Sechs Richterposten ohne Nachfolge - Berliner Parteien streiten über Neubesetzung am Verfassungsgerichtshof

Fr 12.01.24 | 10:36 Uhr | Von Angela Ulrich und Boris Hermel
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Kammergericht im Kleistpark am 30.04.2019. (Quelle: IMAGO/Sascha Steinach)
Video: rbb24 Abendschau | 12.01.2024 | Dorit Knieling | Bild: IMAGO/Sascha Steinach

Am Verfassungsgericht, dem obersten Berliner Gericht, hätte ein Großteil der Richterposten seit mehr als zwei Jahren neu besetzt werden müssen. Aktuell beharken sich Regierungsfraktionen und Opposition. Die Hängepartie hat bereits personelle Konsequenzen. Von A. Ulrich und B. Hermel

Das Berliner Verfassungsgericht ist schon seit Monaten nicht mehr komplett - bekannt wurde es erst jetzt. Die Strafrechtlerin Margarete von Galen, die auf Vorschlag der Grünen ins Amt gekommen war, hatte bereits im Sommer letzten Jahres um ihre Entlassung gebeten. Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld, CDU, stimmte dem Antrag zu.

Seit Oktober 2023 besteht der Verfassungsgerichtshof damit nur noch aus acht statt neun Richterinnen und Richtern.

Alte Besetzung bis zur Wiederholungswahl

Margarete von Galen erklärte gegenüber dem rbb, sie empfinde es als "Respektlosigkeit des Abgeordnetenhauses gegenüber der Institution des Verfassungsgerichtshofs", dass das Parlament - nach der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus im Februar 2023 - für die Richter und Richterinnen, deren Amtszeit abgelaufen ist, nicht zügig eine Nachfolge gewählt habe. Sowohl ihre siebenjährige Amtszeit wie auch die von fünf weiteren Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs endete formal bereits im Sommer 2021. Von Galen bezeichnete es als nachvollziehbar, dass das Gericht in alter Besetzung noch bis zum Urteil zur Wiederholungswahl im Herbst 2022 amtiert habe. Danach aber hätte es schnell eine Nachwahl geben müssen. Aus Gründen eigener Planungssicherheit habe sie den Antrag auf Entlassung gestellt.

"Ein ungeheuerlicher Vorgang"

Die oppositionellen Fraktionen von Grünen und Linken erhöhen nun den Druck auf die Regierungsparteien. In einem Brief an die Fraktionsspitzen von CDU und SPD fordern sie ein Spitzengespräch zur Nachwahl der sechs Richterposten am kommenden Donnerstag.

Sie hätten erwartet, dass die CDU als größte Fraktion zu einem derartigen Treffen einlädt, schreiben die Fraktionsvorsitzenden von Grünen und Linken, Werner Graf und Carsten Schatz, in dem Brief, der dem rbb vorliegt. "Dass die Koalition bis heute nicht mal zu einem Gespräch unter den demokratischen Fraktionen eingeladen hat, ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der der Würde dieses Gerichts nicht gerecht wird," so Grünen-Fraktionschef Graf gegenüber dem rbb.

Carsten Schatz von den Linken befürchtet, dass neben Margarete von Galen weitere Richterinnen und Richter wegen der ausbleibenden Nachwahlen ihre Entlassung beantragen könnten. "Der Verfassungsgerichtshof könnte deshalb in die Gefahr geraten, nicht mehr tätig werden zu können", so der Linksfraktionschef. "Das ist in der demokratischen Ordnung undenkbar."

Zoff um Vorschlagsrecht

Nach rbb-Informationen besteht zwischen dem schwarz-roten Regierungslager und der Opposition große Uneinigkeit darüber, welche Fraktionen wie viele neue Richterinnen und Richter vorschlagen dürfen.

Was ist das Verfassungsgericht Berlin?

Der Verfassungsgerichtshof Berlin entscheidet bei Streitigkeiten über Rechte und Pflichten, die sich aus der Berliner Verfassung ergeben. Nur dieses Gericht darf feststellen, ob Landesgesetze mit der Berliner Landesverfassung vereinbar sind. Auf diese Weise kontrolliert der Verfassungsgerichtshof die gesetzgebende Gewalt auf Landesebene – also das Abgeordnetenhaus. Dieses Gericht besteht aus neun Richterinnen und Richtern, die ehrenamtlich tätig sind.

Nach einer ungeschriebenen Übereinkunft werden die Vorschlagsrechte eigentlich nach dem sogenannten d'Hondt-Verfahren verteilt, das proportionale Repräsentation gewährleisten soll. Das heißt, von den neun Richterinnen und Richtern dürften drei von der CDU vorgeschlagen werden, zwei von der SPD, zwei von den Grünen und jeweils eine oder einer von Linken und AfD.

