Ezhel in Berlin - Außen hart und innen ganz weich
Die New York Times nannte Ezhel einen der wichtigsten Popinterpreten Europas. In seiner türkischen Heimat ist er ein Star. Seit ein paar Jahren wohnt der Rapper aus politischen Gründen in Berlin. Ein Heimspiel im ausverkauften Huxleys.
Sehr familiär ist das alles von Anfang an und angenehm wuselig. Als Anheizerin spielt an diesem Montagabend erstmal Ezhels Cousine Ipek, die als DJane in Berlin lebt. In der queeren Kulturszene ist sie ein bekannter Name, jetzt mischt sie auf dem Computer Oriental Sounds mit klugem Techno. Das finden schon mal alle gut und fühlen sich entschädigt für die sehr lange Warterei in der sehr langen Schlange. Dann wird kurz das Licht gecheckt, alle Lampen gehen mehrmals an und aus. Dem ausverkauften Huxleys ringt es mehrere ekstatische Schreie ab, wenn die Strahler voll ins Publikum gehen.
Und während DJane Ipek noch unter dem DJ-Tisch herumkriecht und ihre Kabel einsammelt, fangen Ezhels Beat-Boys (der eine eher klein und in schwarz gekleidet, der andere recht groß und in weiß) - mit ihren Laptops und Synthies schon mal das Set an. Ein Drummer kommt dazu. Sein Drumkit ist zwar elektronisch getriggert, also modifiziert, aber hey: immerhin ein echter Schlagzeuger. Und dann kommt endlich Ezhel auf die Bühne, ja…gerannt.
Rasierter Schädel, sanfte Augen
Rein äußerlich sieht der 32-jährige Rap-Musiker erst mal ganz schön gefährlich aus: Rasierter Schädel. Der Hals komplett zutätowiert, Tattoos auf beiden Händen und im Gesicht. In seinem Oversize-Flanellhemd und mit Stiefeln an den Füßen. Einen Monat lang saß er in der Türkei im Knast, bevor er seinem Heimatland 2018 den Rücken kehrte und nach Berlin zog. Das passt vordergründig erstmal zusammen.
Auch in Deutschland ist es in der Gangster-Rap-Szene eher eine Auszeichnung, mal gesessen zu haben. Aber nicht bei Ezhel: Er ist kein Gangster und will auch keiner sein. Seine Augen, diese tiefen, sanften, traurigen Augen und die Stimme, die gar nicht ballert, bellt oder schimpft, sagen was ganz anderes. Und im Bau saß er auch nicht wegen Körperverletzung oder Raubüberfall, sondern, weil eines seiner Lieder als Aufruf zum Kiffen hätte verstanden werden können. Das reicht in der Türkei dieser Tage offenbar schon für einen Haftbefehl.
Schweiß tropft von der Glatze
Die Handys der 3.000 Fans recken sich jetzt, als hätten manche gleich zwei dabei, gefühlt keiner, der nicht filmt, wie Ezhel die ersten Meter über die Bühne macht. Ein bisschen Anlauf braucht die Show, aber so nach einer halben Stunde sind alle warm. Ezhel hat das Flanellhemd unter Gekreische ausgezogen und trägt darunter einen langen Pullover. Der Schweiß tropft von seiner Glatze. Manchmal möchte man die Rapper nicht beneiden: Was die immer alles zeigen müssen, um cool zu sein - selbst ein Conscious-Rapper wie Ezhel. Aber das ist ein anderes Thema.
Im Publikum stehen Bodybuildertypen wie Felsen und singen bewegungslos jede Zeile mit. Überschminkte und aufgeregte Frauengruppen filmen sich gegenseitig beim Ausflippen und ignorieren freudvoll das Rauchverbot. Junge, weiche Männer wiegen sich gemeinsam im Takt. Ezhel rappt über Liebe, Sex und Zärtlichkeit, über Romantik und den Alltag, die Themen der Straße - und er rappt über und gegen politische und gesellschaftliche Zustände in Ankara, in Istanbul. Er tut das mit einer angenehmen, erwachsenen Ernsthaftigkeit und ohne Ego und dicke Hose. Auf diese Mischung können sich offenbar ziemlich viele Leute einigen.
Er kann es einfach
Und Ezhel kann auch einfach was. Spielt fünf Instrumente, rappt scharf und pointiert, variiert den Sound zwischen tief rollendem Trap und zappeligerem Elektro, freestylet auf Zuruf mal eben ein paar Lines, holt dann im Wechselgesang das Publikum dazu und biegt schließlich wieder in einen neuen Track ein.
Ein super Typ mit einem entspannten, bestens gelaunten, textfesten Publikum, das jetzt gemeinsam geschätzte 5.000 Stunden Videomaterial produziert hat. Muss man auch erst mal schaffen. Viel Spaß beim Sichten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.10.2023, 9 Uhr