Hertha im Trainingslager - "Ich mag Vorbereitung nicht - ich mag, wenn die Saison losgeht"
In zwei Wochen spielt Hertha BSC seit über zehn Jahren wieder in der zweiten Liga. Viel Zeit bleibt Pal Dardai und seinem Team also nicht mehr sich vorzubereiten. Doch das ist dem Trainer ganz Recht. Von Philipp Höppner
Bis zum Zeller See sind es vom Platz, auf dem die Profis von Hertha BSC trainieren, nur knapp 50 Meter. Im Hintergrund hört man Kinder im Wasser planschen. Pal Dardai steht gut gelaunt, mit seiner Trillerpfeife in der rechten Hand, an der Seitenlinie. Er beobachtet das Standardtraining und hat zwei Wochen bevor die zweite Liga angestoßen wird gute Laune.
"Ich bin zufrieden mit der Moral der Mannschaft hier", sagt Dardai. "Letztes Saison waren es 70 Prozent faule Spieler und 30 Prozent gewillte Spieler - und jetzt ist es genau umgekehrt." Schon in der Medienrunde zum Saisonauftakt hatte der Ungar klar gemacht, dass er "faul sein" nicht akzeptiert in dieser Saison. Die Mannschaft scheint dies gehört zu haben. Schon bevor das Training losgeht, bilden die Spieler Gruppen, jonglieren zusammen. Nach dem Training werden noch Freistöße geübt, bevor dann viele von ihnen zur Abkühlung in den See springen.
Ngankam-Wechsel offiziell - weitere Transfers erwartet
"Das einzig schwierige ist, dass man nicht weiß, wer geht und wer kommt", sagte Pal Dardai noch am Donnerstag. Doch selbst einen Tag bevor der Wechsel von Jessic Ngankam zu Eintracht Frankfurt offiziell gemacht wurde, wusste eigentlich jeder schon Bescheid. Der U21-Nationalspieler war gar nicht erst ins Trainingslager mitgereist. Hertha erhält laut Medienberichten vier Millionen Euro sowie einige leistungsbezogene Boni. Dafür verliert man einen Spieler, der die Definition des neuen "Berliner Weges" gewesen wäre.
"Dann werden wir bestimmt jemand Neues holen", sagt Dardai. Doch auch die aktuelle Besetzung mache ihm Hoffnung - besonders Wilfried Kanga, der in der letzten Saison lediglich auf zwei Tore kam. "Kanga mit seinem durchtrainierten Körper sieht besser aus als letzte Saison, macht einen ganz anderen Eindruck”, so Dardai. Auch Florian Niederlechner bleibt Hertha in der zweiten Liga erhalten. Mit Derry Scherhant hat Dardai einen weiteren Spieler, den er sowohl zentral, als auch über die Außenbahn kommen lassen kann. Und dann wäre da ja noch der 17-jährige Ibrahim Maza, der vergangene Saison gegen den FC Bayern sein Bundesliga-Debüt feierte und am letzten Spieltag gegen den VfL Wolfsburg ein Tor zum 1:2-Auswärtssieg beisteuerte.
Auch viele Mitspieler von Maza aus der U19 sind im Trainingslager mit dabei. Berliner Jungs, wie Kapitän Pascal Klemens, Julian Eitschberger und Bence Dardai zum Beispiel. Zwar hat Hertha Vertrauen in die Nachwuchstalente, doch wenn der Verein finanziell in einer besseren Position wäre, wären sicherlich Leistungsträger der vergangenen Saison mitgereist. Doch Dodi Lukebakio und Lucas Tousart trainieren aktuell alleine in Berlin - sie sollen für möglichst hohe Summen verkauft werden. Ebenso Krzysztof Piatek, Suat Serdar und Alexander Schwolow. Zwar spricht Dardai von Belastungssteuerung, aber Hertha kann sich diese Spieler und ihre Gehälter schlicht nicht leisten. Doch auch zwei Spieler, die nach Österreich mitgereist sind, könnten den Verein noch verlassen, wenn die Angebote stimmen: Torwart Oliver Christensen und Mittelfeldmann Marco Richter.
