Interview | Protestforscherin - "Die klassische Friedensbewegung schafft es aktuell kaum, sich Gehör zu verschaffen"
Angesichts des Ukrainekriegs ist die Friedensbewegung der 1980er heute stark zersplittert, sagt Konfliktforscherin Larissa Meier. Weil sich ein Lager nicht mehr nur auf sein Kernanliegen fokussiere, stünden Friedensgruppen vor der Spaltungsfrage.
Am Donnerstag gingen tausende Menschen in Berlin auf die Straße, um für Frieden zu demonstrieren. Was das genau heißt, darüber gehen die Antworten stark auseinander. Während etwa Ralf Stegner (SPD) für die Betonung des russischen Angriffskrieges und das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ausgebuht wurde, forderten andere einen Lieferstopp für deutsche Waffen. Im Gespräch mit rbb|24 erklärt die Protest- und Konfliktforscherin Larissa Daria Meier die Hintergründe der Demoteilnehmer in Hinblick auf den Ukrainekrieg.
rbb|24: Frau Meier, die Initiatoren sprechen jetzt von 40.000 Teilnehmern, die Polizei eher von einer unteren fünfstelligen Zahl. Mit Blick auf die Geschichte, sind derzeit viele Menschen der Friedensbewegung auf der Straße?
Larissa Meier: Ich würde bei den aktuellen Friedensprotesten nicht von einer Friedensbewegung, sondern vielmehr von einer Friedensmobilisierung sprechen. Denn was heute von früher unterscheidet, etwa den 80er Jahren, ist, dass wir eine Fragmentierung der Protestlandschaft sehen.
Die Friedensbewegung war immer heterogen, es gab immer Konflikte, aber in den 80er Jahren hatte man ein gemeinsames Ziel und auch eine gemeinsame Koordination. Die heutige Mobilisierung ist sehr zersplittert.
Wie zeigt sich das?
Zum einen sehen wir rechte Friedensproteste, unter anderem von der AfD, die sich als neue Friedensbewegung inszeniert. Dann gibt es, die "klassische" Friedensbewegung, die aber intern zersplittert ist. Und es gibt heterogene Proteste, wo rechte und linke Gruppen zusammen mobilisieren, wo oft auch die Problemkonstellation sehr diffus ist. Manchmal treten auch Verschwörungserzählungen auf.
In der Vergangenheit wirkten auch die Grünen und die Linken immer sehr stark mit Frieden konnotiert. Im aktuellen Diskurs sind es eher BSW und AFD. Wie kommt das?
Es gibt derzeit einen überparteilichen Konsens, wie man sich gegenüber dem russischen Angriffskrieg verhalten soll: durch militärische Unterstützung der Ukraine – Verhandlungen werden als nicht aussichtsreich gesehen.
Man sieht in Bevölkerungsumfragen, dass es eine relevante Gruppe von BürgerInnen gibt, die damit nicht einverstanden ist. Die lassen sich eher für heterogene Proteste mobilisieren, die nicht klar rechts sind, die das vielleicht auch nicht möchten, aber die eher diese diplomatischen Bemühungen stark machen und in der aktuellen Regierung eher unterrepräsentiert sind.
Inwiefern spielen denn die Narrative von der Ukraine und Russland in solche Demos mit hinein?
Protest verhält sich primär zu dem, was die eigene, die deutsche Regierung macht. Das wird teilweise missverstanden, wenn der deutschen Friedensbewegung deswegen vorgeworfen wird, dass sie sich nicht an Putin wendet, sondern an die deutsche Bundesregierung, die man als den eigenen Repräsentanten sieht. Aber das wohnt Protest inne, der meist das Verhalten der eigenen Regierung verändern will, weil man davon ausgeht, dass man nicht auf Regierungen anderer Länder einwirken kann. Und die Bundesregierung positioniert sich in Solidarität mit der Ukraine, so dass die andere Perspektive nur noch Randpositionen sind, die von AFD oder BSW und teilweise von den Linken vertreten wurden.
Nun gibt es ja auch viele andere Proteste, die Kritik an der Bundesregierung üben. Speist sich die Friedensbewegung auch aus diesen Bewegungen? Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen waren ja in den vergangenen Jahren sehr stark.
Es gibt Kontinuitäten, ja. Während der Corona-Zeit wurde auch schon mit den Themen Freiheit und Frieden mobilisiert. In der Friedensbewegung setzte damals die Diskussion ein, wie sich die Bewegung zu solchen heterogenen Protesten verhalten soll. Soll man sich abgrenzen oder kooperieren? Viele der Friedensgruppen haben sich klar abgegrenzt und haben auch heute nichts mit den Anti-Corona-Netzwerken zu tun, die da übriggeblieben sind, andere sind offener für Kooperation.
