Fußball-EM in Berlin - Das 600-Millionen-Euro-Versprechen
Sportsenatorin Iris Spranger wird nicht müde, zu betonen, wie wertvoll die Fußball-Europameisterschaft für Berlin wird - auch wirtschaftlich. Doch was bringt das Mega-Event der Stadt wirklich? Die Rechnung ist komplex. Von Sebastian Schöbel
Das EM-Maskottchen Albärt ist auf Iris Sprangers Schreibtisch sowas wie der Sechser auf dem Fußballfeld: zentral positioniert und immer anspielbar. Für die resolute SPD-Politikerin könnte das dauerpräsente Bärchen aus der EM-Marketingmaschine aber auch eine ständige Erinnerung werden an das Versprechen, das sie Berlin gegeben hat: "Wir rechnen konservativ mit 600 Millionen Euro Mehrwert für das Land Berlin", bestätigte sie nun noch einmal dem rbb. "Das wird ein Riesengewinn für die Sportmetropole."
Ein Anreiz für öffentliche Investitionen
Im Lichte dieser enormen Gewinnerwartung sollen die EM-Ausgaben von rund 84 Millionen Euro – davon 24 Millionen Euro für die Fanmeile und Fanzone – regelrecht sparsam wirken. Sprangers Mantra: Trotz massiver Kürzungen im Doppelhaushalt sei das gerechtfertigt, weil die Europameisterschaft so viel mehr einbringe. "Rund 75 Millionen Euro bleiben direkt im Land Berlin", rechnet Spranger vor. "Davon sind beispielsweise 9,9 Millionen Euro für neue Sicherheitstechnik, die wir danach auch behalten werden." Die Polizei bekommt Technik zur Drohnenabwehr und neue Straßensperren, die Feuerwehr Dekontaminationsfahrzeuge für Katastrophenfälle. Dazu kommen die Ausgaben für die Modernisierung des Olympiastadions und des Mommsenstadions, sowie das zwei Millionen Euro teure Nachhaltigkeitsprogramm mit über 100 Veranstaltungen während der EM. Und natürlich der 1,2 Millionen Euro teure Kunstrasen auf der Fanmeile, der auf Bolzplätzen, Schulhöfen und Kitas landen soll – wobei dafür noch einmal Mehrkosten anfallen dürften.
Die Verantwortlichen bei Senat und UEFA wollen beweisen, dass Sportgroßereignisse Kommunen nützen, statt sie auszuquetschen und sie auf nutzlosen Neubauten sitzen zu lassen. Fußballstadien habe Deutschland natürlich genug, sagt Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule in Köln, Leiter der Projektgruppe zur Evaluation der Europameisterschaft. Das Turnier sei allerdings ein Anreiz für die Politik, "im Schatten der EM Investitionen zu tätigen, die in der Vergangenheit liegen geblieben sind". Die Chance, auf großer Bühne viel Aufmerksamkeit zu bekommen, lässt so manche Verantwortliche spendabler werden – wohl auch, weil Millionenausgaben politisch leichter zu rechtfertigen sind, wenn dabei schöne Bilder entstehen.
Nicht alle Gastronomen freuen sich
Die Berliner Wirtschaft jedenfalls freut sich auf das Großereignis. Die neue Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) hat gleich mal angewiesen, dass Wirte ihr Public Viewing im Freien bis Spielende anbieten dürfen und nicht früher Schluss machen müssen. Der Gastro-Verband DEHOGA rechnet bereits mit "positiven Effekten für eine Stimmungsaufhellung im Land", so Präsident Guido Zöllick. Allerdings zeigt eine Umfrage unter den Verbandsmitgliedern: 40 Prozent der Gastronomen in den Spielorten rechnen mit keinerlei Auswirkung durch die EM. Und deutschlandweit sagen sogar drei Viertel der DEHOGA-Gastronomen, dass weder Umsatz noch Gästezahl steigen würden. "Ein Großereignis wie die EM kann zum Teil auch Stammgeschäft verdrängen", so Zöllick.
Kommen am Ende sogar weniger Touristen?
