Schiedsrichter im Interview - "Jeder Verein muss sich fragen: Machen wir genug, um den Schiedsrichter zu schützen?"
Anfeindungen, Pöbeleien, Übergriffe: Der Bundestag befasst sich am Donnerstag mit der Situation von Schiedsrichtern. Im Interview spricht Jonas Belke vom Fußballkreis Niederlausitz über seine Erfahrungen auf dem Platz und als Schiedsrichter-Beobachter.
rbb24: Herr Belke, der Bundestag befasst sich am Donnerstag mit der Situation von Schiedsrichtern in Deutschland. Sie sind selbst Schiedsrichter aus Leidenschaft, außerdem Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses beim Fußballkreis Niederlausitz und deshalb auch Schiedsrichter-Beobachter. Wie sind Sie dazu gekommen?
Jonas Belke: Da bin ich hineingewachsen. Ich bin mit 14 Jahren Schiedsrichter geworden und habe sofort Feuer gefangen. Mir hat es total viel Spaß gemacht, Spiele zu leiten und Verantwortung zu übernehmen auf dem Fußballplatz. Ich habe das Hobby einfach lieben gelernt.
Auf dem Platz geht es zuweilen etwas rauer zu, außerdem gibt es Beschimpfungen vom Spielfeldrand. Kommen Anfeindungen gegen Schiedsrichter aus Ihrer Sicht häufig vor?
An der Tagesordnung ist es nicht. Spielabbrüche oder Beleidigungen sind unschöne Dinge, die passieren. Da eignet man sich auch ein dickes Fell an. Das ist ganz wichtig und kann man auch als Persönlichkeitsschule verstehen, dass man widerstandsfähig wird und zu seinen Entscheidungen steht. Aber es gibt ganz viele Spiele, die völlig normal verlaufen. Das geht in der Debatte oft ein bisschen unter. Wir werden nicht tagtäglich auf den Fußballplätzen bedroht und müssen um unser Leben fürchten.
Wenn jemand ruft, "Schiri, wir wissen wo dein Auto steht", schmunzeln Sie darüber?
Zunächst würde ich darüber schmunzeln, auf jeden Fall. Das gehört auch ein bisschen zum Geschäft, das muss man einfach aushalten.
Wie sieht ein Spieltag als Schiedsrichter aus?
Als Schiedsrichter reisen wir mindestens eine Stunde vor Spielbeginn an. Wir schauen uns den Platz und die Gegebenheiten an, ob diese den Regeln entsprechen. Sind beispielsweise die Tornetze ganz? Wir gehen dann in die Kabine, besprechen uns mit unseren Schiedsrichter-Assistenten und machen uns einen Match-Plan, so wie die Mannschaften auch. Wir stellen uns auf das Spiel ein und überlegen, was von dem Spiel zu erwarten ist: Hat es Derby-Charakter? Oder spielt der Erste gegen den Letzten. Dann gehen wir raus, laufen uns warm. Schiedsrichter müssen viel laufen. Dann packen wir die gelbe und die rote Karte ein, nehmen die Pfeife, gehen raus und pfeifen das Spiel.
Welche positiven Erlebnisse sind Ihnen denn in Ihrer Laufbahn im Gedächtnis geblieben?
Spiele mit vielen Zuschauern, bei denen Atmosphäre im Stadion oder auf dem Platz herrscht, sind immer Highlights, auch für die Schiedsrichter. Wenn ich an Pokalfinals denke, dann sind das ganz besondere Erlebnisse, bei denen man auch viel Anerkennung bekommt, wenn man eine gute Spielleitung macht. Ich habe durchgehend in meiner Karriere erlebt, dass Menschen auch auf mich zugekommen sind und gesagt haben, "Schiri, das hast du heute gut gemacht".
Nicht jedes Spiel läuft so ab. Was mussten Sie sich im Negativen bereits alles anhören?
Auch da ist schon vieles dabei gewesen. Ich will gar nicht die Beleidigungen, die dann fallen, hier wiederholen. Was ich aber sagen kann: Man braucht ein ganz dickes Fell. Natürlich ist es auch als Schiedsrichter so, dass wir nach dem Spiel eine Fehleranalyse machen. Wir überlegen, was schief gelaufen ist, welche Entscheidung nicht so gut oder falsch getroffen wurde. Dann muss ich mir überlegen, warum hat sich das Spiel so entwickelt, wie es sich entwickelt hat, wenn beispielsweise Unsportlichkeiten auf oder neben dem Platz passiert sind. Die darf ich nicht so nah an mich ranlassen, ich darf keine Angst haben. Es kann einiges passieren, aber darauf bin ich als Schiedsrichter auch eingestellt. Darauf bereiten wir unsere Schiedsrichter auch vor.
Im Jugendbereich kommen noch die Eltern der Spieler am Spielfeldrand dazu, wie wirkt sich das aus?
