Fußball-EM in Berlin - Das 600-Millionen-Euro-Versprechen

Fr 14.06.24 | 06:54 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Fan Zone für gemeinsames Public Viewing und Feiern (Quelle: dpa/Wolfgang Maria Weber)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.06.2024 | Iris Spranger | Bild: dpa/Wolfgang Maria Weber

Sportsenatorin Iris Spranger wird nicht müde, zu betonen, wie wertvoll die Fußball-Europameisterschaft für Berlin wird - auch wirtschaftlich. Doch was bringt das Mega-Event der Stadt wirklich? Die Rechnung ist komplex. Von Sebastian Schöbel

Das EM-Maskottchen Albärt ist auf Iris Sprangers Schreibtisch sowas wie der Sechser auf dem Fußballfeld: zentral positioniert und immer anspielbar. Für die resolute SPD-Politikerin könnte das dauerpräsente Bärchen aus der EM-Marketingmaschine aber auch eine ständige Erinnerung werden an das Versprechen, das sie Berlin gegeben hat: "Wir rechnen konservativ mit 600 Millionen Euro Mehrwert für das Land Berlin", bestätigte sie nun noch einmal dem rbb. "Das wird ein Riesengewinn für die Sportmetropole."

Ein Anreiz für öffentliche Investitionen

Im Lichte dieser enormen Gewinnerwartung sollen die EM-Ausgaben von rund 84 Millionen Euro – davon 24 Millionen Euro für die Fanmeile und Fanzone – regelrecht sparsam wirken. Sprangers Mantra: Trotz massiver Kürzungen im Doppelhaushalt sei das gerechtfertigt, weil die Europameisterschaft so viel mehr einbringe. "Rund 75 Millionen Euro bleiben direkt im Land Berlin", rechnet Spranger vor. "Davon sind beispielsweise 9,9 Millionen Euro für neue Sicherheitstechnik, die wir danach auch behalten werden." Die Polizei bekommt Technik zur Drohnenabwehr und neue Straßensperren, die Feuerwehr Dekontaminationsfahrzeuge für Katastrophenfälle. Dazu kommen die Ausgaben für die Modernisierung des Olympiastadions und des Mommsenstadions, sowie das zwei Millionen Euro teure Nachhaltigkeitsprogramm mit über 100 Veranstaltungen während der EM. Und natürlich der 1,2 Millionen Euro teure Kunstrasen auf der Fanmeile, der auf Bolzplätzen, Schulhöfen und Kitas landen soll – wobei dafür noch einmal Mehrkosten anfallen dürften.

Die Verantwortlichen bei Senat und UEFA wollen beweisen, dass Sportgroßereignisse Kommunen nützen, statt sie auszuquetschen und sie auf nutzlosen Neubauten sitzen zu lassen. Fußballstadien habe Deutschland natürlich genug, sagt Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule in Köln, Leiter der Projektgruppe zur Evaluation der Europameisterschaft. Das Turnier sei allerdings ein Anreiz für die Politik, "im Schatten der EM Investitionen zu tätigen, die in der Vergangenheit liegen geblieben sind". Die Chance, auf großer Bühne viel Aufmerksamkeit zu bekommen, lässt so manche Verantwortliche spendabler werden – wohl auch, weil Millionenausgaben politisch leichter zu rechtfertigen sind, wenn dabei schöne Bilder entstehen.

Nicht alle Gastronomen freuen sich

Die Berliner Wirtschaft jedenfalls freut sich auf das Großereignis. Die neue Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) hat gleich mal angewiesen, dass Wirte ihr Public Viewing im Freien bis Spielende anbieten dürfen und nicht früher Schluss machen müssen. Der Gastro-Verband DEHOGA rechnet bereits mit "positiven Effekten für eine Stimmungsaufhellung im Land", so Präsident Guido Zöllick. Allerdings zeigt eine Umfrage unter den Verbandsmitgliedern: 40 Prozent der Gastronomen in den Spielorten rechnen mit keinerlei Auswirkung durch die EM. Und deutschlandweit sagen sogar drei Viertel der DEHOGA-Gastronomen, dass weder Umsatz noch Gästezahl steigen würden. "Ein Großereignis wie die EM kann zum Teil auch Stammgeschäft verdrängen", so Zöllick.

