Landtagswahl - Das ist über Brandenburger Nichtwähler bekannt

Mi 11.09.24 | 06:23 Uhr | Von Juan F. Álvarez Moreno
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Symbolbild: Menschen in der Fußgängerzone - Brandenburger Strasse in Potsdam, Brandenburg. (Quelle: dpa/Joko)
Bild: dpa/Joko

Immer wieder werden Nichtwähler als die größte Wählergruppe beschrieben, obwohl sie auf die Stimmabgabe verzichten. Doch seit Jahren wird die Gruppe der Nichtwähler immer kleiner. Unklar, wer davon profitieren könnte. Von Juan F. Álvarez Moreno

Würden alle Nichtwähler in Brandenburg eine fiktive Partei wählen, dann wäre sie die mit Abstand stärkste Kraft im Parlament. Bei der Landtagswahl 2019 hätte sie mehr Stimmen als alle Regierungsparteien – SPD, CDU und Grüne – zusammen erhalten.

Bei der vergangenen Wahl entschieden sich von mehr als zwei Millionen Wahlberechtigten in Brandenburg mehr als 800.000 gegen die Stimmabgabe. Bei der Wahl 2014 gab es mehr als 1.100.000 Nichtwähler.

Am seltensten wählten bei der Brandenburger Landtagswahl 2019 die Anwohner der Wahlkreise Barnim I (52,3 Prozent), Brandenburg an der Havel II (52,7 Prozent) und Uckermark I (54,4 Prozent). Brandenburg an der Havel und die Uckermark gehören zu den einkommensschwächsten Regionen Brandenburgs.

2019 konnte die AfD überdurchschnittlich viele ehemaligen Nichtwähler für sich gewinnen: Laut Schätzungen von Infratest/Dimap für die ARD machten etwa 115.000 von ihnen ihr Kreuz bei der AfD. Nur halb so viele entschieden sich für die SPD, den damaligen Wahlgewinner.

Nichtwähler ist nicht gleich Nichtwähler

Doch wie sieht ein Nichtwähler typischerweise aus? Die Forschung erkennt dabei einige Merkmale: Je weniger Geld ein Mensch hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass er auf die Stimmabgabe verzichtet. Zudem kommen zahlreiche Studien zu dem Ergebnis, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad häufiger Nichtwähler sind. Und auch längst belegt: Jüngere Menschen wählen seltener als ältere.

Nichtwählern wird traditionell ein geringes Interesse an Politik zugeschrieben. Das ist bei zwar bei vielen so, doch es gibt viele weitere Gründe. Eine bedeutende Gruppe bilden die bedingten oder unechten Nichtwähler. Das sind zum Beispiel diejenigen, die keine Wahlbenachrichtigung erhalten, weil sie umgezogen sind oder sich im Ausland aufhalten. Dazu zählen auch Verstorbene, die noch im Wählerverzeichnis stehen, aber auch durch Krankheit verhinderte Menschen.

Darüber hinaus sprechen Politikwissenschaftler von bekennenden Nichtwählern, also politisch interessierte Menschen, die aus Unzufriedenheit mit der Regierung, dem Parteiensystem oder der Demokratie auf die Stimmabgabe verzichten. Andere überzeugte Nichtwähler gehören hingegen einer politikfernen Minderheit an – und lehnen beispielsweise Wahlen aus religiösen Gründen ab.

Eine weitere Gruppe von Nichtwählern kann man eigentlich als Gelegenheitswähler einordnen. Sie entscheiden bei jeder Wahl – je nachdem, wie wichtig ihnen diese erscheint –, ob sie ihre Stimme abgeben wollen.

Und für das Nichtwählen gibt es schließlich auch ganz banale Gründe: Es gibt Wahlberechtigte, die am Wahltag versäumen, ins Wahlbüro zu gehen – oder vor der Wahl verpasst haben, Briefwahl zu beantragen.

Trotz allem lässt sich in den vergangenen Jahren ein neuer Trend beobachten: Die Wahlbeteiligung steigt in Brandenburg seit 2014 kontinuierlich. Damals nahm weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten an der Kommunal- und Europawahl sowie an der Landtagswahl teil – der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. 2019 stieg die Zahl auf etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten. Und bei der Kommunal- und Europawahl im vergangenen Mai waren es bereits mehr als 65 Prozent. Auch bei der Bundestagswahl gibt es seit 2009 immer weniger Nichtwähler.

Höhere Wahlbeteiligung in polarisierten Zeiten

Zu den Nichtwählern in Brandenburg gibt es keine aktuellen Studien, wie Timm Beichelt, Politikwissenschaftler und Professor für Europa-Studien an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) dem rbb sagt. Dass die Wahlbeteiligung bei den vergangenen Wahlen gestiegen ist, wundert Beichelt nicht. "In polarisierten Zeiten ist es nicht unüblich, dass die Wahlbeteiligung nach oben schnellt."

