Ausstellungskritik | Historische Ufobilder in der Kunstbibliothek - "Haben die einen schlechten Fisch geraucht oder zu viel Küstennebel getrunken?"

Fr 05.05.23 | 13:25 Uhr | Von Marie Kaiser
So sehr war nie erzürnet Gott, emblematische Darstellung aus: Daniel Meisner: Politica – Politica, Newes Emblematisches Büchlein, I–VIII, Nürnberg 1700, Kupferstich, (Quelle:Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek/D.Katz)
Audio: rbb24 Inforadio | 04.05.2023 | Barbara Wiegand | Bild: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek/D.Katz

Schon im 17. Jahrhundert gab es Medienhypes rund um skurrile Meldungen. Das zeigt die neue Ausstellung "UFO 1665. Die Luftschlacht von Stralsund" in der Berliner Kunstbibliothek. Daraus lässt sich auch heute noch viel lernen. Von Marie Kaiser

Es war am 8. April 1665. Sechs Fischer machten beim Heringsfang über der Ostsee bei Stralsund eine merkwürdige Beobachtung am Himmel. Vogelschwärme hätten sich in Kriegsschiffe verwandelt, die sich ein donnerndes Luftgefecht lieferten, so berichten es Flugblätter und Zeitungen später. Als den sechs Fischern am Abend über der Kirche Sankt Nicolai in Stralsund noch eine "platte runde Form wie ein Teller" erschien, packte die Männer die Furcht und sie ergriffen die Flucht.

Blick in eine Vitrine , in der Exponate gezeigt werden.(Quelle:rbb/M.Kaiser)
Blick in eine Vitrine , in der Exponate gezeigt werden. | Bild: rbb/M.Kaiser

Diese bizarre Geschichte steht im Mittelpunkt der Ausstellung "UFO 1665. Die Luftschlacht von Stralsund". Ins Bild gesetzt wird sie gleich im ersten Ausstellungsstück, einem barocken Kupferstich in einem populärwissenschaftlichen Buch aus dem Jahr 1680. Im Vordergrund sind einige Fischer beim Einholen der Netze zu sehen. Andere deuten ungläubig mit den Fingern gen Himmel, wo inmitten der Wolken eine ganze Flotte von Segelschiffen erscheint. Auf dem größten der Schiffe zeichnen sich sogar kleine Menschen an Deck ab. Als Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek, diesen Kupferstich entdeckte, packte ihn die Neugier. "Als ich das zum ersten Mal sah, hat es mich umgehauen. Das kann nicht echt sein, dachte ich erst. Und wollte herausfinden, was steckt eigentlich dahinter?". So begann für Wullen als Kurator ein "Abenteuer voller kurioser Bildbegegnungen", wie er es selbst beschreibt, an dessen Ende nun die erste Ausstellung zu einer historischer Ufo-Sichtung überhaupt steht.

Entwurf einer schwimmenden Untertasse, Illustration aus: Gaspar Schott, Technica Curiosa, Nürnberg/Würzburg, 1664, Tafel XXX, (Quelle:Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek)
Entwurf einer schwimmenden Untertasse, Illustration aus: Gaspar Schott, Technica Curiosa, Nürnberg/Würzburg, 1664, Tafel XXX. | Bild: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek

Flugboote, Feuerräder und Weltraumraketen

Anhand von 50 Originalen in Vitrinen nimmt uns die Ausstellung mit auf diese Expedition, die uns einen Medienhype im 17. Jahrhundert nacherleben lässt. Die Illustrationen aus historischen Büchern oder Flugblättern sind oft sehr klein und Details nur schwer zu erkennen. "Das sind kleine bizarren Wesen - Bilderzwerge.", erklärt Moritz Wullen. "Wir haben nach einer Lösung gesucht, wie in dieser Ausstellung beides miterlebt werden kann. Die Zwergendimension der Objekte, aber auch die Monumentalität der Bilder." Deshalb findet sich zu jedem Original an der Wand eine stark vergrößerte Reproduktion, die erlaubt, wirklich in die Darstellungen einzutauchen. Es sind Bilder, an denen sich die Begeisterung für schwebende Objekte im 17. Jahrhundert ablesen lässt. Ein mit Vakkuumkugeln betriebenes Flugboot, ein durch die Luft wirbelnden Feuerrad, aber der Entwurf einer Weltraumrakete aus dem Jahr 1702. Bilder, die uns zum Staunen bringen.