Leistner als Führungsspieler
Ein ablösefreier Neuzugang, mit dem Dardai fest plant, ist Toni Leistner. Bei der aktiven Fanszene war der Transfer aufgrund Leistners Vergangenheit bei Union Berlin nicht gut angekommen. Die Ultra-Gruppierung Hauptstadtmafia hing sogar kurzzeitig ein Transparent gegen Leistner vor der Geschäftsstelle auf.
Dardai hingegen freut sich über einen Abwehrspieler mit Erfahrung. "Für mich ist es wichtig, dass er dirigiert. Für mich hat jemand in der Mannschaft gefehlt, der richtig coacht", sagt Dardai. Dies sei besonders wichtig, weil man als Trainer bei Spielen vor vielen Zuschauern nicht permanent von außen gehört würde. Daher brauche es Spieler auf dem Platz, die den anderen Anweisungen geben. "Er ist zwar nicht der Schnellste, aber wenn alle anderen um ihn herum schnell sind, können sie das kompensieren", sagt Dardai.
Wer wird Kapitän?
Ein weiterer Spieler, von dem sich Dardai Führungsqualitäten verspricht, ist Rückkehrer Marius Gersbeck. Der gebürtige Berliner spielte nicht nur in seiner Jugend schon bei Hertha BSC, sondern stand auch stets als Fan in der Ostkurve.
Nach zwei Jahren in Osnabrück und vier Jahren in Karlsruhe kehrt Gersbeck nun mit jeder Menge Zweitligaerfahrung zurück nach Berlin-Westend. "Marius hat sich extrem verbessert mit dem Ball am Fuß", lobt Dardai. In den anstehenden Testspielen solle Gersbeck die Mannschaft auch mal als Kapitän auf den Platz führen. Ebenso wie Marco Richter und Florian Niederlechner, verriet Dardai. Wer sein endgültiger Kapitän würde, ließ er aber noch offen.
Insgesamt drei Testspiele stehen für Hertha BSC noch an - alle drei gegen belgische Erstligisten. Am Samstag um 16 Uhr geht es in Leogang gegen RWD Molenbeek, die gerade frisch aufgestiegen sind. Am Sonntag um 13 Uhr in Saalfelden gegen den Belgischen Meister Royal Antwerpen, die von Mark van Bommel trainiert werden. Und auf der Rückreise aus Österreich macht Hertha noch einen Umweg über Belgien. Dort findet der letzte Test, am Freitag um 18 Uhr, gegen Standard Lüttich statt. "Die belgischen Mannschaften sind massiv und gut, das ist vielleicht kein Top-Bundesliga-Nivaeu. Aber da müssen wir schon einiges zeigen", sagt Dardai über die Testspiele.
"In der zweiten Liga können wir nicht bequem spielen"
Im Vergleich zur ersten Liga gilt die zweite Bundesliga als wesentlich körperbetonter. Unangenehm. Schmerzhaft. So sieht das wohl auch Pal Dardai und gibt eine klare Richtung vor. "In der zweiten Liga können wir nicht bequem spielen. Wenn du anfängst bequem zu spielen, dann bleibt der Gegner frisch, kontert dich aus und du verlierst. Wenn du Druck machst und investierst, weil du fit bist, dann zwingst du sie zu Fehlern und du machst Tore."
Ein weiterer Knackpunkt wird die Defensive sein. In der vergangenen Saison kassierte Hertha ganze 69 Gegentore, davon 21 nach Standards. Das war ein, wenn nicht sogar der Hauptgrund für den Abstieg. Doch im Moment scheint sich Pal Dardai noch keine großen Sorgen zu machen. "Ich habe gute Laune, weil ich gerne zum Training komme. Weil die Jungs gut mitmachen." Doch so gut gelaunt oder so heiß auf die neue Saison, dass auch er selbst vom Steg in den Zeller See sprang, war Dardai noch nicht.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.07.23, 14:15 Uhr