Saisonvorschau der Berliner Philharmoniker - Schwingen und singen
Er ist der Superstar der Dirigentenszene: Seit vier Jahren ist Kirill Petrenko Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Interviews gibt er grundsätzlich nicht. Aber einmal im Jahr stellt er die Pläne für die nächste Saison vor. Von Maria Ossowski
Es ist seine vierte Spielzeit bei den Berliner Philharmonikern, die Kirill Petrenko vorstellt. Der 51-jährige wirkt and diesem Freitag so energetisch und konzentriert wie immer, aber ruhiger und gelassener. Oder, wie er es selbst formuliert: etwas weniger hektisch. Dabei nicht jubelnd, sondern Zweifel zulassend, denn Selbstlob passt nicht in Petrenkos Charakter.
In den vier Jahren habe er mit dem Orchester einiges erreicht, aber die Reise sei eine längere, sagt Petrenko. Ein Drittel des Weges in Richtung seiner Klangvorstellungen hätten sie erfolgreich gemeinsam zurückgelegt. "Ich wollte, dass das Orchester mehr singt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass uns das schon gelungen ist, sprich, dass das Orchester die Bögen ein bisschen weiter schwingen lässt, ein bisschen mehr aussingt. Das wollte ich durchaus." Bei der Klassik sei ihm aber wichtig gewesen, "dass wir nicht den Brahms-, Schumann-Sound, den Breitwand-Sound à la Karajan herstellen. Das wäre mir zu intransparent."
Die russische Apokalypse
Die kommende Spielzeitplanung ist mutig. Die Klassik-Blockbuster fehlen. Kein Mozart, Beethoven oder Schubert stehen auf dem Spielplan, dafür präsentiert Petrenko mit den Philharmonikern Werke von Richard Strauss, Max Reger und, besonders anspruchsvoll: Arnold Schönbergs "Jakobsleiter".
Bei Schönberg reizt Petrenko dessen Spiritualität, wie er sagt - erst die Abwendung von Judentum, dann der Weg zurück mit allen Fragen. Während seiner Jugendzeit in Sibirien durfte Religion keine Rolle spielen, heute sind derlei Themen für ihn existentiell.
Die Philharmoniker planen mit ihm eine Asien-Tournee, Tokio und Südkorea sind Stationen. Petrenko träumt davon, irgendwann Russland zu besuchen mit Konzerten in Moskau, St. Petersburg oder seiner Heimatstadt Omsk.
Aber das sei für ihn momentan völlig unvorstellbar, sagt er. "Auch wenn man das Publikum dort noch so schätzt und wenn man weiß, wie isoliert sie jetzt dort sind, auch künstlerisch, ist es für mich jetzt absolut undenkbar, dort zu dirigieren. Ob ich dann noch Chef der Berliner Philharmoniker bin, wenn sich dann hoffentlich bald das Blatt wendet? Ich hoffe, ich kann das noch erleben. Danach würde ich das sehr gerne machen. Aber wenn ich sehe, was dort passiert, das ist einfach eine Apokalypse."
Ein neues, junges Publikum
Petrenko hat in Meiningen, an der Komischen Oper in Berlin und in München größte Erfolge gefeiert. Als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker zu wirken, das allerdings sei noch etwas anderes, sagt er. "Es ist mental die höchste Herausforderung, die ich bis jetzt hatte. Ich suche einen Ausgleich zu finden, wenn ich mal nach Italien fahre oder wenn ich mal ein Fußballspiel anschaue. Man opfert schon sehr viel, aber man bekommt im Konzert auch so viel, dass man am Ende sagt, ja, es lohnt sich. Es ist ein Balanceakt, ein Drahtseilakt."
Nach Corona sei das Publikum zurückgekehrt in die Philharmonie, so Intendantin Andrea Zietzschmann, es habe sich aber verändert: "Was ein schöner Effekt aus der Krise ist: Es sind zwar nicht alle Abonnentinnen und Abonnenten wiedergekommen, dafür haben wir ein neues, junges Publikum bekommen. Das kommt durch die Classic-Card, die läuft super – da kann man für 13 Euro ins Konzert gehen." Man merke, dass deutlich jüngere Leute im Konzert seien - "und das wollen wir aufrechterhalten".
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 17:55 Uhr