Da jede Reproduktion von einem erläuternden Text begleitet wird, fühlt sich der Rundgang durchs Museum teilweise an wie ein Spaziergang durch einen Ausstellungskatalog. Doch nur lesend erfahren wir, dass der spektakuläre Kupferstich von Stralsund nicht etwa auf den Skizzen der sechs Fischer beruht, sondern erst 15 Jahre nach Sichtung der Luftschlacht gefertigt - von einem Trachtenmaler, der nie in Stralsund gewesen war. Oder, dass es durchaus möglich ist, dass die Fischer wirklich Schiffe am Himmel wahrgenommen haben durch eine simple Luftspiegelung, bei der durch Lichtbrechung in der Atmosphäre Objekte wie im Himmel schwebend erscheinen.

Besucher:innen in der Ufo-Ausstellung in der Kunstbibliothek im April 2023.(Quelle:rbb/M.Kaiser)
Besucher:innen in den Ausstellungsräumen. | Bild: rbb/M.Kaiser

Der Himmel als göttlicher Stadion-Screen

"Die Menschen im 17. Jahrhundert haben das nicht als Naturereignis wahrgenommen, sondern als furchteinflößendes Omen von einem Gott, der den Himmel wie einen Stadion-Screen verwendet", erklärt Kunsthistoriker Moritz Wullen. Auf einem Bild sehen wir, wie ein Blitz in die Kirche St. Nicolai einschlägt, Fünf Jahre nachdem die wundersame Scheibe über der Kirche erschien, schlug während der Sonntagspredigt der Blitz in die Kuppel ein und viele Menschen erlitten Verbrennungen. "Das lasen die Menschen damals ganz klar als eine Strafe Gottes. Hätten wir Buße getan, wäre das nicht passiert."

"Man lebte im 17. Jahrhundert schon im Star Trek Universum"

Aber glaubten die Menschen im 17. Jahrhundert wirklich schon an Aliens und Flugobjekte von anderen Planeten? Moritz Wullen drückt es so aus: "Man lebte 17. Jahrhundert schon im Star Trek Universum. Man glaubte, dass es andere Planeten gibt, dass die anderen Planeten bevölkert von Aliens sind. Man hatte auch schon technische Konzepte entwickelt, um von Planet zu Planet zu fliegen mit Anti-Gravitations-Triebwerken, mit Segelkonstruktionen, mit Raketen."

Zur Glaubwürdigkeit der sechs Fischer als einzigen Zeugen der Wundersichtung, sagt Wullen: "Man weiß nie. Haben die einen schlechten Fisch geraucht oder haben die zu viel Küstennebel getrunken oder war das nur ein Hoax? Das ist aber meistens so, die großen Medienhypes werden ausgelöst von im Grunde ganz überschaubaren Zeugenaussagen. Das ist ja ähnlich auch mit den jüngsten Sichtungen von mysteriösen Luftfahrzeugen vor der Ost- und Westküste der USA. Auch da hat man eigentlich nur ein paar Piloten, die das gesehen haben."

"Oh, mein Gott. Es ist eine ganze Flotte!"

Die Ausstellung verharrt dann auch nicht im 17. Jahrhundert, sondern zeigt zum Abschluss eines der 2020 vom Pentagon veröffentlichten Videos, die weltweit für Aufsehen gesorgt haben. Ein US-Kampfpilot filmt kleine "Tic Tac"-förmige Flugobjekte, die ohne beschleunigen zu müssen in Überschallgeschwindigkeit fliegen."Oh, mein Gott. Es ist eine ganze Flotte!", ruft der Pilot. Ein Ausruf, der wohl auch von einem der sechs Fischer hätte stammen können, die 1665 die Schiffe über den Himmel von Stralsund fliegen sahen.

"Anhand dieses historischen Falles lassen sich Kommunikationsmuster und Denkstrategien in solchen Medienhypes studieren, die heute noch eine Rolle spielen", davon ist Moritz Wullen überzeugt. Und wirklich erinnert der Hype um die "Unidentified Aerial Phenomena" im Jahr 2020 überraschend stark an Darstellungen aus dem 17. Jahrhundert. "UFO 1665" ist eine Ausstellung für alle, die es gerne kurios mögen und die sich gern in ein Thema "einfuchsen". Es ist aber auch eine Ausstellung, die unseren Blick schärfen kann und dafür sorgen könnte, dass der ein oder andere vielleicht demnächst mit einer etwas kritischeren Haltung durchs mit skurrilen Meldungen gut angefüllte Internet surft.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.05.2023, 16:55 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

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