Große Aufgaben im Sommer - Wo und wie muss sich Hertha im kommenden Sommer neu aufstellen?
Für Hertha BSC stehen wichtige Monate an – nicht nur, weil der Aufstieg noch immer möglich ist, sondern auch weil sich der Verein auf eine mögliche weitere Zweitliga-Saison vorbereiten muss. Eine Herausforderung, die Kader, Trainer und Vereinsführung betrifft. Von Marc Schwitzky
Es gibt Neuigkeiten bei Hertha BSC. Und die betreffen nicht Fabian Reese. Sowohl Geschäftsführer Thomas E. Herrich als auch Interimspräsident Fabian Drescher können sich ebenfalls eine Zukunft in ihren jeweiligen Ämtern bei der "alten Dame" vorstellen. Bei einer der beiden Hertha-Verantwortlichen ist es sogar schon nahezu spruchreif.
Damit entgegnet der Verein vielen Fragen zur näheren Zukunft. Der Tod von Präsident Kay Bernstein entfaltete bei Hertha und seinen Fans eine große Brandbreite an Emotionen. Neben Trauer, Schock und ehrlichem Mitgefühl war da auch sofort die Angst - Angst davor, wie es weitergehen wird. Bernstein nahm als omnipräsente Galionsfigur des neuen "Berliner Wegs" sehr viel Raum ein, ging voran. Ohne ihn klaffte und klafft noch immer eine große Lücke.
Die Berliner stehen vor einer bedeutsamen Zeitspanne. In den kommenden Monaten entscheidet sich, ob der Hauptstadtverein aufsteigen oder ein weiteres Jahr in Liga zwei verbringen wird. Daran hängen gleich mehrere personelle Entscheidungen - auf Spieler- wie Trainerebene. Hinzu kommt, dass auch das Organigramm auf der Geschäftsstelle Veränderungen erfahren könnte.
Drescher kann sich Präsidentenamt vorstellen
Ganz oben an der Spitze jenes Organigramms steht der Präsident. Seit Bernsteins Tod hat Vize-Präsident Fabian Drescher das Amt kommissarisch inne - bis Herbst. Dann wird turnusmäßig sowohl das Präsidium als auch das Amt des Präsidenten neu gewählt. Doch Dreschers Zeit als Präsident schien klar begrenzt. Bis zuletzt galt es als sehr unwahrscheinlich, dass er bei der Wahl im Herbst für das Amt kandidieren würde. Vielmehr war die Mutmaßung, dass er die Interimsaufgabe nur aus Loyalität zu Bernstein und Hertha angenommen hatte.
Nun jedoch die Kehrtwende. Im "Hertha Base Podcast" [youtube.de] klärte Drescher auf, dass er eine Kandidatur im Herbst "definitiv nicht ausschließen" kann. "Die Frage ist nicht, wer den Verein in Zukunft führt, sondern wie er geführt wird. Wir haben unseren Weg klar gemacht, es muss dann jemanden geben, der jenen Weg konsequent weitergeht." Eine Aussage mit großer Bedeutung. Ein weiterer Kurswechsel durch eine andere kandidierende Person könnte dem ohnehin durchgeschüttelten Verein schaden. "Es wäre fatal, wenn jemand von außen käme und alles wieder umschmeißen würde - denn wir brauchen einen langen Atem", so Drescher.
Herrichs Zukunft ist geklärt
Eine weitere Schlüsselfigur für die nähere Zukunft Herthas ist Geschäftsführer Thomas E. Herrich. Er ist der letzte verbliebene von einst drei Geschäftsführern. Seit 2022 hat er sich vor allem um Herthas Konsolidierung gekümmert. Auch oder vor allem ihm ist es zu verdanken, dass die "alte Dame" durch drastische Sparmaßnahmen der Insolvenz entgehen konnte. Auch der 59-Jährige hat sich nach Bernsteins Tod klar der Fortsetzung des "Berliner Weges" verschrieben. Dieser sei "kein Vermächtnis, sondern ein Auftrag."
Doch auch hinter Herrichs Zukunft stand längere Zeit ein Fragezeichen. Der Vertrag des Geschäftsführers, der seit 2005 beim Verein arbeitet, läuft im Herbst dieses Jahres aus. Zuletzt war Vereinskreisen zu entnehmen, dass es alles andere als sicher ist, dass er auch über diesen Zeitraum hinaus bei Hertha bleiben wird. Nun aber die Verkündung: Herrich wird bei Hertha bleiben. "Wir haben uns im Präsidium grundsätzlich darauf verständigt, den Weg der Kontinuität und damit den Weg mit Tom (Thomas Herrich, Anm. d. Red.) weiterzugehen. Es braucht noch ein bis zwei Gespräche, alles dann zu seiner Zeit", berichtete Drescher im "Hertha Base Podcast".
