rbb-Diskussionsrunde - Welche Chancen und Risiken der Oder-Ausbau nach sich zieht
Wie geht es weiter mit der Oder? Über diese Frage diskutierten Experten, Politiker und Bürger am Dienstagabend beim Antenne-Stammtisch in Kienitz. Emotional wurde die Diskussion vor allem beim Thema Oder-Ausbau. Von Felicitas Montag
Rund 50 Interessierte versammeln sich am Dienstagabend im Gasthaus "Zum Hafen" in Kienitz (Märkisch-Oderland), um über die Zukunft der Oder zu diskutieren. Die Gaststätte liegt direkt am Oder-Neiße-Radweg und ist bei Radfahrern und Touristen sehr beliebt. Wirtin Antje Rochlitz sorgt sich wie viele andere Kienitzer um den Tourismus in der Region, wie sie sagt: "Es geht um unsere Heimat, unsere Existenz".
In vier Gesprächsrunden informieren Experten aus Politik, Wissenschaft, Umweltschutz und Tourismus über den aktuellen Zustand der Oder und debattieren über Maßnahmen zum Schutz des Flusses. Mit dem Künstler und Tourismusunternehmer Ryszard Drewniak aus Wilduchowa sowie der Aktivistin Ewa Drewniak vom Klub der Naturfreunde sind auch zwei Vertreter aus Polen beteiligt.
Hoher Salzgehalt und Goldalge ist Gefahr für Oder
Einigheit herrscht bei allen Diskussionsteilnehmern auf dem Podium und im Publikum darüber, dass der hohe Salzgehalt weiterhin eine große Gefahr für die Oder darstellt. Die großen Salzmengen hatten im vergangenen Sommer zu einer Vermehrung giftiger Goldalgen in der Oder geführt, die den Tod tausender Fische verursachten. Ausgelöst wurden die hohen Salzmengen durch polnische Bergbaubetriebe, die große Mengen Salzwasser in die Zuflüsse der Oder einleiten.
Diese Einleitungen seien geblieben, ebenso die Goldalge, sagt Christian Wolter vom Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei: "Sie ist auf der ganzen Strecke da. Wie und ob sich eine Blüte entwickelt, das werden wir im Verlauf des Jahres sehen. Wenn sich die Bedingungen jetzt verbessern für die Algen – steigende Wasserverweilzeit und Temperaturen – dann werden sich auch die Algen wieder entwickeln."
Auf die Nachfrage eines Letschiner Anwohners, welche Aktivitäten denn unternommen wurden, um die Salzfrachten zu reduzieren, entgegnet Treichel: "Der Umweltminister hat ein Schreiben an die polnische Regierung gerichtet, mit der Bitte, die Salzmengen zu reduzieren." Darauf habe es bislang aber keine offizielle Antwort gegeben.
Auch die Umweltaktivistin Ewa Drewniak betont, dass es jetzt das Wichtigste sei, die Oder von den hohen Salzmengen zu befreien. Die polnische Regierung handele diesbezüglich aber "nicht so wie sie sollte."
Ist die Oder "sterbenskrank"?
Auch der Leiter des Nationalparks Unteres Odertal, Dirk Treichel, spricht bei den Goldalgen von einer tickenden Zeitbombe, da sie sich explosionsartig vermehren könnten. Dieser Zustand sei besorgniserregend und die Oder schon jetzt "sterbenskrank", so der Nationalparkleiter.
Der Letschiner Bürgermeister Michael Böttcher (Freie Wählergemeinschaft) widerspricht dieser Aussage vehement: "Die Oder ist nicht krank. Die Wissenschaft sollte hinterfragt werden. Der überzogene Naturschutz könnte auch Schuld daran sein, dass wir hier einen Überfluss an Goldalgen haben." Er betont, dass ihm der Naturschutz wichtig sei, der Tourismus dabei aber nicht vernachlässigt werden dürfe. Zuspruch bekommt er von einigen Gästen im Saal, die auf den Tisch klopfen.
