Konzertkritik | Dream Theater - Die Geburtstags-Piñata bleibt ganz

Mi 23.10.24 | 07:48 Uhr | Von Jakob Bauer
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Archivbild:Auftritt von Dream Theater am 23.01.2023.(Quelle:imago images/Gruppo LiveMedia)
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"Dream Theater" aus den USA sind eine der wichtigsten Bands des Progressive-Metal. Im Rahmen ihrer 40-Jahre-Jubiläumstour spielten sie in Berlin. Jakob Bauer hat ein pompöses, aber nicht vollends überzeugendes Geburtstags-Konzert gesehen.

In 40 Jahren sammelt sich wohl bei jeder Band viel Material an. Bei Dream Theater allerdings ganz besonders viel. Denn die Band macht Progressive-Metal, die US-Amerikaner gelten sogar als Mitbegründer des Genres. Das ist geprägt von harte Metalklängen, die in komplexe Songs gegossen sind, der Takt wechselt häufig, es gibt Jazz- und Klassik-Elemente.

Alles ist hochvirtuos komponiert, aber auch voll auf die Zwölf. Die Songs sind lang, 20 Minuten sind keine Ausnahme bei Dream Theater, und so geht dieses Konzert in der Berliner Uber Eats Music Hall auch – einem Geburtstag angemessen – amtliche drei Stunden.

15 Saitenanschläge pro Sekunde

Auch passend zum Geburtstag: Drummer Mike Portnoy ist zurück. Er ist ein Fan-Liebling, 2010 hat er die Band allerdings im Streit verlassen. Jetzt sitzt Portnoy wieder sichtlich gut gelaunt hinter seiner Höllenmaschine. Denn dieses Drumset ist wirklich übertrieben krass. Es hat geschätzt 20 Trommeln und genauso viele Becken. Portnoy muss hin und herrutschen, um alles betrommeln zu können, und dieses gigantische Drumset ist bezeichnend für den künstlerischen Ansatz von Dream Theater.

Die große Geste in allem ist das Ding der Band. Auf großen Leinwänden sind bedeutungsschwere Bilder zu sehen, antike Statuen, schnell laufende Uhren, Zahnräder und Totenköpfe. Die Songs erzählen ausufernde Geschichten über Leben, Tod und Vergänglichkeit, über die sicher schonmal jemand eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben hat.

Und sie tragen Titel wie "Metropolis Part 2 – Scenes From A Memory". Die Band schafft es, brutal wuchtig, aber auch brutal schnell und präzise zu spielen, "abartig schnell", ruft sogar einer im Publikum, als Bassist John Myung kurz die Hände ausschüttelt und dann das Intro zum Song "Panic Attack" mit circa 15 Saitenanschlägen pro Sekunde durchhämmert.

Drachenkampf und schiefe Töne

Als dann mittelgut animierte Drachen auf der Leinwand zu kämpfen anfangen, kippt das zwar auch in Richtung pompöser Kitsch, aber gut. Es passt hier halt einfach alles schlüssig zusammen und ist dadurch auf eine angenehme Art drüber. Genauso, wie das sich auf einem beweglichen Konstrukt befindende Keyboard, das während des Spielens entweder zur Seite kippt oder sich im Kreis dreht, inklusive Keyboarder Jordan Rudess. Auch die Stimme von Sänger James LaBrie reiht sich in diese Theatralik ein, die ist hoch, dramatisch, tremolierend, einzig: Er trifft ungefähr die Hälfte der Töne nicht mehr so richtig. Das stört schon ziemlich, gerade weil der Rest der Band so perfekt spielt.

Leute, jubelt bitte mal!

Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass keine so richtig ausgelassene Geburtstagsstimmung aufkommt, dass das Publikum zwar aufmerksam ist, aber nicht in Ekstase gerät. Vielleicht ist es die Set-List, bei der gerade in der ersten Hälfte des Konzerts nur wenige Songs dabei sind, bei denen die Fans schon ab den ersten Tönen in Jubel ausbrechen.

