Aktivisten-Anwalt im Interview - Wann wird eine Straßenblockade zur Nötigung?

Di 01.11.22 | 12:07 Uhr
  83
Demonstranten der Gruppe "Letzte Generation" werden am 01.07.2022 von Polizeibeamte von einer Kreuzung an der Berliner Knobelsdorffstraße getragen. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
dpa/Paul Zinken
Audio: Inforadio | 01.11.2022 | Sabine Dahl im Gespräch mit Christian Mertens | Bild: dpa/Paul Zinken Download (mp3, 11 MB)

Wegen der Klimaproteste stand in Berlin ein Rüstwagen im Stau - der zur Rettung eines Unfallopfers benötigt wurde. Rechtsanwalt Mertens hat schon einige Aktivisten verteidigt und erklärt, ab wann der Tatbestand der Nötigung im Straßenverkehr greift.

Christian Mertens ins Rechtsanwalt in Köln. Er hat schon mehrere Menschen, die bei diesen Blockadeaktionen dabei waren, verteidigt - aus Überzeugung, wie er selbst sagt.

Zum Fall: In Berlin stehen zwei spezielle Rüstfahrzeuge zur Verfügung, einer davon in Siemensstadt. Nachdem am Montagvormittag eine Radfahrerin in Wilmersdorf unter einem Betonmischer eingeklemmt worden war, sollte dieser zum Einsatz kommen. Doch der Stau auf der A100 hielt ihn auf und er kam zu spät. Rettungskräfte konnten die Frau nur mit improvisierten Hilfsmitteln befreien. Noch ist unklar, ob die Radfahrerin wegen der durch die Klimaproteste verursachten Staus schwerer verletzt wurde.

rbb|24: Herr Mertens, die Berliner Innensenatorin Iris Spranger sprach von Nötigung im Straßenverkehr. Nehmen die Protestler Schaden an Leib und Leben in Kauf für ihre Aktionen?

Christian Mertens: Der Jurist sagt ja immer gerne: Es kommt drauf an. Obwohl der Straftatbestand der Nötigung eigentlich nur ein kleines Delikt ist, ist er relativ kompliziert. Sie müssen irgendjemandem, ich formuliere es mal flapsig, sagen, dass er etwas Bestimmtes machen soll und Sie müssen dabei entweder Gewalt benutzen oder Sie müssen ihm mit einem empfindlichen Übel drohen. Ich persönlich sehe diesen Tatbestand der Gewalt im Straßenverkehr nicht erfüllt, wenn man sich vor ein Auto setzt.

Aber die Klimaprotestler nötigen die Autofahrer plötzlich zu bremsen und möglicherweise stundenlang dort rumzustehen.

Mertens: Ja, das ist grundsätzlich richtig. Allerdings müssen sie bestimmte Nötigungsmittel nutzen. Nämlich die Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel. Die Rechtsprechung sagt: Wenn ich mich vor das erste Auto setze, ist es keine Gewalt. Weil ich ja nur meinen Körper benutze, um mich davor hinzusetzen. Aber ich benutze dadurch das eine Auto, um das andere mit Gewalt zu bremsen. Also ich baue quasi ein Hindernis auf.

Das ist die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung. Aber deswegen muss man sagen, der objektive Tatbestand der Nötigung ist deshalb in solchen Fällen in der Regel erfüllt. Ich halte das nicht zwingend für richtig, aber das ist so.

Es gibt ja auch schon Urteile dieser Art. Und nun ist zum wiederholten Mal die Feuerwehr nicht zu ihrem Einsatz gekommen. Welchen Straftatbestand erfüllt das? Ich meine mich zu erinnern, die Feuerwehr bei der Arbeit zu behindern, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet...

Ich habe mir gestern mal ein bisschen die Orte rausgesucht, um die es da geht. Das ist sehr weit voneinander entfernt. Ich als Strafverteidiger würde mich sehr mit Ihnen über die Tatsachen streiten, ob das überhaupt alles so stimmt, wie es erzählt wird.

Die Feuerwehr wird es ja wissen, dass das Fahrzeug nicht rechtzeitig gekommen ist und sie deshalb die Frau nur unter großen Schwierigkeiten befreien konnten.