Die Förderung des Tourismus ist auch dem Oderfischer André Schneider wichtig, wie dieser sagt. Er kritisiert die negative Berichterstattung über die Oder, die vor allem im vergangenen Jahr zu einem Einbruch des Tourismus geführt habe. Für ihn sei die Oder derzeit ein "lebendiger Fluss". "Die Fische sind am Laichen. Wir haben gutes hohes Wasser und ich gehe eigentlich sehr positiv in diesen Sommer, sodass unser Fluss wieder so wird, wie er mal war", so Schneider.
Oder-Ausbau spaltet Diskussionsteilnehmer
Zentraler Streitpunkt an diesem Abend ist die Frage, wie der Naturschutz und Tourismus im Oderbruch in Einklang miteinander gebracht werden können. Auf der einen Seite stehen die Befürworter der Baggerarbeiten, die für ihre Argumente immer wieder Applaus aus dem Publikum bekommen. Dazu gehört auch Bürgermeister Michael Böttcher. Er betont, dass die Baggerarbeiten dazu dienen würden, Schwachstellen zu beseitigen sowie die Bedingungen für die Schiffahrt und den Hochwasserschutz zu verbessern.
Unterstützung bekommt er dabei von Astrid Ewe vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt in Eberswalde. Sie ist für die Umsetzung der so genannten Stromregelungskonzeption - den Ausbau der Oder - in Deutschland zuständig ist. Sie widerspricht dem Vorwurf von Umweltverbänen, dass die Planungen gegen den Naturschutz verstoßen würden. Im Gegenteil, es gebe hohe Auflagen, das Projekt so zu planen, dass es umweltverträglich sei, sagt Ewe.
Auch die CDU-Landtagsabgeordnetne und Gemeindevertreterin Kristy Augustin begrüßt die Baggerarbeiten: "Wir setzen uns für den Ausbau als Hochwasserschutz ein."
Thomas Volpers vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) steht auf der Seite der Oder-Ausbau-Kritiker. "Die Diskussion macht mich traurig und betroffen", sagt er. "Buhnen sind kein Hochwasserschutz, wenn man den haben will, baucht man sichere Deiche."
Mit seinen Bedenken ist er nicht allein. Auch Dirk Treichel vom Nationalpark Unteres Odertal und der Gewässerökologe Christian Wolter sehen in dem Ausbau eine Gefahr für den Fluss und sein Ökosystem. Zugleich betont Treichel aber auch, dass er die Sorgen der Menschen in der Region verstehen könne: Naturschutz und Tourismus sollten keine Gegensätze sein. "Wir haben es im Nationalpark geschafft, die Menschen mitzunehmen, sie für den Naturschutz zu begeistern", so Wolter.
Odera-Ausbau auch in Polen umstritten
Auch in Polen führt der Oder-Ausbau zu emotionalen Debatten. Die Argumente für und gegen den Ausbau seien identisch zu denen in Deutschland, berichtet Ewa Dreweniak. Sie und der Tourismusunternehmer Ryszard Matecki setzen sich nach eigenen Angaben dafür ein, dass auch auf polnischer Seite ein Nationalpark errichtet wird.
An einem grenzübergreifenden Austausch zum Schutz der Oder arbeitet auch der Geschäftsführer der Euroregion Pro Europa Viadrina, Toralf Schiwietz. "Der Dialog beginnt nicht mit einemTermin, ich muss vorher Vertrauen aufbauen, das fehlt aber gerade", sagt er.
Trotz der unterschiedlichen Positionen und emotionalen Debatten wird am Dienstagabend in Kinietz deutlich, dass der allgemeine Wunsch an einer Lösung zu arbeiten - die weder der Natur noch dem Tourismus schadet, besteht. Wie die aussehen kann, darüber wird auch zukünftig weiter diskutiert.
rbb24 Brandenburg aktuell, 09.05.2023, 19:30 Uhr