Kultur-Sparpläne - Der letzte Tanz?

Sa 05.10.24 | 10:57 Uhr | Von Nathalie Daiber
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Tanztheaterstück "2025 - Unsere Utopien". (Quelle: rbb)
Audio: rbb24 Inforadio | 04.10.2024 | Marie Röder | Bild: rbb

Der Berliner Senat will bei allen Ressorts jeweils zehn Prozent sparen - das trifft auch den Kulturetat. Für die Freie Tanzszene, deren europäische Hauptstadt Berlin ist, bedeutet das eine existenzielle Bedrohung. Ein Besuch in der Spielstätte Radialsystem. Von Nathalie Daiber

Endlich Premiere: Für den Tänzer und Choreografen Raphael Moussa Hillebrand wird das ein wichtiger, gar außergewöhnlicher Moment, wie er sagt. Fünf Jahre hat es gedauert, bis das Tanztheaterstück "2050 - Unsere Utopien" im Kulturzentrum Radialsystem an der Spree auf die Bühne kommt.

"Wir mussten erst eine Spielstätte finden und dann die Finanzierung beantragen bei den unterschiedlichen Fördermaßnahmen in Berlin oder im Bund. Ich hatte Glück, der Hauptstadtkulturfonds finanziert das Projekt. Schon jetzt gibt es immer mehr Leute, die sich auf immer weniger Fördergeld bewerben. Dann musst Du zehn Anträge durchschnittlich schreiben, um einmal durchzukommen", sagt Hillebrand.

Von Projektförderung zu Projektförderung

Bei diesem Kampf um Fördergeld hat Hillebrand noch vergleichsweise gute Referenzen vorzuweisen. Angefangen hat er mit Hip-Hop, gelernt auf Berlins Straßen. Heute ist er ein angesehener, international bekannte Tänzer mit deutschen und westafrikanischen Wurzeln. 2020 hat er den Deutschen Tanzpreis bekommen und gibt regelmäßig Gastspiele unter anderem in Frankreich. "Dort fragt Dich keiner, wenn Du sagst, du bist Tänzer: Davon kannst Du leben? Dort ist das ein ganz normaler Job. Die Gesellschaft weiß um den Wert der Kultur", sagt er.

In Frankreich sind freischaffende Künstler ganz anders abgesichert als in Deutschland. In Zeiten, in denen sie kein Engagement haben, bekommen sie Arbeitslosengeld, wenn sie 507 Stunden im Jahr künstlerisch tätig waren, heißt es in einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. In Deutschland hangeln sich alle in der Freien Tanzszene von Projektförderung zu Projektförderung, auch Raphael Hillebrand kennt es nicht anders.

Prekär beschäftigt

Die Stärke der Szene in Berlin ist ihre Kreativität. Hier haben die Künstler:innen die Freiheit, auch eigene Ideen und andere Tanzformen jenseits des klassischen Balletts zu verwirklichen. Publikum und Künstler:innen zieht es deswegen an die Spree. Aber der Preis dafür ist die Prekarität, ein Leben ohne nennenswerte soziale Absicherung. Festanstellung mit monatlichem Gehalt und bezahltem Urlaub gibt es hier nicht: Fast alle Berliner Tanzschaffenden sind Soloselbständige.

Nach Angaben des Tanzbüros, der nach eigenen Angaben zentralen Anlauf-, Beratungs- und Vernetzungsstelle für die Berliner Tanzszene, verdienen soloselbständige Tanzschaffende durchschnittlich 15.000 Euro brutto pro Jahr. Sie erhalten durch Projekt- oder Stipendienförderungen circa fünf Millionen Euro vom Land Berlin, das entspricht 0,01 Prozent des Berliner Gesamthaushalts – nun würden es zehn Prozent weniger. Für Künstler:innen mit diesem Verdienst wirken sich Kürzungen von umgerechnet 1.000 Euro weniger pro Jahr spürbar aus.

"Ich glaube insgesamt auf die Szene betrachtet bin ich einer von denen, denen es noch relativ gut geht. Trotzdem wird es schon sehr, sehr knapp. Vor allem im Alter und mit Familie und Kindern ist es kaum noch eine Perspektive, bei der aktuellen CDU-Sparpolitik in der Freien Szene zu bleiben", sagt Raphael Moussa Hillebrand, der sich außerdem als Bundesvorsitzender der Hiphop-Partei "Die Urbane" engagiert.

Radialsystem © Phil DeraDas Radialsystem an der Spree.

Auch bei den Spielstätten sollen zehn Prozent gekürzt werden

Das Radialsystem in der Holzmarktstraße in Friedrichshain stellt den Künstler:innen die Räume – also vor allem Bühne und Technik. Einen Teil müssen die Künstler:innen über die Projektförderung mitbringen, dafür können sie die Räume nutzen. Aber auch bei der Förderung des Hauses sollen zehn Prozent gekürzt werden. "Wir sind ein Haus, was sich als Anker-Institution der freien Szene begreift", beschreibt der künstlerische Leiter Matthias Mohr die Lage, "wir wissen, dass die freie Szene sowieso sehr auf Kante genäht ist". Man hangele sich auch als Haus von Projektförderung zu Projektförderung.