Ich kenne die Örtlichkeiten nicht und kann mich nicht darüber streiten. Ich weiß nur, dass die beiden Orte etliche Kilometer voneinander entfernt waren. Aber lassen wir mal dahingestellt, unterstellen wir mal, das sei so. Dann gibt es aber bei der Nötigung noch eine zusätzliche Klausel, die Verwerflichkeitsklausel. Das bedeutet, Sie müssen überlegen, wie stehen Zweck und Mittel zueinander.

Die "Letzte Generation" sagt, dass sie sicherstellen möchte, dass niemand zu Schaden kommt. Deshalb würden sie immer schauen, dass Rettungsgassen gebildet werden können.

Hinzu kommt, das der Paragraph der Nötigung laut Gesetzgeber nur erfüllt ist, wenn ich mit dem Nötigungsmittel direkt auf jemanden einwirken kann. Also die Autofahrer an der Ampel zum Beispiel. Das heißt, wenn sie 15 Kilometer vor einem Verkehrsstau abfahren, weil jemand die Straße blockiert hat, dann werden sie nicht genötigt.

Wir waren aber eigentlich bei der Feuerwehr. Wir wissen jetzt noch nicht, wie es der Frau geht, und die Feuerwehr konnte auch noch nicht sagen, ob die Frau möglicherweise schwerer verletzt ist, weil es einfach länger gedauert hat und schwieriger war, sie unter diesem Betonmischer herauszubekommen. Wo fängt die gefährliche Körperverletzung an?

Die gefährliche Körperverletzung fängt da an, wo sie billigend in Kauf nimmt, dass sie unmittelbar auf eine andere Person einwirken, also jemand verletzt wird. Dass das hier kein wie auch immer geartetes vorsätzliches Körperverletzungsdelikt ist, das ist eindeutig.

Das Einzige, worüber man möglicherweise noch nachdenken müsste, wäre eine fahrlässige Körperverletzung. Wenn Sie also sagen, irgendjemand hat gegen eine Pflicht verstoßen und dadurch ist eine Person zu Schaden gekommen, dann wäre das der einzige Straftatbestand, den ich möglicherweise noch prüfen würde.

Ist das Ihre Liebe zur Juristerei, so ein bisschen Paragraphenverliebtheit, dass Sie finden, diese Leute brauchen einen Anwalt - oder warum machen Sie das?

Das hat nichts mit Paragraphenverliebtheit zu tun. Ich persönlich glaube, dass diese Leute ihre eigene Strafbarkeit riskieren. Denn sie werden ja bestraft und gehen trotzdem dafür auf die Straße und versuchen, sich durchzusetzen und uns allen zu zeigen in welcher Situation wir leben.

Ich persönlich finde, dass diese Leute einen Anwalt verdienen. Wenn sie keinen hätten, dann würde man sagen, ja, 'Klimaspinner, weg mit denen!'.

Doch ich glaube, unsere Rechtsordnung ist viel feiner, als man es sich manchmal so vorstellt. Da wird nicht entschieden nach "der eine stört den anderen und deswegen wird er bestraft", sondern da gibt es Strafbestandsmerkmale, die man abarbeiten muss. Da gibt es Wertungen, da gibt es Dinge wie die benannte Zweck-Mittel-Relation - das muss berücksichtigt werden, auch im Strafrecht. Deswegen mache ich das.

Dieser Text ist eine redigierte und leicht gekürzte Fassung des Interviews. Das gesamte Gespräch können Sie sich anhören, wenn Sie oben links auf das Abspielsymbol im Bild klicken.

Sendung: Inforadio, 01.11.2022, 07:05 Uhr

83 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 83.

    Steter Tropfen höhlt den Stein. So sind wir erst in die Situation gekommen und wenn wir nichts Besseres haben (und das haben wir nicht) die einzige demokratisch anwendbare Lösung zu reduzieren auf sinnvolle Maße. Breitere Betrachtungen, die auch die Auswirkungen aufs Fahrverhalten kommen übrigens zu anderen Ergebnissen mit klaren positiven Auswirkungen auch für die Fahrsicherheit.

    Und eine Wertediskussion sollte doch eher sachlich geführt werden oder irre ich mich da? Sie dramatisieren um ihren Standpunkt klar zu stellen? Na gut. Ganz undramatisch geht es um das Überleben der Menschheit ohne Hilfsmittel unter freiem Himmel. Da kann man nicht höher gehen und es lohnt sich nicht das zu Erwähnen, weil es als Panikmache eingestuft ist. Wie will man also überhaupt eine Wertediskussion da führen? Da trifft doch eine Grundlagendiskussion auf eine Luxusdiskussion.

