Justizvollzug in Brandenburg - "Unsere größte Waffe ist unser Mundwerk"
Regelmäßig wirbt die Bildungsstätte für den Justizvollzug in Brandenburg an der Havel um Auszubildende. Dabei geht es auch darum, das Image von Justizvollzugsanstalten gerade zu rücken: weg vom Wegschließen, hin zum Resozialisieren. Von Andreas B. Hewel
"Ich bin gern der Störer", sagt Karolin Richter und kann sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Die 27 Jahre alte Anwärterin zur Justizvollzugsbeamtin steht vor einer Gruppe von etwa 20 Besucherinnen und Besuchern, die sich für eine Arbeit in einer Justizvollzugsanstalt interessieren.
Karolin Richter hat sie gerade in eine Übungszelle im Ausbildungszentrum in Brandenburg an der Havel geführt. Hier erklärt sie ihnen das Einsatzgruppentraining. Dafür muss jemand einen Inhaftierten spielen, der randaliert. Und diese Rolle übernimmt Richter eben gern. "Da kann man sich so richtig austoben", gesteht sie der Besuchergruppe. "Man kann voll gegen das Schild treten." Das trainiert die Abläufe bei einer Eskalation. Ein paar blaue Flecken bei solch einer Übung nimmt sie in Kauf.
Resozialisierung an oberster Stelle
In der Realität aber hat Karolin Richter so eine Situation noch nicht erlebt. Seit einem Jahr ist sie Anwärterin für den Justizvollzug. Eine Bekannte hatte sie auf den Beruf aufmerksam gemacht. Bis dahin hatte Richter in einer Apotheke gearbeitet. Da aber sah sie kein Weiterkommen für sich. Kurz noch hatte sie mit der Polizei geliebäugelt, sich dann aber für den Justizvollzug entschieden. Am meisten überrascht hat sie, dass es in den Vollzugsanstalten lange nicht so raubeinig zugeht, wie man vermuten könnte.
"Es ist viel menschlicher, als es so dargestellt wird", erklärt sie. "Gerade wenn man in Deutschland nur diese amerikanischen Gefängnisfilme kennt. Da ist teilweise alles sehr verroht mit viel Bandenkriminalität und andauern wird ausgebrochen. Hier ist es viel humaner. Hier geht es an oberster Stelle um die Resozialisierung." Bei Konflikten gehe es in erster Linie um Deeskalation. "Unmittelbarer Zwang ist eigentlich immer das letzte Mittel, das man anwenden sollte."
Die größte Waffe ist das Mundwerk
Das bestätigt auch die Ausbildungsleiterin Claudia Horn. Die Justizvollzugbeamtinnen und -beamten haben zur Not zwar Stöcke, Schilde, Helme sowie Hand- und Fußfesseln. Im Alltag wichtiger aber, so Horn, sei eine gute Körpersprache und eine gute Kommunikation. "Wir tragen keine Schusswaffen im allgemeinen Vollzugsdienst", schildert Horn ihre Arbeit, "das heißt, unsere größte Waffe ist unser Mundwerk." Das will sie auch nach außen getragen wissen. Wenn Interessierte kämen, gebe es oft viele Aha-Effekte bei den Besucherinnen und Besuchern.
Und über viel Besuch freut sich Claudia Horn, denn die vier Justizvollzugsanstalten in Brandenburg suchen Nachwuchs für ihr Personal. Von den knapp tausend Menschen, die im Justizvollzug arbeiten, erreichen in den kommenden fünf Jahren 134 das Pensionsalter von 62 Jahren. In der gleichen Zeit sollen 220 neue Anwärterinnen und Anwärter ausgebildet werden. Zwei Jahre lang geht die Ausbildung. Bewerben kann sich, wer zwischen 18 und 39 Jahre alt ist, einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung hat. Keine allzu große Hürden also. Auch das Grundsalär kann sich sehen lassen. Rund 2.000 Euro im Monat gibt es von Beginn an für die Anwärterinnen und Anwärter, wie auch ein Beamtenverhältnis auf Widerruf.
Viele unterschiedliche Bewerberinnen und Bewerber
So will auch Matthias, ein 36 Jahre alter Berufssoldat, zum Justizvollzugsbeamten umsatteln. Kommendes Jahr läuft seine 13-jährige Soldatenzeit aus. Jetzt nutzt er solche Besuchertage in der Ausbildungsstätte für den Justizvollzug, um einen Einblick zu bekommen. "Mich interessieren Menschen an sich", erklärt er seine Gründe für den Berufswunsch. "Wenn man vielleicht so ein bisschen dazu beiträgt, dass die Inhaftierten sich resozialisieren." Und auf die Frage, ob er sich bewerben wird für eine Ausbildung, ist die Antwort klar: definitiv.
Auch Leonie aus Leipzig schaut sich hier in Brandenburg an der Havel um. Die 19-Jährige hat vergangenes Jahr Abitur gemacht, war ein Jahr lang in Australien. Jetzt also der Wunsch und der Wille, Justizvollzugsbeamtin zu werden. "Mir war immer klar, ich will nicht im Büro arbeiten, sondern mit Menschen in Kontakt sein und Menschen versuchen zu helfen", sagt sie. "Es vereint das Soziale und auch das Rechtliche. Und das Adrenalin, dass man immer wachsam sein muss."
Das bestätigt auch Pascal Strauch. Der 22-Jährige ist seit einem Jahr Anwärter. Ruhe und Gelassenheit seien wichtige Tugenden, um den Beruf ausüben zu können, sagt er. Und man müsse sich schnell auf neue Situationen einstellen können.
Dauerhaft viel Nachwuchs notwendig
Derzeit kann sich die Ausbildungsstätte in Brandenburg an der Havel über mangelndes Nachwuchsinteresse nicht beklagen. Drei Ausbildungsklassen gibt es dieses Jahr, eine mehr als sonst. Die nächste Klasse beginnt Anfang Oktober mit der Ausbildung. 19 Anwärterinnen und Anwärter wird sie haben. Die darauf folgende Klasse startet dann im Februar 2024.
Wie wichtig gut ausgebildetes und ausreichendes Personal im Justizvollzug ist, das weiß Kai Patzer zu erzählen. Seit 33 Jahren arbeitet er als Justizvollzugsbeamter. Viele der Inhaftierten seien zum ersten Mal im Knast, sagt er. Und viele von ihnen kämen aus prekären Verhältnissen. Da ist er ein wichtiger Ansprechpartner. Nur ausreichend Zeit dafür zu finden, sei schwer. Schön wäre es, gesteht Patzer, wenn man für jeden Gefangenen zehn Minuten am Tag zum Reden hätte. Oft aber habe man nur Zeit für ein Türgespräch.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.09.2023, 11:32 Uhr