Mit der Verlängerung Herrichs und einer möglichen Wahl Dreschers zum Vereinspräsidenten würden sich zentrale Frage- in Ausrufezeichen verwandeln. Die beiden Hertha-Verantwortlichen kennen sich schon lange und schätzen sich. Besonders nach Bernsteins Tod sind sie zusammengerückt. Durch jene Geschlossenheit scheint es unwahrscheinlich zu sein, das durch etwaige Ambitionen anderer auf gewisse Ämter alte Grabenkämpfe im Verein aufbrechen. Stattdessen herrschen derzeit Ruhe und Kontinuität.
Schafft Dardai den nächsten Entwicklungsschritt?
Kontinuität wünscht sich auch jeder Klub auf der Trainerposition. Seit April 2023 ist Pal Dardai (wieder) Cheftrainer von Hertha. Den damaligen Bundesliga-Abstieg konnte der Ungar innerhalb weniger Spiele nicht mehr verhindern, dafür gelang ihm die sportliche Stabilisierung in Liga zwei. Durch klare Kommunikation, ein gutes Gefühl für die Spieler und einen pragmatischen Spielstil Dardais hat sich Hertha trotz einer völlig neuen Mannschaft recht schnell im Unterhaus etabliert. Doch schnell war ein spielerisches Plateau erreicht, seit geraumer Zeit fehlt der nächste Entwicklungsschritt.
Bis zum Saisonende wird Dardai beweisen müssen, auch zukünftig der richtige Trainer für Herthas Ziel zu sein, spätestens in der nächsten Saison aufzusteigen. "Pal Dardai ist eine ganz zentrale Figur für den Berliner Weg", versicherte Sportdirektor Benjamin Weber zuletzt gegenüber dem "Tagesspiegel". Der Ungar verkörpert die gewünschte Demut, die Identifikation und das Fördern der Talente. Und dennoch wird es keine Nibelungentreue geben - die Richtung der Gesamtentwicklung muss bis zum Saisonende stimmen, sonst wird Dardai zur Debatte stehen müssen.
Es ist bekannt, dass Hertha-Investor 777 Partners der Personalie Dardai kritisch gegenübersteht. Sie wollten nicht, dass er die laufende Saison betreut. Hier haben sich die Hertha-Verantwortlichen durchgesetzt, die öffentlich dank 50+1 ihre Eigenständigkeit betonen, doch im Sommer könnte eine erneute Trainerdiskussion anstehen. Womöglich müsste der Hauptstadtklub aber mit Dardai gar nicht den Kopf austauschen, eventuell reicht es auch, in Form eines neuen Co-Trainers das Kompetenzteam zu erweitern. Dardais beste Phase als Hertha-Coach war im Duo mit Co-Trainer Rainer Widmayer von 2015 bis 2019 - solch eine Konstellation mit einem taktisch versierten Assistenten könnte bereits Abhilfe schaffen.
Noch mehr "Berliner Weg" wagen
Auch im Kader der Blau-Weißen könnte es im Sommer - ob Aufstieg oder nicht - zu größeren Veränderungen kommen. Die Berliner verfügen derzeit noch über den wohl höchsten Mannschaftsetat der 2. Bundesliga, bei einem Ligaverbleib würde das verfügbare Budget aufgrund weniger TV-Einnahmen und weiterer Faktoren allerdings schrumpfen.
Eine Maßnahme, um die Kaderqualität kostengünstig zu steigern, ist das Fördern eigener Talente. Es ist ein Weg, den Hertha seit Saisonbeginn geht, der aber noch konsequenter umgesetzt werden muss. Konkret: Die Talente müssen noch mehr Spielzeit bekommen. Zum einen dadurch, dass im Sommer auslaufende Verträge von etablierteren Spielern ohne großen sportlichen Mehrwert nicht verlängert werden. Beispiele wären Peter Pekarik oder Deyovaisio Zeefuik.
Zum anderen wird Hertha die sportliche Hierarchie anpassen müssen. Toni Leistner (33), Florian Niederlechner (33) oder auch Andreas Bouchalakis (30) kommen allmählich in die Jahre, zumal ihre Verträge im Sommer 2025 auslaufen. Hier wird es zu Wachablösungen auf den jeweiligen Positionen kommen müssen, sodass Talente wie Pascal Klemens, Bradley Ibrahim, Julian Eitschberger oder Ibrahim Maza zu mehr Spielzeit kommen und sich auf ein Niveau entwickeln, mit dem Hertha aufsteigen kann. Herrich stellt klar: "Ein Aufstieg ist alternativlos." Ob in 2024 oder spätestens 2025. Dafür werden jetzt die Weichen gestellt.
Sendung: Der Tag, 23.02.2024, 19:15 Uhr