Das Verhalten von Eltern bei Nachwuchsspielen ist ein wichtiges Thema. Dafür können wir ein gewisses Verständnis aufbringen. Emotionale Mütter und Väter gehören dazu, die das Beste für ihr Kind wollen und nicht immer das Beste für den Schiedsrichter. Wir müssen aber auch mit unseren jüngsten Schiedsrichtern respektvoll umgehen. Was ich da beobachte, ist aus meiner Sicht schlimm. Schiedsrichter, die 13 oder 14 Jahre alt sind, völlig am Anfang ihrer Laufbahn stehen und die derart angegangen werden. Wir haben die Tendenz, dass von einem Anwärterlehrgang, den wir verabschieden, die Hälfte nach einem halben Jahr wieder aufhört, weil sie sagt, das tun sie sich nicht an.
An welchem Punkt muss ein Schiedsrichter nicht mehr alles aushalten? Wann sagen Sie, so geht es nicht weiter?
Das ist ganz klar der Punkt, an dem der Schiedsrichter oder die Spieler um ihre Gesundheit fürchten müssen. Das heißt, wenn Menschen den Innenraum betreten, wenn Beleidigungen derart gravierend stattfinden, dass wir außerhalb eines tolerierbaren Rahmens sind. Und auch dann, wenn der Schiedsrichter um seine Gesundheit fürchten muss, wenn er vom Platz geht. Das ist wirklich die Ausnahme, das muss man sagen. Es gibt bei jedem Spiel Schutzmaßnahmen, die getroffen werden, zum Beispiel Ordner, die eingreifen müssen. Ein gewisser Schutz ist immer gewährleistet.
Würden Sie sich noch mehr Schutz wünschen?
Die Schutzmaßnahmen müssen von den Vereinen gelebt werden. Das, was die Regelungen sagen, ist schon sehr vielversprechend, aber es wird nicht immer ausreichend umgesetzt. Die Anzahl der Ordner, das Agieren der Ordner, gerade in den unteren Spielklassen, ist sehr unterschiedlich. Jeder Verein muss hier Verantwortung übernehmen und sich fragen: Machen wir genug um den Schiedsrichter zu schützen? Ich glaube aber, die Regeln, die es gibt, sind gut.
Der Bundestag thematisiert auch die Entlohnung von Schiedsrichtern. Gibt es aus Ihrer Sicht genug Geld für die Spielleitung?
Es wird, glaube ich, niemand Schiedsrichter, um reich zu werden. Wir haben in den Kreisspielklassen eine Entschädigung von 25 Euro pro Spiel, plus Fahrtkosten, das sind 30 Cent pro Kilometer. Ich gehe dann vielleicht mit 35 Euro nach Hause, habe ein Spiel gepfiffen, habe mich vorbereitet, war eine Stunde zuvor da, bin auch nach dem Spiel noch eine Stunde da - natürlich können das 35 Euro nicht aufwiegen.
Aber man muss auch sagen, in den unteren Spielklassen werden die Spieler auch nicht zu Spielern, weil sie Geld verdienen wollen. Wir bewegen uns nunmal im Amateurbereich. Trotzdem hat die Aufwandsentschädigung auch etwas mit der Wertschätzung der Schiedsrichter zu tun. Der Fußball-Landesverband Brandenburg hat nun in den Landesspielklassen die Entschädigungssätze erhöht. Demnächst gibt es in der Brandenburgliga 45 Euro pro Spiel.
Ich warne aber davor, dass das Motiv Schiedsrichter zu werden, das Geldverdienen ist. Bis sich das lohnt gehen einige Spielklassen ins Land. Irgendjemand muss das Geld auch bezahlen. Im Amateurbereich sind das die Vereine. Wir müssen hier im Blick behalten, dass die Vereine auch Personalprobleme haben, die auch immer weniger Leute haben, die Mitgliedsbeiträge zahlen. Wir müssen den Spagat halten zwischen Wertschätzung der Schiedsrichter und Überlastung der Vereine.
Sie sagen, die Vereine hätten auch Personalprobleme. Meinen Sie damit so, wie die Schiedsrichter?
Wir haben ein Nachwuchsproblem. Es werden immer weniger Leute Schiedsrichter. Die Schiedsrichterzahlen sind in den letzten Jahren exorbitant zurückgegangen. Wir schaffen es aktuell noch alle Spiel zu besetzen, das ist aber auch ein großer Kraftakt für unsere Ansetzer im Fußballkreis. Wir brauchen 60 bis 70 Schiedsrichter an einem Wochenende. Für manche Spiele, etwa in der Kreisoberliga, brauchen wir bis zu drei Schiedsrichter für ein Spiel, weil wir auch die Assistenten stellen wollen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Jasmin Schomber-Krause für Antenne Brandenburg. Für die Online-Fassung wurde es redigiert und gekürzt, inhaltlich aber nicht verändert.
Sendung: Antenne Brandenburg, 25.04.2024, 14:40 Uhr