Die jährliche Finanzierung vom Senat reicht für sieben Monate, 1,2 Millionen Euro sind das. Die restlichen fünf Monate vermietet das Radialsystem seine Räume kommerziell – an Stiftungen und Parteien zum Beispiel. Da die aber auch gerade sparen müssen, könnten die drohenden Kürzungen nicht einfach hier wieder reingeholt werden, sagt Matthias Mohr.

120 Millionen soll am Kulturetat gespart werden

Zehn Prozent weniger bei den Projektförderungen für Künstler:innen plus zehn Prozent weniger für das Haus: Das könne für das Radialsystem ganz schnell existenziell werden, sagt Mohr. Die Förderung vom Senat ist daran gekoppelt, dass das Haus seine Räume den Künstler:innen zur Verfügung stellt. "Bespielen die Künstlerinnen aber die Räume nicht mehr, weil sie einerseits selber keine Förderung mehr bekommen oder wir eben weniger Förderung bekommen, um eben diese Räume zur Verfügung zu stellen, dann bedeutet das am Ende einfach viel, viel weniger Kultur", sagt Matthias Mohr.

Dabei ist letztlich nicht viel Geld zu holen in der Freien Szene. 120 Millionen soll im Kulturhaushalt insgesamt gespart werden. Hamburg hat seinen Kulturetat um elf Prozent erhöht, muss aber im Gegensatz zu Berlin nicht einsparen. NRW muss auch sparen, die Kultur trifft es aber nur mit 1,8 Prozent.

Matthias Mohr, Portraitfoto. (Quelle: rbb)
Matthias Mohr vom Radialsystem. | Bild: rbb

"Mekka der freien Tanzszene"

"Berlin ist heute das Mekka der freien Tanzszene", sagt Jochen Sandig. Der Kulturunternehmer hat erst das Tacheles und später mit der heute wohl international bekanntesten Vertreterin der Freien Tanzszene Sasha Waltz schon die Sophiensäle gegründet, später auch das Radialsystem. Waltz ist mit ihrem Ensemble immer noch in Berlin zuhause, aber auf den Bühnen der Welt unterwegs. Wenn sie in der Stadt auftreten, dann im Radialsystem.

Jochen Sandig erinnert daran, dass der Kultursenator Joe Chialo die Kultur mal die Schwerindustrie Berlins bezeichnet hat. Laut einer Erhebung des Statistischen Landesamtes sagen 55 Prozent der Berlin-Touristen, sie kämen wegen Kunst und Kultur in die Stadt. Die sieht Sandig durch die Kürzungen bedroht.

Ein Schutzschirm für die Kultur?

Kai Wegner hat drei Ausnahmen für die geplanten Kürzungen festgelegt: Innere Sicherheit, Wissenschaft und Forschung. Der Kulturunternehmer Jochen Sandig sagt, er wünsche sich, dass auch die Kultur unter diesen Schutzschirm komme. "Wenn man in der Kultur kürzt, bedeutet das das Ende von der Kultur, wie wir sie heute in Berlin kennen", sagt Sandig über die geplanten zehn Prozent Einsparungen.

Der Kultursenator Joe Chialo (CDU) wollte sich auf Anfrage des rbb nicht äußern, da im Senat noch verhandelt wird, wieviel am Ende wo gespart werden wird. Im November soll es konkrete Zahlen geben, heißt es. Raphael Moussa Hillebrand versteht sein neues Tanztheaterstück "2050 - Unsere Utopien" als Aufruf von einer gerechteren Welt zu träumen, sagt er. Einer Welt, in der viel getanzt wird. Die Premiere war schnell ausverkauft.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.10.2024, 16:40 Uhr

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Beitrag von Nathalie Daiber

51 Kommentare

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  1. 51.

    Aber leider haben Sie keinerlei Beweise für Ihre Behauptung. Und nicht alles ist Kunst!

  2. 50.

    "Fußball wird viel als Kunst subventioniert" - da sind wir uns doch einig :)! Zum Beispiel durch die erwähnten Sicherheitsleistungen, die wir alle tragen. Was spräche dagegen, die Kosten auf die Verursacher umzulegen? Dann kostet die Eintrittskarte und ggf. das Sky-Abo eben mehr, kann man doch als Fan nichts dagegen haben, wenn es einem das wert ist.

  3. 49.

    Als allererstes wird IMMER an Bildung, Soziales & Kultur gespart…auch schon vor 30, 40 Jahren. Die Rechnung haben wir jetzt…insbesondere das Fehlen an Bildung…merkt man ja an den Kommentaren hier!! Vor allem weil viele auf den Zug der Suggestion der Politiker aufspringen, die meinen, Deutschland geht’s ja sooo schlecht, um genau an diesen Stellen sparen zu dürfen. Dieses Totschlagargument gab’s auch damals schon. Wir sind die Schafe…

  4. 48.

    An welcher Stelle genau habe ich geschrieben, dass sie nicht von Kürzungen betroffen sein sollen, zeigen Sie mir die? Danke!

