Renate von Mangoldt im Museum für Fotografie - "Berlin ist viel bunter geworden"

Mo 08.07.24 | 10:37 Uhr | Von Marie Kaiser
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Renate von Mangoldt, Auf dem Tempelhofer Feld, August 2021, (Quelle:© Renate von Mangoldt)
Audio: radioeins | 03.07.2024 | Anne Spohr | Bild: © Renate von Mangoldt

Renate von Mangoldt fotografierte in den 1970er und 1980er Jahren Straßen, Plätze und Menschen in Westberlin in Schwarz-Weiß. Nun kehrte die Berliner Fotografin an die Schauplätze von damals zurück und zeigt sie in Farbe. Von Marie Kaiser

Das Flugzeug ist gerade abgehoben. Die Rollen sind noch ausgefahren und es düst über den Stacheldrahtzaun in die weite Welt. So setzt die Fotografin Renate von Mangoldt die Einflugschneise des Flughafens Tempelhof in der Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahr 1973 in Szene. Ein Flughafen mitten in der geteilten Stadt.

Daneben ist ein Farbfoto zu sehen, dass 2021, also fast 50 Jahre später entstanden ist: Ein Vogelschwarm jagt über das Tempelhofer Feld, heute für viele eine Oase der Erholung mitten in der Stadt. Von Weitem erscheint der Vogelschwarm fast wie der Geist eines Flugzeugs, das noch über dem ehemaligen Rollfeld schwebt.

Renate von Mangoldt, Einflugschneise Flughafen Tempelhof, September 1973.(Quelle:© Renate von Mangoldt)
Renate von Mangoldt: Einflugschneise Flughafen Tempelhof, September 1973. | Bild: © Renate von Mangoldt

Enge Beziehung zu Berlin

Die gesamte Fotoausstellung "Berlin Revisited ZeitSprünge 1972–1987 / 2021–2023" im Museum für Fotografie besteht aus solch raffinierten Bildpaarungen, die das Berlin von gestern und von heute gegenüberstellen. Ihre Beziehung zu Berlin sei sowohl innig als auch distanziert, erklärt Renate von Mangoldt. "Ich habe zwei Söhne und fünf Enkelkinder und wir sind jetzt schon in der fünften Generation Berliner. Ich habe also eine sehr enge Beziehung zu Berlin und bin auch damals geblieben in der Zeit, wo viele unserer Freunde weggegangen sind, weil West-Berlin eben ein Provisorium war und immer grauer wurde. Aber ich habe mir beim Fotografieren immer eine gewisse Distanz beim Blick auf die Stadt bewahrt."

Renate von Mangoldt wurde 1940 in Berlin geboren, zog dann aber mit 10 Jahren mit ihrer Familie nach Erlangen. Als 23-Jährige kehrte sie nach Berlin zurück und ist geblieben. Bekannt wurde die Fotografin vor allem für ihre einprägsamen Porträts von Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Ilse Aichinger oder Günter Grass. Im Literarischen Colloqium (LCB) am Wannsee wurde sie zur Hausfotografin. In einer Vitrine in der Ausstellung sind einige Fotos von Deutschlands berühmtester Autorenfotografin zu sehen.

Auch hier arbeitet Renate von Mangoldt mit Zeitsprüngen und stellt zwei Aufnahmen aus unterschiedlichen Jahrzehnten einander gegenüber. Besonders schön ist ein Bildpaar von Renate und Umberto Eco, die sich beide an einer Laterne festhalten und einander in die Augen schauen - einmal im Jahr 1982. 33 Jahre später stellen beide das Foto noch einmal nach und schauen einander ebenso innig und verschwörerisch an.

Ich habe Farbe vorher nie richtig gesehen. Beim neuen Fotografieren habe ich sie tatsächlich zum ersten Mal für mich entdeckt.