Vielleicht liegt es auch daran, dass zwar jeder für sich brilliert, aber die Band nur wenig wirklich miteinander interagiert. Immer wieder versuchen Dream Theater, mit klassischen Rockstar-Gesten das Publikum zu animieren, aber es klappt nur so halb-gut. Und irgendwann sagt Sänger LaBrie sogar leicht genervt: "Leute, wenn ich das Mikro in die Menge halte, dann sollt ihr losjubeln."

Was macht der wohl hinter der Bühne?

Dass hier eine Distanz bleibt, mag auch daran liegen, dass es keinen richtigen Frontmann gibt, der die Menge durch diesen Abend führt. Sänger LaBrie verschwindet nach seinen Parts immer sofort hinter Bühne. Und man fragt sich, was er wohl dahinter so treibt, und erwischt sich dabei, zu denken, dass er ruhig noch ein paar Minuten länger draußen bleiben könnte, wenn Gitarrist John Petrucci eine seiner irrwitzigen Gitarrenfiguren rausholt und man gebannt den Atem anhält, Augen, Ohren und Mund aufreißt: In welche himmlischen Gefilde schraubt er diesen Lauf hinauf?

Handwerklich bieten Dream Theater hier also einen – bis auf den Gesang – brillanten Abend, musikalisch abwechslungsreich und in seiner melodramatischen Ästhetik zwar Geschmackssache, aber auf jeden Fall stringent durchgezogen. Das wird nie langweilig, nur fühlt es sich auch so an, als würden Dream Theater zwar ordentlich auf ihre Geburtstags-Piñata draufdreschen, aber sie explodiert halt nie. Das große Fest hätte – und das mag bei dieser Band komisch klingen – ruhig noch etwas überwältigender sein können.

Sendung: Inforadio, 23.10.2024, 7.55 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

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4 Kommentare

  1. 4.

    Leider kennt der Autor Dream Theater offensichtlich nicht und kennt sich in der ProgMetal Szene nicht aus. Hier wird nämlich nicht gejubelt und gebanged sondern andächtig gestaunt. Beim nächsten Mal vielleicht jemanden schicken, der sich damit auskennt.

    LG

  2. 3.

    Gut, dass ich nicht im Konzert war, dafür hatte ich vorher ein YouTube-Video eines kürzlichen Auftritts gesehen und musste ebenfalls schmerzlich feststellen, dass James LaBrie leider bis auf die körperliche keine stimmliche Kraft für die erforderlichen hohen Töne hat. Im Studio bei Album-Aufnahmen kann man das heute noch einigermaßen kompensieren, aber live nicht. Bin vor Jahren gerade wegen seiner Stimme (neben der komplexen Musik) Fan geworden und somit froh, wenigstens alle Alben zu besitzen, auch wenn die aus jüngerer Vergangenheit teilweise "langweilig" geworden sind, weil keine Highlights mehr zündeten – Geschmackssache! Also entweder neu komponierte "tiefergelegte" Gesangsparts ohne Backkatalog-Präsentationen oder bitte abdanken (schade auch um die vielbejubelte Portnoy-Rückkehr wg. der getrübten Stimmung).

  3. 2.

    Gute Kritik Herr Bauer! Ich war zwar diesmal nicht live dabei, habe Dream Theater aber 8× live erlebt. Da kann man mal sehen, zu welchen Leistungen studierte Musiker fähig sind. Unglaublich, was die aus ihren Instrumenten rausholen. Ein Anmerkung hab ich noch: Ich weiß nicht, was Sie mit Stimmung machen meinen. Die machen keine "Mitklatschmusik". Das ist alles hochkomplex gespielt. Zu deren Konzerten kommen in der Regel viele Fans, die selber Musiker sind und die Flippen selten komplett aus.

  4. 1.

    Bitter, aber leider wahr...

    La Brie war schon immer der Schwachpunkt der Band: zu Beginn, da viele mit seiner Stimme nicht warm wurden, Jahre später, weil diese langsam versagt.

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