Personalmangel - Seniorenheim-Schließung in Bernau macht Probleme in der Pflege deutlich
Die angekündigte Schließung einer Seniorenresidenz in Bernau wegen Personalmangels wirft viele Fragen auf. Dass Seniorenheime nur schwer Altenpfleger finden, hat nicht nur mit der Bezahlung zu tun. Von Juan F. Álvarez Moreno und Felicitas Montag
Das Pflegesystem in Deutschland scheint an einigen Stellen an seine Grenzen zu kommen: Immer wieder müssen Einrichtungen wegen Personalmangels schließen - auch in Brandenburg. Dazu gehört auch die Seniorenresidenz Ulmenhof in Bernau (Barnim). Am Dienstag wurde bekannt, dass die Einrichtung zum Jahresende schließt.
58 Bewohner müssen nun in anderen Einrichtungen untergebracht werden. Der Bernauer Bürgermeister André Stahl (Linke) zeigt sich optimistisch, dass der Michel-Unternehmensgruppe dieser Schritt gelingen wird. Doch die Schließung des Heims sei beispielgebend für ein deutschlandweites Problem. "Meine Befürchtung ist: Wenn dort die Bedingungen nicht zeitlich verändert werden, dann wird es schwerer sein, künftig die Pflege darzustellen", so der Bürgermeister.
Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern häufig besser
Das weiß auch Heike Prestin, Geschäftsführerin des Deutschen Pflegeverbands für Pflegeberufe Nordost. Deutschlandweit hätten Betreiber von Pflegeeinrichtungen hätten zunehmend Probleme Fachpersonal zu finden, sagt sie. Das liege zum einen an den schlechten Arbeitsbedingungen, zum anderen an der unterschiedlichen Bezahlung innerhalb der Pflege: "Da zahlen die Krankenhäuser häufig besser", sagt Presin. "Es ist relativ leicht möglich, als Altenpflegerin oder Altenpfleger im Krankenhaus eine Stelle zu finden, weil auch dort der Personalmangel ist und ein Abwerbeprozess teilweise stattfindet."
Laut Berechnungen der "Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform" werden im Jahr 2030 deutschlandweit fast 100.000 zusätzliche Vollzeitstellen in der Pflege benötigt. Doch die Stellen lassen sich nicht so leicht besetzen. Bis ein Altenheim eine passende Pflegekraft findet, dauert es laut Bundesagentur für Arbeit im Schnitt acht Monate.
Auch in Brandenburg könnte die Lage noch angespannter werden: Laut Landesgesundheitsministerium soll es im Jahr 2030 mehr als 168.000 pflegebedürftige Brandenburger geben – knapp 25.000 mehr als im Jahr 2021.
Anwerben von neuen Fachkräften gestaltet sich schwierig
Der Träger der Seniorenresidenz in Bernau habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Schließung des Heims zu verhindert, sagt der Geschäftsführer der Michels-Unternehmensgruppe, Kai-Uwe Michels. So seien etwas Annoncen und Social-Media-Kampagnen geschaltet, Headhunter eingesetzt und ausländische Fachkräfte angeworben worden – offenbar ohne Erfolg.
"Wir haben aber in den letzten Jahren gelernt, dass das Thema mit den Fachkräften aus dem Ausland im deutschen Alltag auf der Station oder im Heim doch manchmal Grenzen hat", sagt Michels weiter. Die größten Herausforderungen seien die bürokratischen Hürden und die Sprachbarriere. Oftmals seien auch die deutschen Pflegekräfte mit der Integration der ausländischen Kollegen überfordert.
Pflegekräfte stehen oft unter psychischem Druck
Auch Heike Prestin sieht das Anwerben von ausländischen Fachkräften kritisch. Einerseits würde damit anderen Ländern notwendiges Fachpersonal weggenommen. Andererseits führe auch die unterschiedliche Ausbildung des Pflegepersonals zu Problemen. So hätten beispielsweise Pflegekräfte aus Vietnam studiert, statt eine Berufsausbildung zu machen. "Die kommen auch mit anderen Erwartungen. Das ist häufig für die Kolleginnen und Kollegen schwer, das zu kompensieren", so die Geschäftsführerin.
Laut Prestin braucht es nicht nur mehr Personal, sondern auch mehr Wertschätzung und verlässliche Dienstpläne. Oft würden die Pfleger unter psychischen Druck gesetzt und müssten an freien Tagen doch zum Dienst kommen, weil sonst Kollegen allein seien oder Bewohner nicht ausreichend versorgt würden. "Das sind keine Ausnahmen", sagt Prestin. "Viele Einrichtungen schaffen es nicht gut, Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Leute dort gern hingehen und gut arbeiten können."
Laut einer Studie von der Bremer Arbeitnehmerkammer stünden etwa 300.000 Vollzeit-Pflegekräfte mehr zur Verfügung, wenn sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern würden.
Gewerkschaft warnt vor "Spirale nach unten"
Gisela Neunhöffer, stellvertretende Leiterin für den Fachbereich Gesundheit bei der Gewerkschaft Verdi, warnt vor der "Spirale nach unten": Das heißt, dass Pflegekräfte wegen des Personalmangels aus dem Beruf flüchten und der Fachkräftemangel damit stärker wird. "Wenn die Leute sagen: 'Ich kann meinen Beruf gar nicht vernünftig ausüben und die alten Menschen so pflegen, wie ich das gelernt habe', dann gehen sie irgendwann", sagt die Gewerkschaftlerin. Gute Arbeitsbedingungen seien entscheidend.
Neunhöffer versteht den Einzug in die Krankenhäuser wegen der besseren Arbeitsbedingungen, wie sie sagt. "Da hat die Altenpflege Nachholbedarf." Es sei wichtig, dass die Brandenburger Betriebe in den Aushandlungsprozess mit ihren Beschäftigten gehen und auf ihre Bedürfnisse hörten.
Pflege-Mindestlohn soll weiter steigen
Der eher niedrige Lohn spielt beim Pflegekräftemangel auch eine Rolle: Laut einer Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministerium halten Pflegkräfte im Durchschnitt eine Gehaltserhöhung um ein Drittel für angemessen.
Laut der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit verdienten Fachkräfte in der Altempflege im Jahr 2021 3.344 Euro brutto im Monat (Median), Helfer rund 1.000 Euro weniger. Krankenpfleger verdienen demnach rund 500 Euro mehr im Monat als Altenpfleger.
Etwas Trost für die Pflegekräfte: Seit September vergangenen Jahres müssen Altenpfleger nach Tarif bezahlt werden. Seit Mai beträgt der Brutto-Mindestlohn für Pflegefachkräfte 17,65 Euro pro Stunde, für Pflegehilfskräfte sind es 13,90 Euro. Im August empfahl die Pflegekommission, die Mindestlöhne bis Juli 2025 um bis zu 14 Prozent zu erhöhen.
Höhere Löhne für die Pflegenden führt aber auch zu höheren Beiträgen für die Betroffenen. "Es wird immer teurer für die Pflegebedürftigen", sagte Heike Prestin. Für viele pflegende Angehörige sei auch unzumutbar, die Pflegearbeit zu kompensieren und zu übernehmen. Man müsse das System Pflege auf den Prüfstand stellen, so Prestin. “Wir müssen uns wir als Gesellschaft die Frage stellen, wir wir mit unseren alten pflegebedürftigen Leuten umgehen wollen.”
Sendung: Antenne Brandenburg, 14.09.2023, 15:40 Uhr