Kommen am Ende sogar weniger Touristen?

Genau diese Erkenntnis teilte nun auch die Berliner Wirtschaftsverwaltung auf Nachfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus mit. "In der Regel steigen die Übernachtungszahlen während Sportgroßveranstaltungen in bereits etablierten Tourismusdestinationen nicht", schreibt Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel. Während der EM könnten Menschen ohne Fußballaffinität Berlin meiden, heißt es weiter. Paris jedenfalls habe bei der Europameisterschaft 2016 einen Rückgang bei den Übernachtungen erlebt. Auch bei den touristischen Attraktionen wird ein kurzzeitiger Rückgang der Besucherzahlen gerechnet, "da neben dem allgemein möglichen, leichten Rückgang von Touristinnen und Touristen auch das Hauptaugenmerk der Gäste der EURO 2024 auf dem Fußball-Event liegen wird".

Die im Vergleich zu anderen Metropolen günstigeren Hotelzimmerpreise könnten diese Verluste in Berlin allerdings noch kompensieren, betont Biel. Allerdings: Laut seiner Verwaltung verlangten die Hotels bereits im Mai zwischen 363 und 885 Euro pro Übernachtung.

Grüne kritisieren Ausgaben als teuren Werbeeffekt

Klara Schedlich, die sportpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, spricht bereits von einer "unseriösen Berechnung" des versprochenen EM-Booms. Dass der Senat auf ihre Anfrage hin erklärt, durch das Turnier werde "das Image der Reisedestination Berlin nachhaltig und positiv geprägt", hält Schedlich für wenig überzeugend. "Damit sagen sie: Wir haben 84 Millionen Euro für die EM ausgegeben und der Effekt, den wir damit haben, ist noch ein bisschen Werbung für Berlin."

Werbung, die Berlin nicht braucht, soll das heißen. Wirtschaftswissenschaftler Thomas Bezold von der Hochschule Heilbronn rechnet anders: Er hat die EM 2024 bereits aus sportökonomischer Sicht durchgerechnet. "Dass es zu Mehreinnahmen kommt und dass dadurch eine Kommune wirtschaftlich profitieren kann, das ist unbestritten." Dass nicht alle Unternehmen gleich viel und manche sogar gar nicht profitieren, sei normal. Insgesamt aber spüle so eine EM mit allein 2,5 Millionen erwarteten Besuchern in Berlin Geld in die lokale Wirtschaft. Und Modernisierungen der Infrastruktur, etwa im Olympiastadion, würden nach der EM nicht wieder verschwinden. "Das Event ist der Auslöser, aber der Profiteur ist eigentlich der Bereich, der die Nachnutzung hat."

Verdammt dazu, Gastgeber zu sein

Die Einnahmen aus der Europameisterschaft sind allerdings schon weg, zumindest zu einem großen Teil: Denn die UEFA hat sich vertraglich zusichern lassen, den allergrößten Teil ihres Umsatzes von erwartet 2,4 Milliarden Euro nicht in Deutschland versteuern zu müssen, sondern in der Schweiz, wo der Verband zu Hause ist. "Natürlich können wir das Geld gut gebrauchen", räumt Sportsenatorin Spranger ein, die gerade erst schmerzhafte Einsparungen angekündigt hat. Allein bei der Sportförderung sollen 1,6 Millionen Euro wegfallen. "Aber es ist so, wir haben einen riesigen Vertrag gemacht mit der UEFA", so Spranger. Ökonom Bezold weist zudem darauf hin, dass das EM-Begleitgeschäft, vom Souvenir-Shop bis zum Nobelrestaurant, natürlich Steuereinnahmen direkt in Deutschland generiere, "davon profitiert der deutsche Fiskus durchaus".

