Berlin-Köpenick - Frau erhält Haftstrafe nach Tötung ihrer Mutter und Tochter

Di 25.06.24 | 17:52 Uhr | Von Ulf Morling
Archivbild: 17.04.2024, Berlin: Eine Frau sitzt im Kriminalgericht Moabit auf einer Bank in einem Gerichtssaal. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
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Mehr als acht Jahre muss eine 42 Jahre alte Frau unter anderem wegen Totschlags ins Gefängnis, weil sie ihre Tochter und die eigene Mutter im Oktober 2023 in Köpenick getötet haben soll. Auch der Vater der Frau wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Von Ulf Morling

Eine 42 Jahre alte Frau aus Berlin-Köpenick ist am Dienstag wegen Totschlags an ihrer elfjährigen Tochter und der Tötung auf Verlangen ihrer eigenen Mutter von der 30. Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Ihr mitangeklagter Vater und Großvater des getöteten Kindes muss sechs Jahre ins Gefängnis, weil er nach Überzeugung des Gerichts von der geplanten Tat zwar gewusst hatte, es aber unterließ, die Tötung seiner Enkelin zu verhindern.

"Es war eine dysfunktionale Familie, die als Korsett möglicherweise die Religion nutzte", sagte der vorsitzende Richter, Gregor Herb, in der Urteilsbegründung. Das verhängte Strafmaß sei tat- und schuldangemessen. "Die Tat kann man nur als schrecklich bezeichnen", so das Gericht. Die Staatsanwaltschaft hatte bei beiden Angeklagten lediglich auf rund die Hälfte der jetzt verhängten Strafmaße plädiert.

Seit 2003 nach und nach die Freunde verloren

Das Gericht sah als erwiesen an, dass die hauptangeklagte Dorothea L. die Tötung ihrer Tochter und der eigenen Mutter mit dieser gut vorbereitet hatte, aber auch die Elfjährige davon wusste. Der wegen Beihilfe zum Totschlag verurteilte 71 Jahre alte Werner L. hatte in seinem Geständnis die Jahre der Ehe mit seiner - nach Überzeugung des Gerichts - auf ihr Verlangen getöteten Ehefrau Christine L. geschildert. Über 48 Ehejahre hätten ihn mit seiner Frau verbunden, die immer mehr ihren christlichen Glauben zum Lebensinhalt gemacht habe "als Fluchtpunkt, um dem Alltag zu entkommen".

Seit 2003 sei die Familie einige Jahre in eine christliche freikirchliche Gemeinde in Berlin eingebunden gewesen und habe nach und nach die Freunde verloren. Er selbst habe sich dem verweigert und sei in der Familie isoliert worden, was das Gericht in der Urteilsbegründung bezweifelte. Mit der später von ihrer Mutter getötete Tochter habe es deshalb "nie direkte Gespräche" wie sonst zwischen einer Enkelin und ihrem Opa gegeben. Immer mehr hätten seine Frau und ihre gemeinsame Tochter Dorothea über die Familie und deren "Anbindung an den Himmel" gesprochen. Jeder habe "auf seiner Insel gelebt".

Tatausführung im Oktober

Am 13. Oktober sollen sich die unweit mit ihrem Ehemann in Köpenick wohnende Mutter von Dorothea L. mit ihr und deren Tochter Elisabeth getroffen haben, "um die schreckliche Tat" durchzuführen, hieß es im Urteil. Dorothea L. soll, nachdem die Polizei vor Ort eingetroffen war, einem Beamten gegenüber gesagt haben: "Meine Tochter hat es nicht geschafft, sich allein umzubringen. Ich musste sie unterstützen." Der vorsitzende Richter, Gregor Herb, sagte dazu in der Urteilsbegründung, dass das Kind gewusst habe, was passieren sollte. Die Elfjährige habe "freudig getanzt" vor ihrer Tötung durch die Mutter und die Vorstellung vom Himmel gehabt, dass dort Kätzchen herumtollten und es jeden Tag Geschenke gäbe.

Sie habe sich freiwillig von ihrer Mutter töten lassen "und ihr die Arme entgegengestreckt". Das Kind "konnte sich schlichtweg nicht vorstellen, ohne seine Mutter zu leben". Die Minderjährige habe niemals überblicken können, was es heißt, getötet zu werden. Sie "war wehrlos, weil sie dem Angriff der eigenen geliebten Mutter nichts entgegenzusetzen hatte", so Richter Herb wörtlich.

Nachdem ihre Tochter gestorben war, soll Dorothea L. auf das Verlangen ihrer Mutter diese ebenfalls getötet haben. Bei ihrem eigenen Suizidversuch im Anschluss soll sie mehrfach gescheitert sein und wurde schwer verletzt von der Polizei gefunden.

Verstoßene Tochter alarmierte die Polizei

Ihr Vater hatte sich derweil in seiner Wohnung bereits unter anderem an seinen Handgelenken Schnitte beigebracht. Im Telefonat mit einer der beiden Töchter, die aus dem Familienverband "ausgestoßen" worden war, wie mehrfach im Prozess von Zeugen berichtet wurde, hatte Werner L. bereits vom Blutverlust geschwächt und unter Tränen der Tochter erzählt, dass die Familie plane, sich zu töten. Daraufhin hatte die Tochter die Polizei alarmiert.

"Das Leben ist sinnlos. Wir wollen nach Hause", soll der Angeklagte nach dem Eintreffen der alarmierten Einsatzkräfte einer Polizistin gegenüber gesagt haben. Wahrscheinlich habe er damit "den Himmel" gemeint, mutmaßte die 36-jährige Beamtin im Prozess. Die Tochter, die die Polizei alarmiert hatte, gab den Polizisten gegenüber an, dass sie seit zwei Jahren ihre Schwester Dorothea nicht mehr gesehen habe, auch wenn ihre Kinder in Berlin dieselbe Schule besuchten. Dorothea L. habe jeden Kontakt geblockt und die Familie habe sehr bibeltreu gelebt, ähnlich dem Pietismus und der Esoterik, was sich beispielsweise im Auspendeln der Zukunft durch Mutter Christine geäußert habe.

Die habe einmal bezüglich des geplanten Familiensuizids gesagt : "Der Himmel hat es nicht geschafft. Wir müssen es jetzt selbst machen!"

Revision gegen das Urteil möglich

Die Staatsanwaltschaft hatte im Plädoyer lediglich vier Jahre und drei Monate für die Hauptangeklagte Dorothea L. gefordert, da sie laut eines psychiatrischen Gutachtens im Prozess "erheblich vermindert schuldfähig" zur Tatzeit gewesen sein könnte. Auch das Gericht hatte im Urteil auf eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zu Gunsten von Dorothea L. erkannt.

Ihre Verteidigerin hatte im Prozess davon gesprochen, dass die höchstmögliche Strafe für ihre Mandantin sei, dass sie ohne ihre Tochter und Mutter noch leben müsse. Sie sei "das Werkzeug" ihrer psychisch kranken Mutter gewesen, die sich seit Jahren auf einem selbstzerstörerischen Kurs befunden habe. Ihre Tochter Dorothea und Enkelin Elisabeth habe sie mit in den Abgrund gerissen.

Die Schwurgerichtskammer widersprach mit seiner Urteilsbegründung den Strafmaßvorstellungen der Staatsanwaltschaft. Gegen das Urteil ist die Revision möglich, bei der das ergangene Urteil auf Rechtsfehler überprüft würde.

Sendung: rbb24 Abendschau, 25.06.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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