Renate von Mangoldt, Fotografin

Im Corona-Lockdown jeden Tag losgezogen

Doch nicht nur die Schriftstellerinnen und Schriftsteller interessierten Renate von Mangoldt. Seit den 1970er Jahren ging sie auch immer wieder auf fotografische Streifzüge durch West-Berlin - ohne festen Plan und nur mit offenen Augen. "Ich habe nicht immer die Kamera dabei, sondern gehe nur gezielt auf Spaziergänge. Ich suche dabei nichts Bestimmtes, sondern fotografiere das, was mir entgegenkommt." Schon länger hatte die Fotografin überlegt, an die Schauplätze von damals zurückzukehren, aber nie damit angefangen. Bis zum Corona-Lockdown. "Diese Corona-Zeit habe ich einfach nicht aushalten können. Und so bin ich dann jeden Tag für zwei Stunden losgezogen und wieder an die alten Orte gegangen, um zu sehen, was sich verändert hat."

Renate von Mangoldt, In der Oudenarder Straße, Juni 1975.(Quelle:© Renate von Mangoldt) Renate von Mangoldt, In der Oudenarder Straße, Juni 2021.(Quelle:© Renate von Mangoldt)

Renate von Mangoldt: In der Oudenarder Straße, Juni 1975 (links) und Juni 2021 (rechts).

Keine platten Vorher-Nachher-Bildvergleiche

Dabei war es der Fotografin besonders wichtig, die alten Fotos nicht eins zu eins nachzustellen. Es sollten keine platten Vorher-Nachher-Bildvergleiche werden. Sie wollte frei und spielerisch mit der Idee der Bildpaare umgehen. Andere Bildausschnitte und Perspektiven wählen. "Ich hab mir die alten Fotos, bevor ich aus dem Haus gegangen bin, deshalb bewusst nicht noch einmal angesehen. Ich bin eine spontane Person."

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In den Bildern verstecken sich kleine Geschichten

Oft ergeben sich gerade aus dieser spontanen Herangehensweise die schönsten Korrespondenzen zwischen den Bildern. Auf dem Foto vom Kreuzberger Bethaniendamm aus den 1970er Jahren zieht sich die Mauer ganz dicht an den Wohnhäusern entlang und lässt nur einen schmalen Durchgang. Ein lockenköpfiger Motorradfahrer in Ledermontur schiebt seine Maschine über den eingemauerten Bürgersteig.

Fast 50 Jahre später ist die Mauer verschwunden. E-Roller stehen auf der Straße. Und ein älterer Mann im karierten Hemd parkt sein Fahrrad mit Lastenanhänger auf dem Fußweg. Mit dem Hin-und Herblicken zwischen den Bildpaaren von Renate von Mangoldt lässt sich viel Zeit verbringen. Nur dann offenbaren sich die kleinen Details und Anekdoten, die diese Fotos so reizvoll machen. Denn diese Fotos erzählen uns Geschichten über die Menschen, die in Berlin leben.

Veränderungen verdeutlichen

Gerade durch die Entscheidung, die aktuellen Berlin-Bilder in Farbe zu fotografieren, wirkt der Zeitsprung zwischen den Bildern noch größer, als er sowieso schon ist. Doch warum hat sich die Fotografin, die jahrzehntelang nur in Schwarz-Weiß fotografiert hat, nun für Farbfotografie entschieden? "Ich wollte ganz deutlich zeigen, wie viel bunter Berlin in meinen Augen geworden ist", erklärt Renate von Mangoldt. Besonders deutlich wird diese Veränderung von grau zu bunt auf den Fotos eines Hinterhofs in der Luckenwalder Straße in Kreuzberg.

Wo einst kahle graue Brandmauern die Sicht auf den Himmel versperrten, ist ein buntes Gewimmel aus Graffitis zu sehen. Ein Wimmelbild, in dem wir den Fernsehturm, die Goldelse, aber auch Karl Marx entdecken können, einen Leoparden und eine knallgelbe U-Bahn. Die Veränderung ist so groß, dass es kaum zu glauben ist, dass nur etwa 50 Jahre zwischen beiden Aufnahmen liegen sollen.

Und auch Renate von Mangoldt selbst hat bei der Arbeit an der Ausstellung "Berlin Revisited" mit mittlerweile 83 Jahren noch einmal eine wichtige Veränderung in ihrer Arbeit als Fotografin erfahren. Die überzeugte Schwarz-Weiß-Fotografin gibt zu: "Ich habe Farbe vorher nie richtig gesehen. Beim neuen Fotografieren habe ich sie tatsächlich zum ersten Mal für mich entdeckt. Das war für mich fast wie eine Befreiung."

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.06.2024, 14:55 Uhr

Beitrag von Marie Kaiser

10 Kommentare

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  1. 10.