  2. 82.

    Wollen Sie sich nicht doch besser nochmal belesen und den Unterschied zwischen Klimadiskussion und Wertediskussion erarbeiten?

    P.S. Eine Differenzgeschwindigkeit von was und weniger Fahrer ist weniger als „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.

  3. 81.

    Wollen Sie sich nicht doch besser nochmal belesen und den Unterschied zwischen Klimadiskussion und Wertediskussion erarbeiten?

    P.S. Eine Differenzgeschwindigkeit von was und weniger Fahrer ist weniger als „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.

  4. 80.

    Mehr auf Sabotage setzen : Klimaaktivist: Bürger müssen uns nicht mögen

    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/klimabewegung-protest-radikalisierung-tadzio-mueller-100.html

  5. 79.

    "Man bedient sich sogar wissenschaftlich falscher (Klimaschutz)Argumente, die man erpresserisch, ohne Demokratie, durchsetzen will, obwohl die keinen Nutzen haben: Tempo 100 ist ein solches Beispiel auf einem Plakat."

    Die Physik lässt nicht mit sich verhandeln. Die Lüge ist, zu behaupten, dass es nichts bringt.

  6. 78.

    Hier mal eine Metapher: Auf einer dreispurigen Autobahn. Die rechte Spur ist frei. Die Mittelspur wird relativ langsam benutzt. Die linke Spur wird gerade zum Überholen benutzt. Der schneller Fahrende auf der Mittelspur kann nicht nach links ausweichen und gibt Lichtzeichen. Der in der Mittelspur fährt daraufhin noch langsamer. Beide sind der Meinung, gegenseitig genötigt zu haben. In der Rechtsprechung ist die Sache aber sonnenklar.

  7. 77.

    Hier mal eine Metapher: Auf einer dreispurigen Autobahn. Die rechte Spur ist frei. Die Mittelspur wird relativ langsam benutzt. Die linke Spur wird gerade zum Überholen benutzt. Der schneller Fahrende auf der Mittelspur kann nicht nach links ausweichen und gibt Lichtzeichen. Der in der Mittelspur fährt daraufhin noch langsamer. Beide sind der Meinung, gegenseitig genötigt zu haben. In der Rechtsprechung ist die Sache aber sonnenklar.

  8. 76.
    Antwort auf [Frank Wedekind] vom 02.11.2022 um 09:25

    Die Sache ist die: Mit demokratischen Mitteln Mehrheiten zu gewinnen macht viel Mühe. Die scheut man oder ist es nicht gewohnt. Wir erleben hier auch, vermutlich eine aus der Kindheit gemachte Erfahrung: Wie erziehe ich erfolgreich meine Eltern. Das Gleiche versucht man nun auch mit dem Staat. Man bedient sich sogar wissenschaftlich falscher (Klimaschutz)Argumente, die man erpresserisch, ohne Demokratie, durchsetzen will, obwohl die keinen Nutzen haben: Tempo 100 ist ein solches Beispiel auf einem Plakat.

  9. 75.
    Antwort auf [Frank Wedekind] vom 02.11.2022 um 09:32

    Tadzio Müller - Klima-Aktivist droht: „Dann scheiße ich dafür auf jedes einzelne Bild“
    Seit dem Sommer nehmen diverse Klimabewegungen zunehmend Museen ins Visier für ihre Protestaktionen. Klimaaktivist Tadzio Müller verteidigt das.
    Klimaaktivist Tadzio Müller hat die Anschläge auf Kunstobjekte in verschiedenen Museen als erfolgreich bezeichnet. Damit gelinge es den Aktivisten, die Gesellschaft aus ihrer Verdrängung des Klimawandels zu reißen. Das sagte der Mitgründer der Anti-Kohle-Gruppe "Ende Gelände" gegenüber „ZDFheute“.
    Klimaaktivist Tadzio Müller: "Niemand schützt das Klima"
    „Wenn ich Tomatensuppe auf ein Bild schütte, dann geht es um Aufmerksamkeit. Und gerade reden alle darüber. Wir sind im Klimanotstand und trotzdem schützt niemand das Klima. Wenn Menschen in Bolivien nicht mehr am Klimawandel sterben müssen, dann scheiße ich dafür auf jedes einzelne Bild in einem deutschen Museum.“

    https://www.focus.de/panorama/welt/tadzio-mue

  10. 74.