Genau diese Erkenntnis teilte nun auch die Berliner Wirtschaftsverwaltung auf Nachfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus mit. "In der Regel steigen die Übernachtungszahlen während Sportgroßveranstaltungen in bereits etablierten Tourismusdestinationen nicht", schreibt Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel. Während der EM könnten Menschen ohne Fußballaffinität Berlin meiden, heißt es weiter. Paris jedenfalls habe bei der Europameisterschaft 2016 einen Rückgang bei den Übernachtungen erlebt. Auch bei den touristischen Attraktionen wird ein kurzzeitiger Rückgang der Besucherzahlen gerechnet, "da neben dem allgemein möglichen, leichten Rückgang von Touristinnen und Touristen auch das Hauptaugenmerk der Gäste der EURO 2024 auf dem Fußball-Event liegen wird".
Die im Vergleich zu anderen Metropolen günstigeren Hotelzimmerpreise könnten diese Verluste in Berlin allerdings noch kompensieren, betont Biel. Allerdings: Laut seiner Verwaltung verlangten die Hotels bereits im Mai zwischen 363 und 885 Euro pro Übernachtung.
Grüne kritisieren Ausgaben als teuren Werbeeffekt
Klara Schedlich, die sportpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, spricht bereits von einer "unseriösen Berechnung" des versprochenen EM-Booms. Dass der Senat auf ihre Anfrage hin erklärt, durch das Turnier werde "das Image der Reisedestination Berlin nachhaltig und positiv geprägt", hält Schedlich für wenig überzeugend. "Damit sagen sie: Wir haben 84 Millionen Euro für die EM ausgegeben und der Effekt, den wir damit haben, ist noch ein bisschen Werbung für Berlin."
Werbung, die Berlin nicht braucht, soll das heißen. Wirtschaftswissenschaftler Thomas Bezold von der Hochschule Heilbronn rechnet anders: Er hat die EM 2024 bereits aus sportökonomischer Sicht durchgerechnet. "Dass es zu Mehreinnahmen kommt und dass dadurch eine Kommune wirtschaftlich profitieren kann, das ist unbestritten." Dass nicht alle Unternehmen gleich viel und manche sogar gar nicht profitieren, sei normal. Insgesamt aber spüle so eine EM mit allein 2,5 Millionen erwarteten Besuchern in Berlin Geld in die lokale Wirtschaft. Und Modernisierungen der Infrastruktur, etwa im Olympiastadion, würden nach der EM nicht wieder verschwinden. "Das Event ist der Auslöser, aber der Profiteur ist eigentlich der Bereich, der die Nachnutzung hat."
Verdammt dazu, Gastgeber zu sein
Die Einnahmen aus der Europameisterschaft sind allerdings schon weg, zumindest zu einem großen Teil: Denn die UEFA hat sich vertraglich zusichern lassen, den allergrößten Teil ihres Umsatzes von erwartet 2,4 Milliarden Euro nicht in Deutschland versteuern zu müssen, sondern in der Schweiz, wo der Verband zu Hause ist. "Natürlich können wir das Geld gut gebrauchen", räumt Sportsenatorin Spranger ein, die gerade erst schmerzhafte Einsparungen angekündigt hat. Allein bei der Sportförderung sollen 1,6 Millionen Euro wegfallen. "Aber es ist so, wir haben einen riesigen Vertrag gemacht mit der UEFA", so Spranger. Ökonom Bezold weist zudem darauf hin, dass das EM-Begleitgeschäft, vom Souvenir-Shop bis zum Nobelrestaurant, natürlich Steuereinnahmen direkt in Deutschland generiere, "davon profitiert der deutsche Fiskus durchaus".
Zumal sich Berlin gerade beim Fußball der Rolle als Gastgeber ohnehin kaum entziehen könnte, gibt Sportökonom Breuer zu bedenken. Im Gegenteil: Eine Heim-EM ohne die Bundeshauptstadt mit der Fanmeile könne für Berlin sogar schädlich sein. "Dadurch würde vermutlich ein Image-Schaden im Hinblick auf Berlin als Sportstadt entstehen", so Breuer. Für den deutschen Spielstätten-Kader ist die Bundeshauptstadt also quasi der Thomas Müller, um es mit Ex-Bayern-Trainer Louis Van Gaal zu sagen: Berlin spielt immer. Weil es muss.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.06.2024, 7 Uhr