    Nein, es geht nicht um Kontraste, sondern um die besondere Magie des direkten Augenblicks, ohne aller farblichen Ablenkung. So, geh jetzt in den Club...

  2. 9.

    Verstehe Ihre Antwort auf mein Kommentar nicht ganz. Ich bevorzuge nun mal lieber s/w Aufnahmen. Der Fotograf Jim Rakete sagte mir mal: Fotografiere erst einmal nur s/w, da lernt man besser die Licht u.Schatten Wirkung. Besonders bei Portrait Photos kann man mehr herausholen.
    Farbfotos werden heutzutage gerne am Computer nachbearbeitet.

  3. 8.

    Ein sehr schöner Beitrag. Vielen Dank. Jeder empfindet Fotografie anders... in Farbe oder sw. Es ist immer wieder überraschend welch Wirkung ein Foto hatte und hat. Tolle Frau.

  4. 7.

    Ich kann mich Ihrer Ansicht gut einfühlen. Schwarz/Weiß Fotos faszinieren weiter.

    Renate Mangoldt hat eine neue Welt in Farbe entdeckt und sich der Farben - Palette gewidmet mit einer Wendung um 180 Grad. Manchmal muss man sich drehen in eine andere Richtung, damit man nicht betriebsblind wird vor lauter Leidenschaft beim fotografieren - was die Welt noch alles anbietet.
    ( Ich verstehe, Farben stehen von selbst im Raum. Bei schwarz, weiß und grau sieht ein gutes Adlerauge den Übergang der Kontraste perfekter.

  5. 6.

    Seit ich damals die Fotoausstellung vom großen meister Bresson Cartier gesehen habe (alles schwarz/weiß), seh ich am liebsten schwarz/weiß Fotos an. Ob alt oder neu, ob Architektur, Landschaft oder sehr schön Aktfotografie, wunder bar, das Spiel mit Licht+Schatten, es zeigt das Wesentliche! Auch die alten Black/White Filme tun gut! Z.B. Hitchcock, aber auch andere ...In Farbe wäre es zuviel Ablenkung, zuviel Information, bzw. wird damit zuviel ,,vorgegeben''!

  6. 5.

    Es wird doch weiterhin kein Schwarz/ Weiß Foto abgelehnt, jeder kann fotografieren was und wie er möchte. Es geht beim Artikel um was anderes beim Farb- Foto. Das sollte jeder für sich rausfinden. Farben erzeugen ebenfalls Schatten und Kontraste. Eine Mauer z. Bsp. im Hintergrund kann grau sein, eine einzelne rote Blume wächst davor, wo bleibt der Blick als erstes hängen? An der farbigen Blume!

  7. 4.

    Nö, nicht generell. Kommt immer aufs Motiv, auf die Tageszeit und vor allem auf den individuellen Blick des Fotografen an.

  8. 3.

    Gerade weil eben jede u.jeder heutzutage überwiegend in Farbe fotografiert, finde ich auch weiterhin s/w Fotografieren besonders schön u.herausragend. Licht u.Schatten kommen viel besser zu Geltung.

  9. 2.

    Das kann man auch anders empfinden: Morbider Scharm in Italien sieht anders aus als in Moskau. Warum ist das so? Spielen die Lichtverhältnisse bei den Aufnahmen eine solche Rolle, dass die Botschaft der Fotographen, die Ursache für unterschiedliche Wahrnehmungen sind? Und welche Rolle spielt der Müll und seine Farben?

  10. 1.

    Die Farben der Welt sind ständig im Wandel nicht nur das Klima.
    Fotos zeigen eine düstere Zeit aus der Vergangenheit und die jetzige bunte Welt.
    Das Graue von Gestern hat sich aufgehellt in schöne bunte Farben.
    Farben stimulieren Emotionen, Renate von Mangoldt spürt es gut. Ich hoffe, die Fotoausstellung kann den Betrachter anregen, dass dunkle Wolken nicht für immer dunkel bleiben im Leben. Wenn dunkle Fotos in der Nacht aufgenommen werden, beim Sonnenaufgang kommt die Farbe der Natur und unsere bunte Welt wieder zurück.
    Die enge Beziehung zu Berlin kann ich der Fotografin gut nachvollziehen.



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