  5. 47.

    Die Berliner Musikschulen waren ja mal bei der Bildung. Durch die Zuordnung in den Bereich Kultur wird dem Kulturetat sehr viel Geld weggenommen. Die Etats für Bildung und Kultur sind sehr wahrscheinlich äußerst unterschiedlich bemessen. Das heißt, dass die Bildung sicherlich wesentlich mehr Geld zur Verfügung hat. Die Kultur in Berlin muss sich nun das Geld, welches sie für die Musikschulen ausgeben muss, in anderen Bereichen "ersparen". Es ist klar, dass dann Kultur-Projekte zu kurz kommen. Deshalb müssen die Musikschulen wieder bei der Bildung angesiedelt werden. Gemäß Schulgesetz Berlin sind die Musikschulen ein Teil der Bildung. Das ergibt sich ja auch aus dem Wort "Schule". In eine Schule geht man, um etwas zu lernen. Das nennt man Bildung.

  6. 46.

    Sie fragen in Ihrem Kommentar: "Wo steht im Schulgesetz etwas von Musikschulen ?"
    Meine Antwort: In Paragraph 123 Schulgesetz Berlin. Dort ist u. a. die Verpflichtung festgelegt, dass Musikschulen durch die Berliner Bezirke zu unterhalten sind.

  7. 45.

    Und die muss mit Kürzungen leben, wie jeder andere auch, wenn kein Geld da ist. Essen und Solidarität gehen auch so. Die Kultur muss endlich von ihrem hohen Ross runterkommen. Viel zu viele Menschen arbeiten in diesem Land prekär, schreien aber nicht alle fünf Minuten nach mehr Geld von Staat.

  8. 44.

    „Wer legt fest, ab wann es "viele" sind und ich muss dann als Steuerzahler dafür mit aufkommen? „

    Das entscheiden politische Mehrheiten.

    Der Fußballer wird schon geschröpft.

    Fußball wird viel als Kunst subventioniert.

    Schauen siemsich die Statistiken der Opern Berlin an.

    MillionenMinus.

    Union und Hertha?

    Was kriegen die von Berlin?

  9. 43.

    „Nicht jeder kann oder will sich ,,prostituieren“ um omnipresänt zu sein! „

    Diese Stereotypen bringen uns Künstler nicht weiter.

    Ich gehe mache gute Musik neben meiner eigentlichen Arbeit, als Hobby.

    Bringt auch Geld.

  10. 42.

    Ohne Kunst & Kultur wäre nicht nur Berlin, nein, jeder Einzelne arm dran. Kultur macht das menschliche Wesen aus: Leben, Essen, Freude, Solidarität, Gemeinschaft bspw. Wie können hier einige denken, dass das nicht nötige wäre. Was für eintönige Gedankenwelten müssen das sein? Und dieses blöde Geschwafel von Steuergeld!! Jeder zahlt für das Gemeinwohl aller und jeder hat dann auch ein Recht, seine für ihn wichtigen Dinge einzufordern. Dazu gehört auch Kultur!!!

  11. 40.

    Wer legt fest, ab wann es "viele" sind und ich muss dann als Steuerzahler dafür mit aufkommen? Wieso soll es gerecht sein, dass die Vereine, also die Veranstalter, das nicht selbst zahlen müssen? Das können sie ja dann gerne auf die Eintrittskarte umlegen. Dann müssen Sie eben deutlich mehr für Ihr Hobby zahlen, wenn Ihnen das wert ist, kein Problem. Fänden Sie sicher okay, oder?

  12. 39.

    Sie behaupten pauschal, "gute" Kunst finanziert sich von selbst, das ist allerdings - was Beispiele herausragender Künstler zeigen - so pauschal nicht der Fall. Ob das Geld dann vom Privatmäzen oder vom Fürstenhof kommt, ist zweitrangig - es ist nicht das zu 100% selbst erwirtschaftete des Künstlers. Und der Staat subventioniert alles Mögliche, für das Sie nicht den wahren Preis zahlen. Das trägt die Gesellschaft, also wir alle, ebenfalls mit. Ich habe damit kein Problem, Sie anscheinend schon.

  13. 38.

    Es gibt viele sehr gute, aber unbekannte Es gibt viele sehr gute, aber unbekannte Künstler! Nicht jeder kann oder will sich ,,prostituieren“ um omnipresänt zu sein! Ist wie bei vielen ,,Starautoren“ die Preise bekommen, weil sie viele Bücher verkaufen - muß deshalb aber qualitativ aber nicht gut sein. Die Werbeindustrie sorgt dafür.

  14. 36.

    Fußball wird künstlich gehypt. Das ist ne riesige Geldmaschine und soll von dem Wichtigeren ablenken, wie ,,Brot und Spiel“ seinerzeit!

  15. 35.

    Erwirtschaften Sie Ihr Dasein einfach selbst.

    Was halten Sie davon? Das meine ich ganz sachlich.

  16. 32.

    Mäzene unterstützen Newcomer.

    Der Staat ist kein Mäzen!

    Sie.haben auch ncint wirklich Durchblick, sorry.

    Mäzen sind privat.

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