Kultur-Sparpläne - Der letzte Tanz?
Der Berliner Senat will bei allen Ressorts jeweils zehn Prozent sparen - das trifft auch den Kulturetat. Für die Freie Tanzszene, deren europäische Hauptstadt Berlin ist, bedeutet das eine existenzielle Bedrohung. Ein Besuch in der Spielstätte Radialsystem. Von Nathalie Daiber
Endlich Premiere: Für den Tänzer und Choreografen Raphael Moussa Hillebrand wird das ein wichtiger, gar außergewöhnlicher Moment, wie er sagt. Fünf Jahre hat es gedauert, bis das Tanztheaterstück "2050 - Unsere Utopien" im Kulturzentrum Radialsystem an der Spree auf die Bühne kommt.
"Wir mussten erst eine Spielstätte finden und dann die Finanzierung beantragen bei den unterschiedlichen Fördermaßnahmen in Berlin oder im Bund. Ich hatte Glück, der Hauptstadtkulturfonds finanziert das Projekt. Schon jetzt gibt es immer mehr Leute, die sich auf immer weniger Fördergeld bewerben. Dann musst Du zehn Anträge durchschnittlich schreiben, um einmal durchzukommen", sagt Hillebrand.
Von Projektförderung zu Projektförderung
Bei diesem Kampf um Fördergeld hat Hillebrand noch vergleichsweise gute Referenzen vorzuweisen. Angefangen hat er mit Hip-Hop, gelernt auf Berlins Straßen. Heute ist er ein angesehener, international bekannte Tänzer mit deutschen und westafrikanischen Wurzeln. 2020 hat er den Deutschen Tanzpreis bekommen und gibt regelmäßig Gastspiele unter anderem in Frankreich. "Dort fragt Dich keiner, wenn Du sagst, du bist Tänzer: Davon kannst Du leben? Dort ist das ein ganz normaler Job. Die Gesellschaft weiß um den Wert der Kultur", sagt er.
In Frankreich sind freischaffende Künstler ganz anders abgesichert als in Deutschland. In Zeiten, in denen sie kein Engagement haben, bekommen sie Arbeitslosengeld, wenn sie 507 Stunden im Jahr künstlerisch tätig waren, heißt es in einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. In Deutschland hangeln sich alle in der Freien Tanzszene von Projektförderung zu Projektförderung, auch Raphael Hillebrand kennt es nicht anders.
Prekär beschäftigt
Die Stärke der Szene in Berlin ist ihre Kreativität. Hier haben die Künstler:innen die Freiheit, auch eigene Ideen und andere Tanzformen jenseits des klassischen Balletts zu verwirklichen. Publikum und Künstler:innen zieht es deswegen an die Spree. Aber der Preis dafür ist die Prekarität, ein Leben ohne nennenswerte soziale Absicherung. Festanstellung mit monatlichem Gehalt und bezahltem Urlaub gibt es hier nicht: Fast alle Berliner Tanzschaffenden sind Soloselbständige.
Nach Angaben des Tanzbüros, der nach eigenen Angaben zentralen Anlauf-, Beratungs- und Vernetzungsstelle für die Berliner Tanzszene, verdienen soloselbständige Tanzschaffende durchschnittlich 15.000 Euro brutto pro Jahr. Sie erhalten durch Projekt- oder Stipendienförderungen circa fünf Millionen Euro vom Land Berlin, das entspricht 0,01 Prozent des Berliner Gesamthaushalts – nun würden es zehn Prozent weniger. Für Künstler:innen mit diesem Verdienst wirken sich Kürzungen von umgerechnet 1.000 Euro weniger pro Jahr spürbar aus.
"Ich glaube insgesamt auf die Szene betrachtet bin ich einer von denen, denen es noch relativ gut geht. Trotzdem wird es schon sehr, sehr knapp. Vor allem im Alter und mit Familie und Kindern ist es kaum noch eine Perspektive, bei der aktuellen CDU-Sparpolitik in der Freien Szene zu bleiben", sagt Raphael Moussa Hillebrand, der sich außerdem als Bundesvorsitzender der Hiphop-Partei "Die Urbane" engagiert.
