Konzertkritik | The Sisters of Mercy in Berlin - Sänger weg, Konzert abgebrochen
Die Sisters of Mercy sind berüchtigt für legendär schlechte Live-Konzerte. Trotzdem ist ihre Tour teils ausverkauft. Denn die alten Fans lieben die Band seit Jahrzehnten. In Berlin mussten die Musiker ihren Auftritt jedoch abbrechen. Von Hendrik Schröder
Am besten erzählt man diesen kurzen Konzertabend vom Ende her. Denn am Schluss kommt ein dünner Mann mit weißen Haaren auf die Bühne und sagt: "Wir haben hier ein medizinisches Problem und werden die Veranstaltung an dieser Stelle leider beenden müssen. Aber bitte behaltet eure Tickets, wir werden noch überlegen, ob wir euch ein Ersatzkonzert anbieten oder ob ihr eurer Geld zurück bekommt."
Die 3.500 Fans, die daraufhin langsam und rätselnd aus der Halle gehen, sind eher erleichtert, als bodenlos enttäuscht. Zu schlecht waren die erlebten 40 Minuten Konzert, zu wirr die Performance, zu breiig der Sound, als dass sie wirklich mitten in der Ekstase rausgerissen worden wären.
Plötzlich fehlt der Sänger
Aber was war passiert? Die Band spielte gerade ihren Hit "More", da verschwand Sisters-of-Mercy-Sänger, Mastermind, Chef und einziges Originalmitglied Andrew Eldritch von der Bühne. Gitarrist Ben Christo sang den Song zu Ende. Manche Zuschauer bemerkten erst gar nicht, dass der Sänger fehlte, andere buhten und pfiffen. Dafür war man ja nicht gekommen.
Das Konzert war erst nach 21 Uhr losgegangen und noch keine zehn Songs alt. Gut eine Viertelstunde lang passierte dann gar nichts, bevor schließlich die Lichter angingen und der Abend abrupt beendet wurde.
Nach unten gereckte Daumen
Dem voraus ging ein unfassbar schlechtes Konzert. Was Eldritch lieferte, konnte man kaum Gesang nennen, es war eher irgendwas zwischen Zischen, Bellen, Brummen und Grummeln. So dass die ersten Fans schon nach einer Handvoll Songs den nach unten gereckten Daumen gen Bühne zeigten. Stimmung kam, außer bei einigen hartgesottenen Fans direkt vor der Bühne, eigentlich fast nicht auf - bei diesem Brei von Sound und diesem Nichts an Performance, Bock und Energie auf der Bühne.
Sowas erlebt man ja wirklich nur ganz selten. Eine vollgestopfte Halle. Eine legendäre Band, die ein halbes Dutzend Hits im Gepäck hat, die wirklich jeder hier kennt - und dann eher höflicher Applaus. Rauschfaktor Null.
Die Sisters of Mercy sind aktuell nur noch zu dritt. Einer steht fast bewegungslos auf einer riesigen Kanzel und bedient den obligatorischen Drumcomputer mit dem Namen "the Avalanche" und diverse weitere Rechner. Gitarrist Ben Christo spielt dazu E-Gitarre und sieht in seiner Weste, mit seinen Mucki-Oberarmen und seinen Posen aus, wie ein Kind einen Rockstar zeichnen würde. Und Eldritch singt dazu. Oder halt sowas ähnliches.
"Der hat so gezittert"
Eldritch tigert an diesem Abend meist hinter seinem Gitarristen von links nach rechts über die Bühne und zurück, im Kapuzenpulli, Sonnenbrille auf den Augen - und singt mal gen Wand oder gen Boden oder fuchtelt ein bisschen rum. Man hat das Gefühl, er würde gar nicht dazugehören, dabei geht es ja eigentlich nur um ihn. Der Sound ist so schlimm, die Songs erkennt man erst an der Gitarrenhook, wenn überhaupt. Es ist wirklich alles ein ganz großes Drama. Die Sisters of Mercy sind berüchtigt für ihre schlechten Konzerte, aber sowas kann man wirklich kaum anbieten. "Der hat eh so gezittert", sagt ein Fan beim rausgehen, "der war besoffen", sagt ein anderer.
Gute Besserung statt Häme
Wir wissen Stand jetzt nicht, was er hatte und was war. Wenn es wirklich gesundheitliche Probleme waren, wäre es unfair, die Band an der Performance dieses Abends zu messen. Da kann man nur gute Besserung wünschen und hoffen, dass der Sänger bald wieder zu Kräften kommt. Denn die Sisters-of-Mercy-Tour soll eigentlich noch etliche Abende durch halb Europa führen.
Entsprechend ist am Ende auch der Tenor vor der Halle. Man sorgt sich eher um den Zustand von Eldritch, als dass man erbost seine Fanshirts verbrennen möchte. Entscheiden Band und Veranstalter auf Nachholkonzert, kommen die meisten mit Sicherheit wieder.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.10.2023, 6:55 Uhr