Berliner Start-up - Sterben, einfrieren und dann wieder leben?
Manche möchten ein Leben nach dem Tod, einer von ihnen ist ein 24-jähriger Charlottenburger. Ein Berliner Unternehmen ermöglicht ihm, sich nach dem Tod einfrieren zu lassen, bis die Medizin weiter ist. Eine Forscherin hält das für Science Fiction. Von Anna Bordel
- Berliner Start-up bietet die Möglichkeit, sich nach dem Tod einfrieren und konservieren zu lassen
- Altersforscherin hält Verfahren für nicht realistisch
- Gefrieren von Organismen wichtig für Forschung
Ewig leben. Oder zumindest, wenn man schon sterben musste, nach ein paar Jahrhunderten zurückkehren und noch ein bisschen weiter machen. Was für manche nach gutem oder auch schlechtem Filmplot klingt, ist für andere eine ernstzunehmende Vision. Jonas Nagel findet die Idee, in der Zukunft nochmal leben zu können, spannend. Deshalb ist der 24-jährige Charlottenburger seit einem Jahr Mitglied bei "Tomorrow Bio". Einem Unternehmen, das Menschen kurz nach ihrem Tod einfriert und lagert, in der Hoffnung, dass der medizinische Fortschritt sie irgendwann wiederbeleben und weiterleben lassen kann.
Hoffnung, dass das wirklich funktioniert, hat Nagel gar nicht so große, wie er sagt. Er sei eher fasziniert davon, dass die sogenannte Kryo-Konservierung eine Alternative dazu biete, unter der Erde zu enden. Da liege die Chance wieder aufzuerstehen bei null, sagt er. Wenn er sich einfrieren lasse, sehe er immerhin ein Fünkchen Licht.
Forscherin hält Kryo-Konservierung von Menschen für Science Fiction
Laura Wester, Altersforschern am Max-Planck-Institut, sieht das Lichtlein nicht. "Menschen einfrieren und sie so wieder auftauen, dass sie leben können, das halte ich für Science Fiction", sagt sie.
Dazu später mehr. Erstmal sei beschrieben, wie Leicheneinfrieren eigentlich funktionieren soll. In dem Berliner Start-up "Tomorrow Bio" - einer Selbstauskunft zufolge dem einzigen in Europa - ist es möglich, sich dafür anzumelden. Jonas Nagel zahlt einen monatlichen Mitgliedsbeitrag plus einen Beitrag zur Lebensversicherung. Die soll ihm am Ende seine Konservierung finanzieren. Konserviert wird so: "Der Körper wird mit einem Spezialverfahren runtergekühlt, während Herzdruckmassage gemacht wird und Sauerstoff zugeführt wird, um vor allem die Zellen im Gehirn zu schützen", so Unternehmensgründer und Geschäftsführer Emil Kendziorra.
Es gibt einen Notfallkontakt, an den man sich wenden soll, sobald absehbar ist, dass man sterben wird. Je früher desto besser. Dann können sich Kendziorra und sein Team vorbereiten.
Leichen werden in der Schweiz gelagert
Der Körper werde auf bis auf minus 196 Grad abgekühlt und in flüssigem Stickstoff in Edelstahlkapseln gelagert. Bis zum Zeitpunkt X, an dem laut dem Geschäftsführer mehrere Sachen zusammenkommen müssen. Einmal dass es technisch möglich ist, den "Patienten", wie er die Leichen nennt, wieder so aufzutauen, dass sie dabei nicht geschädigt werden. Das funktioniere derzeit noch nicht. Außerdem müsste die Krankheit, an der der Mensch gestorben ist, heilbar sein. Dazu komme, dass es sinnlos sei, einen 85-Jährigen ins Leben zurückzuholen, wenn seine Lebenserwartung ohnehin nur ein Jahr länger sei. "Das macht nur Sinn, wenn die Lebenserwartung bei 15 oder 20 Jahren mehr liegt", so Kendziorra. Wann und ob das jemals möglich sein werde, wisse er nicht, das betont er immer wieder im Gespräch. Aber eine Chance sei da.
Gelagert werden die Leichen von "Tomorrow Bio" bei einer Stiftung in der Schweiz. 200.000 Euro zahlen die Menschen dafür.