Zumal sich Berlin gerade beim Fußball der Rolle als Gastgeber ohnehin kaum entziehen könnte, gibt Sportökonom Breuer zu bedenken. Im Gegenteil: Eine Heim-EM ohne die Bundeshauptstadt mit der Fanmeile könne für Berlin sogar schädlich sein. "Dadurch würde vermutlich ein Image-Schaden im Hinblick auf Berlin als Sportstadt entstehen", so Breuer. Für den deutschen Spielstätten-Kader ist die Bundeshauptstadt also quasi der Thomas Müller, um es mit Ex-Bayern-Trainer Louis Van Gaal zu sagen: Berlin spielt immer. Weil es muss.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.06.2024, 7 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

32 Kommentare

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  1. 32.

    So ähnlich hatte ich ess auch formuliert, aber das fiel der Zensur zum Opfer.

  2. 31.

    Einfach Eintritt für Fanmeile kassieren z.B. 50 EUR als Flatrate für 51 Spiele, ansonsten wird es wieder für den Senat nicht planbar.
    Warum müssen diese Nassauer immer alles umsonst bekommen? Warum muss alles umsonst sein? EM kostet Geld also die "Fans" abkassieren! Es sind doch Fans auf der Fanmeile oder liege ich da falsch?
    Gut, die arbeitende Bevölkerung oder der Mittelstand die die Fanmeile sowieso nicht nutzen (wegen früh raus) bezahlen das im Endeffekt dann über die Landessteuer (gemäß Artikel 106 Abs. 2 GG den Ländern zusteht). Ich glaube nicht dass hier Berlin 600 Millionen EUR durch Bratwurst, Crêpes und Bier einnimmt. Außer dem ist die EM zu kurz und die Spiele zu wenig.

  3. 30.

    Könnte so abgelaufen sein : " ....UEFA: wenn ihr die EM wollt, dann nur wenn wir den Großteil nicht in Dt. versteuern müssen." Berlin: "... natürlich. "

  4. 29.

    Die UEFA ist eine reine Privatveranstaltung. Ebenso wie alles in Berlin (fast alle Lauf-Events, Formel E, Sackhüpfen ums Brandenburger Tor u.v.m.)
    Warum wollen Sie Gewinn-Teilung? Klar will Berlin hoffen einen Happen durch Anlocken von Besuchern zu ergattern, aber wenn keiner wegen z.B. Platzregen hingegangen wär, hätte die UEFA der Stadt auch keine Entschädigung gezahlt.
    TV-Übertragung durch den ÖRR wie bis in den 90ern zu Hause oder im Pub hätte doch gereicht.
    Nicht bestellte Leistung baucht die UEFA nicht bezahlen: Rollrasen, Bratwurst, Beer.
    Oder wurden UEFA-Bratwürste mit drei Streifen samt UEFA-Zertifikat auf der Meile verkauft?

  5. 28.

    Und wenn es nicht so kommt kann man dann die UEFA wegen entgangenen Gewinn verklagen?
    Praktizieren doch auch ausländische Firmen in Deutschland/Berlin teils wenn Gewinnversprechen, trotz Subventionen, nicht eintreten.

  6. 27.

    Und wenn es nicht so kommt kann man dann die UEFA wegen entgangenen Gewinn verklagen?
    Praktizieren doch auch ausländische Firmen in Deutschland/Berlin teils wenn Gewinnversprechen, trotz Subventionen, nicht eintreten.

  7. 26.

    Das Geld kommt niemals wieder rein. Sinnvoller wäre in Gastronomie mit Public Viewing angelegt gewesen: Umsatzsteuer/ Einkommensteuer durch Speis und Trank.

  8. 25.

    Vor allem, weil 600 Millionen ja erstens wage geschätzt und zweitens nicht annähernd mit den
    öffentlichen Einnahmen gleichzusetzen sind. Wie hoch sind denn diese ... dann kann man auch mal den Vergleich mit den 83 Millionen Ausgaben der öffentlichen Hand ziehen. So aber ist der Artikel sachlich ziemlich daneben.

