Fall aus Berlin-Köpenick - Frau wegen mutmaßlicher Tötung von Tochter und Mutter vor Gericht
Der Fall löste im Herbst vergangenen Jahres bundesweit Entsetzen aus: Eine 42-Jährige soll ihre elfjährige Tochter und ihre Mutter getötet haben. Seit Mittwoch muss sie sich vor dem Berliner Landgericht verantworten. Von Ulf Morling
- Angeklagte soll zunächst ihre Tochter und dann ihre Mutter getötet haben
- Vater der Angeklagten soll von Plan gewusst haben, aber nichts unternommen haben
- Taten als geplanter "erweiterten Suizid" gewertet
- Frau scheiterte bei Versuch, auch sich das Leben zu nehmen
- Urteil im Juni erwartet
Am Nachmittag des 13. Oktober 2023 soll Dorothea L. in der Köpenicker Familienwohnung ihre elfjährige Tochter Friederike* getötet haben, um damit den mutmaßlich von den erwachsenen Familienmitgliedern geplanten "erweiterten Suizid" umzusetzen. Der angeklagten Mutter wird Totschlag vorgeworfen. Anschließend soll die frühberentete Hauswirtschafterin auf ähnliche Weise ihre Mutter getötet haben, die die Angeklagte zur Hilfe aufgefordert haben soll.
In diesem Fall ist die 42-jährigen wegen Tötung auf Verlangen seit Mittwoch vor dem Berliner Landgericht angeklagt.
Großvater wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt
Friederikes mitangeklagter Großvater, Werner L. (71), soll gewusst haben, was seine Tochter plante, und soll die beiden Taten nicht verhindert haben. Er ist wegen Totschlags seiner Enkelin durch Unterlassen vor der 30. Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts angeklagt. Der teilweise erfolgte mutmaßliche Familiensuizid soll vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Angst vor der Zukunft geplant worden sein, sagt die Staatsanwaltschaft.
Am Dienstag wurde der 71-jährige angeklagte Werner L. wegen Herzproblemen in die Charité eingeliefert und wird deshalb erst am zweiten Verhandlungstag im Mai am Prozess teilnehmen können, wie es von der Klinik hieß. Deshalb wurde nach wenigen Minuten der erste Prozesstag am Mittwoch beendet.
Tatort erschüttert Ermittler
Als die Beamten der Mordkommission und der Staatsanwaltschaft am 16. Oktober vergangenen Jahres zum Tatort kamen, waren sie trotz langjähriger Routine ergriffen: Die Ermittler fanden im Wohnzimmer die Leichen der elfjährigen Friederike und ihrer Großmutter Christine L. (68). Die Körperregionen, wo die tödlichen Schnitte mit einem extra für diesen Zweck gekauften Cuttermesser gesetzt wurden, waren auf den Körpern mit blauem Stift markiert.
Im Schlafzimmer wurde Dorothea L. mit schweren Verletzungen auf dem Bett entdeckt. Sie hatte offenbar drei Tage lang erfolglos mehrfach versucht, sich zu töten. Drei Abschiedsbriefe fanden die Beamten in der Küche: die des elfjährigen Kindes, ihrer Mutter und ihrer Oma. Sie wolle bei ihrer Mama und ihrer Oma bleiben, soll Friederike unter anderem dort geschrieben haben.
Vor dem Auffinden der Leichen des Kindes und seiner Großmutter waren die Einsatzkräfte in die nahegelegene Wohnung des mitangeklagten Vaters von Dorothea L. alarmiert worden. Auch der 71-jährige Werner L. war schwer verletzt und soll die Taten seiner Tochter nicht verhindert haben, obwohl er dazu verpflichtet gewesen sei, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Totschlag durch Unterlassen nennen das die Juristen.
Er hatte laut Ermittlern drei Tage nach den Taten eine seiner drei Töchter am Telefon unter Tränen gebeten vorbeizukommen. Da ihr Vater sonst eher emotionslos sei, sei sie mit ihrem Mann sofort bei ihm vorbeigefahren. In der ebenfalls in Köpenick liegenden Wohnung, die Werner L. mit seiner Frau Christine bewohnt habe, seien ihr die schweren Verletzungen ihres Vaters aufgefallen und sie habe die Feuerwehr alarmiert.
Endzeitglaube als Tatmotiv?
Zwei Monate nach den Taten begann die Sachverständige, die angeklagte L. zu besuchen. Ab 22. Dezember vergangenen Jahres befragte Psychiaterin Karola Tschilingirov die mutmaßliche Täterin ein halbes Dutzend Mal. Sie wollte das Motiv ergründen, warum die 42-jährige ihr Kind und ihre Mutter tötete. Ihr Gutachten sollte als Grundlage der Anklage dienen, die jetzt verhandelt wird.
Was L. der Gutachterin berichtet habe, decke sich mit den objektiven Beweisergebnissen, den Spuren am Tatort, den Äußerungen der Angeklagten direkt nach der Tat und den Ergebnissen der Rechtsmedizin, stellen die Ermittler fest.
Die gesamte Familie habe den gemeinsamen Suizid geplant, berichtete Dorothea L. der Psychiaterin in der Untersuchungshaft. Sie seien streng gläubige Christen, die bibeltreu und pietistisch lebten. Mehrfach am Tag beteten sie, ihre getötete Mutter habe manchmal auch Entscheidungen durch die "Hilfe" eines Pendels getroffen. Sie habe dabei auf eine "himmlische Entscheidung" gehofft.
Weiter wurde in den Ermittlungen offenbar, dass die Familie abgeschottet von der Gesellschaft lebte und von einer immer weiter wachsenden Angst vor Einwanderung und Zukunftsängsten bestimmt gewesen sei. Vor den Taten hätten sie, ihre Mutter und ihre Tochter noch gebetet. Dann sei es geschehen. Man habe nach Hause gewollt, in den Himmel.
Geständnisse der Angeklagten und ihres Vaters?
Neben den psychiatrischen Sachverständigen, die zur Schuldfähigkeit beider Angeklagter im Prozess aussagen, wird zumindest auch die Aussage der 42-jährigen Dorothea L. in der öffentlichen Hauptverhandlung erwartet. Eventuell bereits am 8. Mai könnte diese erfolgen. Nach zehn Prozesstagen ist für Mitte Juni das Urteil geplant.
*Name geändert
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