Etwa 80.000 koste das Konservieren und Runterkühlen, das restliche Geld werde von der Stiftung investiert, sodass die Lagerung nur von den Zinsen finanziert werden könne. Kendziorra zufolge garantiere diese Logik, dass die Lagerung auf ewig gesichert sei. Rund 120.000 Euro seien dann immer übrig für Zeitpunkt X, fürs Zurückholen ins Leben.
Zukunft ein rechtsfreier Raum?
Rechtliche Garantien, dafür, dass die Konservierung immer aufrecht erhalten werden, seien nicht möglich, so Kendziorra. Das gehe über so einen Zeitraum nicht.
Martin Stellpflug, Berliner Anwalt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Medizinrecht im Deutschen Anwaltsverein sieht das anders. Nach deutschem Recht sei es möglich, dass Erben den Vertrag übernähmen. "Und natürlich kann ich auch rechtliche Erklärungen abgeben, die unbefristet sind", so Stellpflug. Wie sinnvoll das sei, sei allerdings die nächste Frage.
"Wir können uns nicht vorstellen, welches Recht in 500 Jahren gilt. Vielleicht sind die Rechtsgrundlagen dann völlig verändert. Der Blick in die Vergangenheit würde das nahelegen", sagt er. Da die Leichen aber in der Schweiz konserviert würden, könne er nicht mit Sicherheit sagen, ob dort das gleiche Recht gelte.
Rechtlich bindend oder nicht - 400 bis 500 Menschen europaweit haben sich nach Kendziorras Angaben bislang bei "Tomorrow Bio" angemeldet, um sich nach dem Tod einfrieren zu lassen. Konserviert haben sie bislang erst weniger als zehn Leichen - man könne die Zahl an zwei Händen abzählen, so Kendziorra. Weltweit seien etwa 4.000 bis 5.000 Menschen angemeldet, einige Hundert erst konserviert.
Forscherin zweifelt Verfahren an
Hunderte Menschenleichen, die laut Altersforscherin Laura Wester schon so geschädigt sind, dass sie selbst wenn ihre Krankheit heilbar wäre, nicht mehr lebensfähig wären. Ihres Wissens nach sei es derzeit nicht möglich, Leichen so einzufrieren, dass die Zellen dies unbeschadet überstünden.
"Der Mensch besteht aus so vielen unterschiedlichen Strukturen, die alle bei anderen Temperaturen mit anderer Geschwindigkeit eingefroren werden müssten damit sie keinen Schaden nehmen. Ich glaube, dass ist im Moment nicht möglich", so Wester. Im Labor sei es machbar, einen Fadenwurm einzufrieren und wieder aufzutauen. Das sei ein sehr simples Tier, das nicht darauf schließen ließe, dass das auch bei Menschen gehe.
Wie erstrebenswert ist, es eigentlich, unsterblich zu sein? Sich über die Gesetze der Natur hinwegzusetzen? Kendziorra wünscht sich das, wie er sagt: "Ich lebe sehr gern, ich will die Zukunft sehen."
Für Wester wirft das Thema viele Fragen auf: Wenn das geht, wem würde dann das Privileg zustehen unsterblich zu sein? Streben wir das als Spezies an? Was ist mit der Evolution? Was ist mit der Reproduktion?
Kryonik schon jetzt wichtiger Forschungsbestandteil
Einer der Hauptgründe für Jonas Nagel, jetzt schon Mitglied geworden zu sein, ist gar nicht die Aussicht auf Unsterblichkeit, wie er sagt, sondern das Vorhaben zu unterstützen. "Technologie geht ja nur voran, wenn man sie auch unterstützt. Ich finde es nicht okay, zu warten, bis der Vorgang funktioniert, und dann Mitglied zu werden. Wenn alle so denken, wird es nie funktionieren", so Nagel.
Kryonik sei in anderen Teilen der Forschung sehr gewinnbringend, sagt Wester. Ohne Zellen im Labor einzufrieren, könnten Forscher, nicht so erfolgreich arbeiten. Und auch um Eizellen und Sperma einzufrieren, sei das Verfahren wertvoll. Der nächste große Schritt wäre ihrer Meinung nach, Spendeorgane einzufrieren. Einen Teil eines Verstorbenen zu konservieren, damit ein anderer leben könne.
Sie vertritt derzeit den Ansatz daran zu forschen, gesund und würdevoll zu altern, Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer heilbar zu machen. "Wenn dadurch die Lebenserwartung steigt, ist das natürlich ein schöner Nebeneffekt", sagt sie.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.05.2023, 13:06 Uhr