  9. 23.

    Also wenn ich mir das Foto so ansehe ... anstatt der mittigen Gitter ein paar schöne Blumenrabatte, ein paar flachkronige Bäumchen ... das Brandenburger Tor kommt viel besser zur Geltung.
    Nach der EM die Fläche entsiegeln und die Plastikfolie gegen Rasen (Rollrasen) tauschen. Vll. noch einen schicken Springbrunnen rein. Der doch ganz hübsche Tiergarten wäre eine zusammenhängende Fläche. Dem Stadtklima würde das bestimmt gut tun.
    Das ist auch nicht "böse" gemeint - es war nur eine Idee und Schuld hat das Foto.

  10. 22.

    „Das 600-Millionen-Euro-Versprechen“
    Diese Überschrift macht Lust auf einen Nachfolgeartikel (wieviel es geworden sind).

    Ein solch langer Artikel um zu „verdecken“ was für ein miserabler Vertrag mit der UEFA ausgehandelt wurde? Die Schweizer profitieren. Diejenigen die es machen nicht. Glückwunsch an die UEFA für solch ein Ergebnis. Das muss man erst mal schaffen.

  11. 21.

    Je wohler sich die Gäste fühlen können und je zwischenfallfreier das Turnier ablaufen kann, desto mehr wird während und nach den Spielen ins Portemonaise wandern.
    Rassisten mögen während der EM Zurückhaltung üben, denn sonst schaden sie wiederum dem Ansehen von Land und Gesellschaft.

  12. 20.

    ...davon entfallen bereit 300 Millionen auf illegale Untervermietung und den sonstigen entropischen Sektor.

  13. 19.

    Würde mich auch interessieren. Zitat:
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    Auf Anfrage teilt die Senatsverwaltung für Inneres und Sport mit, dass sich erste Schätzungen auf eine Gesamtwertschöpfung von 600 Millionen Euro für die Stadt Berlin beliefen. Diese Zahl gründe sich u.a. auf eine Evaluation des DFB-Pokal-Finals 2023, nach der "die 74.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Olympiastadion eine Gesamtwertschöpfung von 50,6 Mio. Euro für die Stadt Berlin" generiert hätten. Doppelt so hohe Einnahmen werden erwartet für jedes der sechs EM-Spiele in Berlin.
    ------------
    Quelle: https://www.rbb24.de/sport/beitrag/2024/06/fussball-em-2024-berlin-sicherheit-verkehr-kultur-fanmeile.html

    Mehr finde ich nicht. Die Rechnung der Senatsverwaltung ist anscheinend so komplex, dass der RBB sich den Versuch einer Darstellung gleich spart. Stattdessen wird eine Sportökonom befragt, der auch alles schon durchgerechnet hat, aber keine Zahlen liefert. Schadeschade, ich möchte das nämlich zu gern glauben.

  14. 18.

    Weil das Olympiastadion kein klassisches Fußballstadion ist, dazu werden die Kapazitäten nicht ausgenutzt.
    Also möchte man ein etwas kleineres und richtiges Fußballstadion.

  15. 17.

    Der Sommeralptraum.

  16. 16.

    Abgerechnet wird zum Schluß.
    Ich befürchte dabei wird, bei den Ausgaben nicht all zu viel rüber kommen.

  17. 15.

    So ein Aufwand für nur sechs Spiele in Berlin und sich für erträumte 600 Mio. von der UEFA übern Tisch ziehen lassen? Frau Spranger hätte mal einen Grundkurs in KLR besuchen sollen.
    Aber vielleicht wird ja von den Gewinnen die gekürzte Sportförderung aufs Doppelte aufgestockt?!

  18. 13.

    Wo kommen jetzt die 600 mio € Mehrwert her? Ist wieder Sommermärchenstunde?

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