Die Proteste hingegen, die so heterogen angesiedelt sind, die speisen sich heute noch stark aus diesen Netzwerken. Zudem gibt es auch rechte Gruppen, die in der Corona-Zeit entstanden sind und sich aktuell dem Friedensthema zugewendet haben.
Von der extremrechten Seite, etwa der AFD heißt es, man müsse auf Putin zugehen. Was sind denn die Motive der rechten Seite? Was haben Deutsche davon, wenn Putin einen Frieden bekommt?
Rechter Protest versucht stets, existierendes Konflikt- und Frustpotenzial in der Bevölkerung für sich zu nutzen. Beim Ukraine-Krieg waren das am Anfang vor allem die steigenden Energiepreise, wo rechte Gruppen versucht haben, den Unmut in der Bevölkerung für sich zu nutzen, jedoch mit mäßigem Erfolg. Die große Klammer ist, dass man versucht, sich immer gegen die Regierung zu positionieren.
Gibt es denn generell derzeit einen Rechtsschwenk unter denen, die sich für Frieden einsetzen?
Es entsteht derzeit manchmal das Bild, die traditionelle Friedensbewegung sei rechts. Dabei gibt es immer noch zahlreiche Gruppen, die sich für pazifistische Positionen stark machen und nicht dafür, den russischen Angriffskrieg zu legitimieren. Sie schaffen es jedoch im Moment nur begrenzt, sich auf der Straße Gehör zu verschaffen.
Wie kam es dazu, dass sich die einstige Bewegung so zersplitterte?
In der klassischen Friedensbewegung gibt es aktuell Konflikte darüber, wie man mit heterogenen Protesten umgehen soll. Das geht zurück bis 2014 mit der Annexion der Krim durch Russland. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die "Montagsmahnwachen für den Frieden"? Schon damals gab es innerhalb der klassischen Friedensbewegung Diskussionen, wie man sich dazu verhalten sollte.
Einerseits will man Leute mobilisieren, die sich für Frieden interessieren - denn die Friedensbewegung konnte lange Zeit nur wenig Leute auf die Straße bringen, was für sie frustrierend war. Als mit der Annexion der Krim das Friedensthema wieder relevanter wurde, hat man festgestellt: Wir können nicht mobilisieren, aber Montagsmahnwachen von Leuten, die sich erst seit kurzem für das Friedensthema interessieren, bringen auf einmal viele Leute auf die Straße. Dann haben Diskussionen eingesetzt, wie geht man damit um. Das setzt sich bis heute fort.
Wie zeigte sich das in Berlin?
Vielleicht kennen Sie die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen? Die haben am Donnerstag eine Gegenveranstaltung organisiert. Gleichzeitig haben bedeutende Mitglieder der klassischen Friedensbewegung zur Ursprungsdemo aufgerufen. Da gehen also Friedens-Demonstranten teilweise in unterschiedlichen Camps gegeneinander auf der Straße. Das ist eine aktuelle Entwicklung, die wir so früher nicht gesehen haben.
Bei der zentralen Demo am Donnerstag sah man zumindest auf den Protestschildern eine Rücksicht auf Russland. Da hieß es "Stoppt den Krieg gegen Russland" oder "NATO ist der Aggressor, Russland nicht der Feind". Nun hat aber Russland den Krieg mit der Ukraine begonnen. Wie erklären Sie das Aufkommen dieser Parolen?
Einige, auch von rechts außen, übernehmen russische Parolen. In der Mitte gibt es eine nuanciertere Perspektive, die teilweise von Repräsentanten der klassischen Friedensbewegung vertreten wird, die bei der Nato eine Mitschuld sieht. Dabei wird diese Eskalationsspirale in den Vordergrund gerückt, also wie die Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen/der Nato letztendlich zu den Spannungen und der Eskalation beigetragen habe.
Das sehe ich auch als eine legitime Perspektive, die man nicht in den gleichen Topf werfen sollte wie Rechts-außen-Parolen, bei denen das russische Narrativ verbreitet wird.
Sie haben schon die Gegenproteste angesprochen. Von einigen Menschen gibt es das Bedürfnis, sich in diesem Diskurs über Frieden abzugrenzen. Gibt es dazu schon wissenschaftliche Erkenntnisse?
Es gibt dazu leider noch so gut wie keine Studien, denn diese Abgrenzungsprozesse sind ein neues Phänomen. Was wir schon sicher sagen können, ist, dass es aktuelle Bewegungen verändert. Ein Grund ist sicher, dass rechte Protestakteure nicht mehr "nur" zu Migrationsthemen mobilisieren, sondern eine Reihe von weiteren Themen bearbeiten, wie momentan das Friedensthema. Das wiederum zwingt Friedensgruppen sich zu diesen Akteuren und deren Mobilisierung zu verhalten. Dies kann zu teils heftigen Konflikten und gar Spaltungen führen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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