Konzertkritik | Columbiahalle - "Sisters of Mercy" verwirren - und versöhnen
Im Oktober musste ein Konzert der "Sisters of Mercy" in Berlin abgebrochen werden - Sänger Andrew Eldritch ging es nicht gut. Beim Auftritt am Donnerstagabend in der Columbiahalle gab es ein bisschen Wiedergutmachung. Von Lennart Garbes
Auch der zweite Auftritt der Sisters of Mercy in Berlin innerhalb von dreieinhalb Monaten steht zwischenzeitlich auf der Kippe: Verantwortlich dafür ist diesmal aber nicht die Gesundheit des 64-jährigen Frontmanns Andrew Eldritch, sondern das Wetterchaos in Deutschland.
Im Oktober 2023 war die Kult-Rockband "Sisters of Mercy" schon einmal nach Berlin gekommen. Damals musste ihr Konzert aufgrund von gesundheitlichen Problemen bei Sänger Andrew Eldritch abgebrochen werden. Jetzt aber muss - nach einem Auftritt in Wiesbaden am Mittwoch - der Tourbus der Sisters wegen Schnee und Eis in Hessen bleiben. Aber: Die essenziellen Teile der Band schaffen es nach Berlin.
Über Umwege nach Berlin
Vier Musiker kommen am Donnerstagabend in der vollen Columbiahalle auf die Bühne: alle vier mit Sonnenbrille - in der Mitte Sänger Eldritch, das einzige verbliebene Originalmitglied der Sisters, dünn, bleich, mit Glatze und auch wegen seiner kratzigen Bariton-Stimme etwas vampirhaft. Ihn rahmen seine beiden Gitarristen Ben Christo und Kai ein, die fast alle Klischees des Rockmusikers erfüllen: der eine im schwarzen Tanktop, damit die muskulösen Oberarme besser zur Geltung kommen. Der andere mit langen Haaren, Lederjacke und schwingender Lederfransen-Quaste am Gürtel. Im Hintergrund ist Chris Catalyst zu sehen, der den Schlagzeug-Computer namens "Doctor Avalanche" bedient, aber auch viel stillsteht.
Und damit ist er nicht der Einzige. Es mag auch an den kalten Temperaturen liegen (wobei die eigentlich gut zu einem düsteren Postpunk-Darkwave-Gothic-Rock-Abend passen sollten), aber so richtig will am Donnerstag der Funke zwischen Band und Publikum, das standesgemäß in schwarz gekleidet ist, aber inzwischen eher graue, als bunt gefärbte Haare trägt, nicht überspringen. Nur bei Klassikern wie "Alice" und "Dominion" aus der Hochphase der Sisters of Mercy in den 80er Jahren kommt die volle Columbiahalle in Bewegung.
Wirres Geschehen auf der Bühne
Dass der Rausch beim durchaus gewillten Publikum lange ausbleibt, liegt auch an dem zusammenhanglosen Geschehen auf der Bühne. Frontman Eldritch wandert im Halbdunkeln viel von rechts nach links, knurrt dabei oft mit dem Gesicht zur Seite ins Mikrofon, anstatt zu singen und versteckt sich hinter seinen Gitarristen - gleichzeitig versuchen die sich immer wieder als Anheizer für die Fans. Während Drum-Machine-Bediener Chris Catalyst im Hintergrund mehrfach die Sonnenbrille abnehmen muss, um überhaupt irgendetwas auf den Computerbildschirmen zu erkennen. Alles zusammen bricht die übermäßige Coolness zwar charmant auf, sendet aber auch völlig unterschiedliche Signale.
Versönliches Ende des Konzerts
So richtig schlau werden soll man aus dieser Band, deren Frontmann sich mal als Mischung aus Kierkegaard und Elvis beschrieben hat und deren letztes Album über 30 Jahre alt ist, aber vermutlich eh nicht. Im Zweifelsfall gehört alle Verwirrung zum künstlerischen Konzept. Und dass Sänger Eldritchs Stimme "live schon lange scheiße klingt", wie es ein Fan nach dem Konzert ausdrückt, ist auch keine allzu exklusive Meinung mehr.
Umso überraschender ist, dass eben jener Eldritch zum Ende des Konzerts dann doch noch einmal alles aus seinen Stimmbändern herausholt. Und weil mit der Zugabe bestehend aus "Lucretia, My Reflection" und "This Corrosion" so gut wie alle großen Hits der Sisters gespielt sind, gehen Fans und Band zufrieden und versöhnlich auseinander. Immerhin sind diesmal alle gesund geblieben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.01.2024, 6:55 Uhr