Einig sind sich CDU, SPD, Grüne und Linke darin, dass sie einen Vorschlag der AfD verhindern wollen. Die Streitfrage ist nun offenbar, ob stattdessen den Linken oder aber dem Koalitionslager ein weiterer Richtervorschlag zugestanden werden soll.

Definitiv weiter im Amt bleiben die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Ludgera Selting, vorgeschlagen von der SPD, der Richter Christian Burholt, vorgeschlagen von der CDU, und Ulrike Lembcke, nominiert von den Linken. Sie waren erst im Herbst 2019 beziehungsweise im März 2020 gewählt worden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.01.2024, 12 Uhr

Beitrag von Angela Ulrich und Boris Hermel

19 Kommentare

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  1. 19.

    Erstmal: die AfD sollte offiziell als das eingestuft werden, was sie ist: verfassungsfeindlich & demokratieunterwandernd! Aber, sollte der im Artikel genannte Streitpunkt der einzige sein, ist das aus demokratischer Sicht ziemlich fragwürdig. Die AfD vertritt traurigerweise mehr als 5% der WählerInnenstimmen, sitz somit als Fraktion mit allen Rechten (geschriebenen und ungeschriebenen)und Pflichten im Abgeordnetenhaus. Verhindern zu wollen, dass sie diese wahrnimmt, ist undemokratisch und Wasser auf den Mühlen der AfD BefürworterInnen. Ja, ein/e rechtsradikale VerfassungsrichterIn ist brandgefährlich, bei 8 zu 1 aber nicht besonders durchsetzungsstark. Das Symptom AfD zu bekämfen heilt die "Krankheit" der großen Ungerechtigkeit in unsere Gesellschaft nicht. Das Übel an der Wurzel packen hilft eher: sozialgerechte Steuer-, Gesundheits-, Familien- und Wohnungspolitik, sicherheitschenkende Sozialp., mündigmachende Bildungsp., etc. Wer sich mitgenomme fühlt, muss nicht protestwählen!

  2. 18.

    Vielleicht sollten Sie meinen Kommentar nochmals lesen. Wo habe ich geschrieben, die Neutralität oder Unabhängigkeit von Richtern oder Richterinnen außer Kraft setzen zu wollen? Dieses Richterkollegium hat Entscheidungen im Sinne der Berliner Verfassung zu fällen. Und nun erzählen Sie mir einen Grund, warum es in der Besetzung zu Verzöherungen kommt. Weil sich wieder einmal Parteien über ihre Befindlichkeiten streiten, kann so ein hohes Richterkollegium nicht besetzt werden? Geht's noch?

  3. 17.

    Wow, wann hört dieses Kindergartenverhalten endlich auf:
    - Die anderen sind Schuld
    - Nein, die sind Böse, mit denen spiele ich nicht.
    - Ich bin besser als der andere
    Wann fangen wir wieder mit lösungsorientierten Handeln an?
    Kann man Richter nicht irgendwie von neutralen Menschen bestellen lassen????

  4. 16.

    Wenn das keine politischen Richter wären, dann bräuchte man sich ja nicht streiten sondern im Losverfahren auswählen. Jede Partei wirft ihren Vorschlag in eine Lostrommel und dann wird gezogen. Nein, es wird gestritten, weil es selbstredend politische Richter sind. Sonst könnte ja jede Seite jeden Richter akzeptieren. Dass sie es nicht tun macht deutlich, dass es da Unterschiede gibt und sie sich etwas davon versprechen, dass unbedingt ihr Kandidat durch kommt. Im Übrigen ist es auch nicht demokratisch, wenn die Mehrheit eine Minderheit von diesem und anderen Prozessen ausschließt weil der Kandidat zu "xyz" ist. Denn dann sind die anderen zu grün zu schwarz zu gelb zu rot zu rosa.

  5. 15.

    2020 hatte Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen--Partei Die Linke--Michael Kaufmann von der AfD zum Landtags-Vizepräsidenten gewählt.
    Bergündung:"Ich achte die Parlamentsregeln"

  6. 13.

    "Dass die Koalition bis heute nicht mal zu einem Gespräch unter den demokratischen Fraktionen eingeladen hat, ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der der Würde dieses Gerichts nicht gerecht wird," so Grünen-Fraktionschef Graf gegenüber dem rbb."
    Sorry, aber ist das eine späte Selbsterkenntnis. Die letzten Wahlen waren doch 2023 und ... "...endete formal bereits im Sommer 2021." Sehe ich da was verkehrt oder hätte dies nicht in die Regierungszeit des alten Senats fallen müssen?