Bei dieser Wahl beschäftige das Thema Migration viele Wahlberechtigte. Zur Wahl stünden diesmal gleich zwei Parteien – die AfD und das BSW –, die zu dieser Frage "eine kontroverse Position" einnehmen, so der Professor. Das Thema mobilisiere aber gleichzeitig Gegner und Befürworter von Migrationsbeschränkungen, deswegen sei schwer einzuschätzen, welche Partei davon profitieren werde. "Beide Lager versuchen daher mit besonders deutlichen und sichtbaren Botschaften, ihre jeweilige Wählerschaft zu mobilisieren", sagte Politikwissenschaftler Beichelt.

Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa aus dem Januar unterstützt die These, dass diesmal nicht nur die AfD ehemalige Nichtwähler mobilisieren könnte [stern.de]. Etwa die Hälfte der Nichtwähler würde demnach bei der Annahme, dass die AfD die Wahl gewinnen könnte, überlegen, zur Wahl zu gehen und eine andere Partei zu wählen.

Am 22. September wird sich zeigen, ob die Nichtwähler noch mal weniger werden und wer am meisten davon profitiert. Eines steht bereits fest: Die fiktive Nichtwähler-Partei mag nach der Wahl auch rein rechnerisch wieder als stärkste Kraft zählen, doch ohne Vertreter im Parlament bleibt ihr Einfluss auf die Politik weiterhin sehr begrenzt.

Beitrag von Juan F. Álvarez Moreno

54 Kommentare

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  1. 54.

    "Offensichtlich ist ihnen nicht klar, dass das Recht zur Meinungsäußerung nicht die Teilnahme an einem Wahlakt voraussetzt."
    Wenn es Ihnen um gesetzliche Paragraphen geht, gebe ich Ihnen recht. Deshalb schrieb ich vom moralischen Recht.
    In meinem Umfeld werden kluge Stimmen derjenigen, die sich bei gemeinsamen Aktivitäten selbst rausnehmen, für welche es Verantwortung mitzutragen gilt, die dann hinterher aber rummeckern und besserwissen, geflissentlich ignoriert bzw. es wird auf den Zusammenhang 'Verantwortung mittragen <--> von der Gemeinschaft ernstgenommen und gehört werden' verwiesen. Selbst meine Kinder haben das relativ schnell begriffen und waren früh bereit, selbst Verantwortung mitzutragen.
    "Halten sie es denn für moralisch vertretbar, wenn sie eine Partei wählen, deren Politik permanenten Sozialabbau betreibt wie mehrere der sogenannten Etablierten ?"
    Ich pflege keine Parteien zu wählen, deren Politik permanenten Sozialabbau betreibt.

  2. 53.

    Natürlich ist das absolut träge und verwöhnt, wenn man denkt, ich meckre weiter, aber ich will nichts tun, nicht einmal wählen.

  3. 52.

    Leute, bitte geht zur Wahl, je mehr desto besser.
    Die beiden anderen Länder haben vorgemacht wie es geht.
    Danke

  4. 51.

    46 Birgit/ Wechsel sehr gerne! Nur wohin??? BSW und AfD fallen schon mal weg!! Vielleicht die Tierschutzpartei??? Die kleinen Parteien kann ich nicht wirklich ernst nehmen.

  5. 50.

    "Bei der vergangenen Wahl entschieden sich von mehr als zwei Millionen Wahlberechtigten in Brandenburg mehr als 800.000 gegen die Stimmabgabe."

    Dieser Satz ist schon mal falsch. Nichtwähler entscheiden sich nicht für die Stimmabgabe. Ich muss schließlich aktiv wählen gehen.

    Nichtwähler haben im Prinzip kein Recht darauf über die Politik zu jammern, denn sie stimmen dem Wahlergebnis indirekt zu.

  6. 49.

    Wie Sie gewiss gelesen haben, ist das Spektrum der Motive des Nichtwählens sehr breit. Was soll eine neue PARTEI, die dieses Sammelsurium bezüglich einer Nichthandlung aufgreifen soll, erreichen?

    (Nehmen Sie es bitte nicht persönlich: Das wäre gleichbedeutend mit einer Partei Derjenigen, die erklärtermaßen keine Gürtel an Hosen tragen.)

    Eine Rubrik auf dem Stimmzettel "Keine der Listen" mit einer Nichtbesetzung der jeweils zustehenden Mandate wäre hingegen etwas anderes. Zwar ein negativer Bescheid, doch nicht verbunden mit einer Aufforderung zur Erklärung.

  7. 48.

