungen übernimmt. "Wir straffen das System", fasst Stübgen das Manöver zusammen. Bis Januar will er mit einzelnen Landkreisen über mögliche Standorte sprechen, vorzugsweise im Westen oder der Mitte Brandenburgs. Im Osten, in Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder), sind bereits die großen Standorte der Erstaufnahmeeinrichtung.
Grüne: CDU und SPD folgen Rhetorik des rechten Randes
Die härtere Gangart ist in Brandenburgs "Kenia"-Koalition umstritten. Der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen hat gegen das Vorhaben protestiert. Man lehne Stübgens "Alleingang" ab, teilte die bündnisgrüne Landesvorsitzende Hanna Große Holtrup mit. Die Ankündigung sei weder abgestimmt noch zielführend und stoße auf den Widerstand der Grünen: "Wer sich auf Abschiebungen konzentriert, setzt am falschen Ende an", argumentiert Große Holtrup. CDU und SPD wirft sie vor, der Rhetorik des rechten Randes hinterherzulaufen und Scheinlösungen vorzuschlagen.
Tatsächlich begrüßt die AfD den Vorstoß. "Wir haben in der Vergangenheit mehrfach Abschiebehaftanstalten gefordert. Das ist ja doch relativ ähnlich", findet die innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Lena Kotré.
Grünes Licht für Behördenzentrum
Parallel zum Aufbau der Ausreisezentren in einzelnen Landkreisen soll am Flughafen BER in Schönefeld ein von der Landesregierung so genanntes Behördenzentrum gebaut werden. Finanzministerin Katrin Lange (SPD) hat in der vergangenen Woche dafür Verpflichtungsermächtigungen freigegeben, also finanziell grünes Licht gegeben. "Jetzt wird angefangen zu bauen", ist sich Stübgen sicher - auch wenn das Projekt beim grünen Koalitionspartner nach wie vor auf Ablehnung stößt.
Das Innenministerium beginne bereits damit, die Verträge mit Untermietern auszuhandeln. Einziehen sollen unter anderem Mitarbeiter der ZABH und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In dem Gebäude sollen sowohl Flughafenasylverfahren als auch Verfahren zur Beschäftigungseinwanderung abgewickelt werden. Auch für den Vollzug von Abschiebungen soll das Gebäude genutzt werden.
Gegen das Behördenzentrum haben die Grünen bereits zahlreiche Protestnoten eingereicht. Trotzdem ist bisher nicht erkennbar, dass die Projekte des Innenministers in der Kenia-Koalition an ihrem Widerstand tatsächlich scheitern werden. Dazu scheint die Verhandlungsposition der Grünen in der aktuellen Stimmungslage und unter dem Druck hoher Umfragewerde der AfD zu schwach.
Sollte Stübgen bis Anfang nächsten Jahres unter den Landkreisen Partner für die Ausreisezentren finden, dürfte die Gangart Brandenburgs bei der Abschiebung von Ausreisepflichtigen also spürbar härter werden.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 09.11.2023, 19:30 Uhr