Joan As Police Woman im Heimathafen Neukölln - Virtuose Musik von den coolsten Gurken

Di 22.10.24 | 07:59 Uhr | Von Jakob Bauer
Archivbild: Joan As Police Woman bei einem Konzert in London. (Quelle: dpa/photoshot)
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Audio: rbb24 Inforadio | 22.10.2024 | Jakob Bauer | Bild: dpa/photoshot

In den 90ern hat die US-Amerikanerin Joan Wasser in krachigen Rock-Bands gespielt, seit 2004 ist sie als "Joan As Police Woman" solo bekannt geworden. Am Montag hat sie ihr neues Album im Berliner Heimathafen Neukölln vorgestellt. Von Jakob Bauer

Es ist ein bisschen ein Kaltstart. "Ist wohl Vorband", sagt einer im Publikum im Berliner Heimathafen Neukölln, als zwei Musiker auf die Bühnen kommen und anfangen zu spielen. Aber nein: Nach kurzer Zeit kommt Joan Wasser alias Joan As Police Woman dazu, allerdings bleibt der Lautstärkepegel in der Menge noch hoch und die Musik kann sich anfangs nicht so recht durchsetzen.

Man groovt sich ein

Das liegt aber nicht an mangelnder Qualität, denn auf der Bühne stehen drei wahre Virtuosen. Joan Wasser mit ihrer warmen, souligen Stimme und den fliegenden Fingern auf Keyboards und Flügel. Ihr Gitarrist Will Graefe, der ungehörte, verwaschene, verspulte und präzise schillernde Töne aus seiner Gitarre zieht. Und der Schlagzeuger Jeremy Gustin, der seine Felle streichelt, rücksichtsvoll die Becken antippt und mit kleinen Gesten große Grooves zaubert.

Sie alle wären auch in einem kleinen, fokussierten Jazz-Club gut aufgehoben. Nur ist das hier kein Jazz-Club, sondern ein mittelgroßer Konzertsaal. Deswegen braucht es ein bisschen, bis sich alle aufeinander einlassen können, bis diese eher hintergründig daherkommende Musik zum Hauptthema wird, bis die Zwischentöne zu schillern beginnen.

Dezent is King

Denn diese Musik ist dezent und raffiniert. After-Hour und Lounge-Flair wabern durch den Raum, aber trotzdem ist das meilenweit weg von Fahrstuhlbeschallung. Weil da in so vielen Schichten so viel passiert. Dem live zuzuschauen, das macht große Freude.

Zu beobachten, wie diese fantastischen Musiker immer wieder von Neuem musikalische Geschichten erzählen, feinteilige und filigrane Häuser aus Klang aufbauen, in die Joan Wasser ihre Stimme legt. Mal sehr soulig, mal voller Funk, manchmal sogar mit Off-Beat-Dub-Feeling, immer gefühlvoll, aber nie mit übertriebenem Pathos. Immer voller Ideen, aber nie ausufernd und langatmig.

Wir müssen über diese Band reden!

Und auch wenn Joan Wassers Name auf den Plakaten steht, ist das hier vor allem eine Bandleistung, sie sagt es selbst mal: "Seit ich mit diesen Jungs zusammenspiele, ist jedes Konzert mein Lieblingskonzert."

Wenn die Harmonien also ungreifbar scheinen und die Melodielinien irgendwo hinstreben, hält der Schlagzeuger Jeremy Gustin mit seinem knappen, aber unendlich ausdrucksstarkem Groove alles zusammen. Dem zuzuschauen, das würde sogar ohne Ton funktionieren. Alleine, wie er die Sticks hält, wie er seine Hände bewegt, den Shaker schüttelt und fast zärtlich die Trommeln bearbeitet, das ist schon große kinetische Musikkunst.

Und der Gitarrist Will Graefe - der wechselt von Momenten, in denen er klingt wie ein Klassik-Virtuose, der sich jetzt mal erfolgreich an Lagerfeuerklängen versucht, über warm einschwingende Töne, die mal nach Science-Fiction und mal nach Blockflöte klingen, hin zu unberechenbarem, aufregendem Gitarren-Geschreddere, weit weg von dem üblichen Gegniedel, das man so kennt, wenn der Gitarrist jetzt auch noch ein Solo spielen darf.

Beide dürfen mit ihren Instrumenten ausrasten, brillieren, aber dann ziehen sie sich von einer auf die andere Sekunde wieder vollkommen zurück, begleiten ihre Frontfrau und singen, als wäre nichts gewesen, entspannt, hoch und klar zweite und dritte Stimme.

Unverschämt lässig

Cool wie eine Gurke sind die hier alle, Joan und ihre Männer. Die Mischung aus musikalischer Leidenschaft und Spannung, aus Virtuosität und fast unverschämt unangestrengt wirkender Performance prägt diesen Abend, der trotzdem – auch wenn Joan die Publikums-Bespaßung eher auf Sparflamme hält (die Frau will musizieren!) – nie unterkühlt wirkt.

Dafür geht diese Musik viel zu sehr rein wie Öl und breitet sich im Publikum aus, das wahlweise beeindruckt oder beglückt guckt. Oder auch ein bisschen umhertänzelt. Aus dem anfänglichen Kaltstart ist da längst ein warmes Motorschnurren geworden. Und Joan As Police Woman setzt nach über 30 Jahren im Geschäft mit dieser Band und ihrem neuen Album "Lemons, Limes and Orchids" einen weiteren Karriere-Höhepunkt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.10.2024, 08:30 Uhr

Beitrag von Jakob Bauer

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