    Mich hat schon sehr erstaunt war, dass ausgerechnet in der Uckermark, der vom rbb, ausgesandte Herr Hecht, gesagt bekam, dass das Hauptproblem dort die Ausländer seien. Also, fehlender Arzt, oder kaum Busverkehr, das hätte ich noch verstanden, aber um wie viele Ausländer geht es da?-Leute, hört euch nicht nur Worthülsen an, sondern geht in das Wahlbüro eines gewählten Politikers. Wahrscheinl. habt ihr keine wirklichen Probleme dort. Aber in Berlin, wo man schneller auf der Straße landen kann, als ihr eure Leiden in der schönen Uckermark beklagt habt, weil irgendeinem Geldinhaber einfällt, er muss die Miete um 450 EUR für den nächsten Monat erhöhen, wir haben gelernt, uns gegen solche Maschen zu wehren. Da ist mir toughe Pendlerin aus Seelow in Erinnerung geblieben, die einen Interessenkreis gebildet hat, damit die Seelow -Müncheberg-Werneuchen eine ordent. funkt. Zugverbind. kriegt! Herr Wissing übernehmen Sie! Her mit Gleis 2!

  8. 46.

    30 Jahre SPD in der Landesregierung sind ja auch mal genug. Mehr als genug. Politischer Wechsel jetzt!

  9. 45.

    Und wenn wir Nichtwähler dann doch mal eine Partei, die auf dem Wahlzettel steht, wählen, dann wird man hinterher wieder abgewatscht. Ach wisst Ihr, das ist schon eine 'Verarsche'.

  10. 44.

    Nichtwähler begründen sehr häufig ihre Haltung damit, daß was gewählt und gewollt wird sowieso nicht regiert. Da werden schon vor der Wahl Konstellationen diskutiert, abgewogen und dementiert, also warum noch wählen. Jämmerlich wie die Vorsätze der zu Wählenden danach nur als geplatzte Seifenblasen in Erinnerung bleiben. Demokratie was heißt das eigentlich? So wie es jeder für sich entscheidet und nicht bevormundet oder gar diskreditiert wird.

  11. 43.

    Wenn man sich mit dem Programm der einzelnen Parteien auseinander setzt und Demokratie leben möchte, ist es legitim die Meinung zu akzeptieren, egal ob e den Politikern gefällt. Ob die AfD, in was auch immer eingestuft wird, um die Meinung der Bürger zu beeinflussen ist ja wohl deutlich gescheitert. Antworten der Bürger auf der Straße sind eindeutig und sollten demokratisch beurteilt werden . Egal wer von den Regierenden oder in der Opposition sitzenden, sprechen immer die gleichen Phrasen.

  12. 42.

    16 Millionen betraf das nicht . Den Rest hat die DM erledigt.
    Die Quittung kam hinterher . Ein Blick in die Tagesnachrichten reicht, um zu sehen wo wir gelandet sind.

  13. 41.

    Ggf. ja so:
    So verstockt, so gängelnd und so diktatorisch die DDR im Großen war - getrübt von einem Hist. Materialismus, bei dem sich die Staatsgewaltigen als Herren, Sachwalter und Geburtshelfer DER Geschichte verstanden -, so demokratisch war sie doch im Kleinen. Da stehen heute die betrieblichen Verfügungsrechte Einzelner davor und die Tatsache, dass mehr als von einer Bundesrepublik Deutschland, von einer Rechtsanwalts- und Versicherungsrepublik Deutschland die Rede sein muss.

    "Ich würde ja gern, aber ..."

    So viel sollte zur Fairness schon gesagt werden. ;-

  14. 40.

    Jaja, deshalb wollten ja alle „Freiheit“, deshalb gab es ja die Mauer, deshalb flohen 2,5 Millionen Menschen vor 1961, starben viele bei der Flucht, deshalb gab es den Schießbefehl, weil es da so schön war und wir davon nur träumen können, wie schön die Diktatur gewesen sein muss.

  15. 39.

    Nach dem Motto, was stört mich das Morgen der anderen, wenn ich heute mal so richtig trotzig sein kann. So weit gedacht. Erstaunlich.

  16. 38.

    Hoffe nur, unsere Enkel lernen nicht irgendwann in der Schule, dass ihre Großeltern, die frei leben konnten, aus Gleichgültigkeit zugelassen haben, dass die Demokratie abgewählt wurde, wie 100 Jahre vorher auch schon.

    Wir haben eine Verantwortung.

  17. 37.

    "zusätzlich funktionierende Strukturen zu schaffen, um allen Bürgern zu erlauben, sich auch außerhalb von Wahlen mit Anregungen und Änderungsvorstellungen einzubringen."
    Genau das wäre der Sinn einer Demokratie. Wie sie selbst feststellen fehlt sowas.
    In der DDR zählte zwar zum Schluss immer die Meinung der Partei, aber Verbesserungsvorschläge konnten sie zu allen Gesetzen machen, übrigens auch in den Betrieben, was heute gar nicht geht.
    Das Eingaben an alle Betriebe und staatlichen Institutionen waren möglich und ihre Beantwortung gesetzlich vorgeschrieben. Davon können sie heute nur träumen.
    .

  18. 36.

    Genau so ist es. Die Analyse hat mir neue Informationen gebracht. Danke an den rbb. Die Gründe der Nichtwähler sind doch vielschichtiger als vermutet.

  19. 35.

    Wenn Sie von der Materie keine Ahnung haben, halten Sie sich raus. Sie haben schon oft Falschangaben gemacht!

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