    "Die A100 ist eine Autobahn, nun ist nicht bekannt ob das Fahrzeug auf der Autobahn oder auf Nebenstraßen stecken blieb."
    Moin, er blieb lt. rbb auf der A100 im Stau stecken:
    "Feuerwehr-Einsatzkräfte mit Spezialgeräten standen wegen Protesten von Klimademonstranten auf der Stadtautobahn A100 im Stau und trafen erst verspätet am Unfallort ein,...."
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/11/radfahrerin-unfall-berlin-wilmersdorf-lebensgefaehrlich-zustand.html

  11. 73.

    Die "Welt am Sonntag" berichtet über eine interne Handreichung der „Letzten Generation“ aus dem Frühjahr, in der nicht nur Tipps gegeben werden, falls die Straftaten, die von den Aktivisten begangen werden, dann doch, man weiß nicht wie, zur Anklage kommen. Darin wird laut Welt auch darauf hingewiesen, dass man sich „Kohle“ von der Roten Hilfe, die übrigens als linksextremistische Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet wird, holen könne. „Der Verein übernehme in der Regel 50 Prozent der Anwaltskosten. ‚Nicht immer, aber fragen schadet nicht, denn die Rote Hilfe hat auf jeden Fall Kohle‘, heißt es in dem Papier.“

  12. 72.

    Da haben Sie recht. Bitte lesen Sie im Verlauf, um besser zu verstehen....

  13. 71.

    Im Klartext: Es ist Nötigung!
    Wenn jemand ein Stein von einer Brücke wirft und jemand dabei zu Schaden kommt, dann gibt es auch eine Konsequenz oder Strafe. Warum nicht bei Nötigung?

  14. 70.

    Schon einmal versucht!? In der Regel wird dies abgelehnt! Die A100 mag da nochmal was anderes sein wie eine A10. Aufgrund der Zahlreichen Problem die zu erwarten sind, wird dies immer wieder abgelehnt.

    Das Betrifft nicht nur Autobahnen sondern auch Hauptstraßen. Man solle doch seinen Protest in den belanglosen Nebenstraßen abhalten. Das bekommt man von den Behörden gesagt...

    Ich meinte ja bereits man muss solchen Protesten auch legalen Raum geben. Selbst die Klimastreiks an den Schulen waren Ortungswidrigkeiten und die Behörden haben mit Bußgeldern gedroht.

  15. 69.

    Hallo Leo,
    leider nutzt das Rechtsempfinden der Menschen vor Gericht nicht sehr viel, wie einige Urteile der Vergangenheit gezeigt haben.

    Paragraphen sind Auslegungsache und nicht jede Richterin/Richter hat das Rechtsempfinden der Bürger.

    Deshalb können wir Normalbürger die gesprochenen Urteile oft auch nicht nachvollziehen.

  16. 68.

    Ich kann keinen Anwalt verstehen, der angesichts dieser BLOCKIERER, die auch Menschenleben durch ihre Aktionen inkauf nehmen, drumherum redet und Paragraphenreiterei betreibt anstatt klare Worte zu finden.

    ABER vielleicht möchte er ja Mandanten dadurch bekommen.

  17. 67.

    Soweit ich es verstanden habe, geht es um Behinderung einer Hilfeleistung nach §323c StGB. Hierzu wurde keine Aussage getroffen.

  18. 66.

    Wie eine Recherche der "Welt am Sonntag" ergab, wird das Spendenkonto der Letzten Generation vom Verein Elinor geführt. Der Verein wurde vom Bundeswirtschaftsministerium für das Projekt „Gruppenkonto“ mit 156.420 Euro unterstützt.
    Nun, da regierungsfinanzierte NGOs die Radikalen unterstützen, muss sich der RA keine Sorgen machen, ein Mandat in dieser Richtung zu übernehmen.

  19. 65.

    Verdrehen, falsch interpretieren, demokratische Werte als radikal verunglimpfen, scheint Ihr Hobby zu sein. Lassen Sie das sein....

  20. 64.

    Sie haben so gerade eben den Unterschied erklärt. Angemeldete Demo. Sie können ja eine Demo auf der Autobahn auch anmelden. Es wird sich zeigen ob diese genehmigt wird

Nächster Artikel