  7. 12.

    was verstehen sie nicht unter dem Begriff Neutral und Unabhängigkeit des Richteramtes. Es scheint hier der Eindruck vermittelt zu werden das nur das Richtige Parteibuch oder Politischer Anhang zu zählen, aber nicht Wissen / Eignung, wer sagt also mir und erzählt mir das hier Politik gemacht wird und dementsprechend ausgenutzt und das Rechtssystem Unterwandert

  8. 11.

    "Die ganze Truppe" wird von Wahlberechtigten gewäht. Und demnächst ab 16 Jahre. Viel Spaß damit.

  9. 10.

    >"Wozu soll ein Verfassungsfeind Richter am Verfassungsgerichtshof werden?"
    Das ist dann eine Frage der Personalprüfung und der Wahl eben jeder Richter. Daher ziehen sich solche Wahlen mitunter, weil alle anderen Parteien zusammen doch noch die Mehrheit zur Ablehnung von AfD Kandidatenvorschlägen haben.

  10. 9.

    Wozu soll ein Verfassungsfeind Richter am Verfassungsgerichtshof werden?

  11. 8.

    Also 4 Fraktionen bestimmen, dass die 5.Fraktion kein Vorschlagsrecht haben soll. Das nenne ich gelebte Demokratie, es wird einfach der Wählerwille ignoriert. Oder wie ist das zu verstehen? Letztendlich geht es darum ein Gericht neu zu besetzen und dadurch handlungsfähig zu machen. Vorschläge hin oder her, ich war der festen Meinung, dass es mit der neuen Berliner Regierung besser läuft. Leider ist das bisherige (nicht) agieren wieder einmal ein Armutszeugnis von allen vertretenen Fraktionen.

  12. 7.

    >"Sollen Sie das?! Ich meine, Gewaltenteilung und so."
    Die Gewaltenteilung zwischen Politik und Rechtsstaat ist gewährleistet durch den Amtseid dann. Die vorgeschlagenen Richter dürfen kein höheres politisches Amt inne haben. Weil diese Richter vom Parlament vorgeschlagen und dann auch gewählt werden, sind Vorschläge aller Fraktionen üblich. Dass ein Richter privat eine politische Meinung hat, ist nicht verboten. Darf es auch nicht. Eine politische Einflussnahme in richterliche Entscheidungen ist schon daher nicht gegeben, weil in diesem Gremium Richter/innen sitzen, die privat unterschiedliche Strömungen der Gesellschaft vertreten und unter Eid arbeiten. Sie sind dem Rechtsstaat verpflichtet und nicht dem politischen Staat.

  13. 6.

    "Und eigentlich sollten die Verfassungsrichter alle im Parlament vertretenen politischen Richtungen vertreten."

    Sollen Sie das?! Ich meine, Gewaltenteilung und so.

  14. 5.

    >"Verstehe ich nicht - was gibt es da zu streiten?"
    Ist im Artikel schon erwähnt:
    "Einig sind sich CDU, SPD, Grüne und Linke darin, dass sie einen Vorschlag der AfD verhindern wollen."
    Da die Vorschlagsverteilungen ein nur ungeschriebenes Gesetz ist, also bisher auf überliefertes schlüssiges Handeln der Akteure beruht und die AfD nun als Partei mit im Parlament ist, gerät dies hier nun aus den Fugen und zur Streitfrage. Einen Kandidaten von der AfD möchten die anderen Parteien nicht. Ich befürchte, da muss mal wieder erst ein neues Gesetz oder eine Durchführungsbestimmung oder irgendwas mit 100 Paragraphen her, um diese Fragen zu klären. Und eigentlich sollten die Verfassungsrichter alle im Parlament vertretenen politischen Richtungen vertreten. So rein theoretisch, ohne jetzt eine Partei zu streicheln....

  15. 4.

    Verstehe ich nicht - was gibt es da zu streiten? Die Vorgehensweise scheint doch wohl geregelt? Dann benennt doch einfach die Richter:innen...und gut ist es.

  16. 3.

    Lehnen Sie sich beruhigt zurück. Am 11. Februar sind nur die Nachwahlen in wenigen Berliner Wahlbezirken. Das muss Sie auch gar nicht mal betreffen, wenn Sie nicht einem Wahlbezierk wohnhaft sind, der nachwählen muss. Und sie müssen auch nicht zu einer Wahl gehen. Die Verfassungsrichter wählen Sie eh nicht direkt. Die werden von den parlamentarischen Parteien vorgeschlagen und dann von der ganzen Truppe gewählt oder eben nicht.

  17. 2.

    was bedeutet eigentlich der Spruch politisch Wirtschaftlich Neutral der auch Bestandteil des Richtereides ist ????

  18. 1.

    Und dann soll am 11. Februar 2024 gewählt werden. Wen bitte?

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