Auch bei den Spielstätten sollen zehn Prozent gekürzt werden
Das Radialsystem in der Holzmarktstraße in Friedrichshain stellt den Künstler:innen die Räume – also vor allem Bühne und Technik. Einen Teil müssen die Künstler:innen über die Projektförderung mitbringen, dafür können sie die Räume nutzen. Aber auch bei der Förderung des Hauses sollen zehn Prozent gekürzt werden. "Wir sind ein Haus, was sich als Anker-Institution der freien Szene begreift", beschreibt der künstlerische Leiter Matthias Mohr die Lage, "wir wissen, dass die freie Szene sowieso sehr auf Kante genäht ist". Man hangele sich auch als Haus von Projektförderung zu Projektförderung.
Die jährliche Finanzierung vom Senat reicht für sieben Monate, 1,2 Millionen Euro sind das. Die restlichen fünf Monate vermietet das Radialsystem seine Räume kommerziell – an Stiftungen und Parteien zum Beispiel. Da die aber auch gerade sparen müssen, könnten die drohenden Kürzungen nicht einfach hier wieder reingeholt werden, sagt Matthias Mohr.
120 Millionen soll am Kulturetat gespart werden
Zehn Prozent weniger bei den Projektförderungen für Künstler:innen plus zehn Prozent weniger für das Haus: Das könne für das Radialsystem ganz schnell existenziell werden, sagt Mohr. Die Förderung vom Senat ist daran gekoppelt, dass das Haus seine Räume den Künstler:innen zur Verfügung stellt. "Bespielen die Künstlerinnen aber die Räume nicht mehr, weil sie einerseits selber keine Förderung mehr bekommen oder wir eben weniger Förderung bekommen, um eben diese Räume zur Verfügung zu stellen, dann bedeutet das am Ende einfach viel, viel weniger Kultur", sagt Matthias Mohr.
Dabei ist letztlich nicht viel Geld zu holen in der Freien Szene. 120 Millionen soll im Kulturhaushalt insgesamt gespart werden. Hamburg hat seinen Kulturetat um elf Prozent erhöht, muss aber im Gegensatz zu Berlin nicht einsparen. NRW muss auch sparen, die Kultur trifft es aber nur mit 1,8 Prozent.
"Mekka der freien Tanzszene"
"Berlin ist heute das Mekka der freien Tanzszene", sagt Jochen Sandig. Der Kulturunternehmer hat erst das Tacheles und später mit der heute wohl international bekanntesten Vertreterin der Freien Tanzszene Sasha Waltz schon die Sophiensäle gegründet, später auch das Radialsystem. Waltz ist mit ihrem Ensemble immer noch in Berlin zuhause, aber auf den Bühnen der Welt unterwegs. Wenn sie in der Stadt auftreten, dann im Radialsystem.
Jochen Sandig erinnert daran, dass der Kultursenator Joe Chialo die Kultur mal die Schwerindustrie Berlins bezeichnet hat. Laut einer Erhebung des Statistischen Landesamtes sagen 55 Prozent der Berlin-Touristen, sie kämen wegen Kunst und Kultur in die Stadt. Die sieht Sandig durch die Kürzungen bedroht.
Ein Schutzschirm für die Kultur?
Kai Wegner hat drei Ausnahmen für die geplanten Kürzungen festgelegt: Innere Sicherheit, Wissenschaft und Forschung. Der Kulturunternehmer Jochen Sandig sagt, er wünsche sich, dass auch die Kultur unter diesen Schutzschirm komme. "Wenn man in der Kultur kürzt, bedeutet das das Ende von der Kultur, wie wir sie heute in Berlin kennen", sagt Sandig über die geplanten zehn Prozent Einsparungen.
Der Kultursenator Joe Chialo (CDU) wollte sich auf Anfrage des rbb nicht äußern, da im Senat noch verhandelt wird, wieviel am Ende wo gespart werden wird. Im November soll es konkrete Zahlen geben, heißt es. Raphael Moussa Hillebrand versteht sein neues Tanztheaterstück "2050 - Unsere Utopien" als Aufruf von einer gerechteren Welt zu träumen, sagt er. Einer Welt, in der viel getanzt wird. Die Premiere war schnell ausverkauft.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.10.2024, 16:40 Uhr
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