Studie Barmer - Notfallversorgung in Berlin und Brandenburg mit großen Unterschieden

Mi 09.10.24 | 20:27 Uhr | Von Simon Wenzel
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Symbolbild: Ein Sanitäter der Berliner Feuerwehr steigt in einen Rettungswagen mit der Aufschrift Notruf 112. (Quelle: dpa/Kappeler)
Video: rbb24 Abendschau | 09.10.2024 | N. Siegmund | Bild: dpa

Mit Hilfe von Daten der Krankenkasse Barmer haben Experten erstmals eine bundesweite Statistik zu Rettungsdiensteinsätzen erarbeitet. Sie zeigt erhebliche Unterschiede zwischen Berlin und Brandenburg. Von Simon Wenzel

Eine bundesweite Studie [bifg.de] zeigt erstmals, wie groß die Unterschiede beim Einsatz von Rettungsdiensten in den unterschiedlichen Bundesländern sind. Sowohl in Bezug auf die Einsatzart, als auch auf die entstehenden Kosten. Grundlage sind Daten des Versicherers Barmer aus dem Jahr 2022, die Ergebnisse wurden am Mittwoch vorgestellt.

Rettungswageneinsätze in Brandenburg teurer als in Berlin

Rettungswageneinsätze sind in Brandenburg so teuer wie in kaum einem anderen Bundesland. Das ergab die Auswertung der Barmer-Daten. Nur in Schleswig-Holstein sind die Kosten im Mittel höher.

Ein Rettungswageneinsatz mit Notarzt kostet in Brandenburg fast 1.500 Euro, einer ohne Notarzt immerhin fast 800 Euro. In Berlin sind diese Kosten deutlich niedriger. Nur 660 Euro für einen Einsatz mit Notarzt, etwas mehr als 160 Euro ohne ihn.

Dafür müssen die Rettungskräfte in der Hauptstadt deutlich häufiger ausrücken als in Brandenburg. Die Zahlen des Papers für das Flächenland Brandenburg seien weitgehend normal, so Co-Autor Janosch Dahmen. Der bundespolitische Sprecher für Gesundheit bei den Grünen sagte zudem gegenüber dem rbb, die Zahlen für Brandenburg seien durch die Struktur des Bundeslandes erklärbar. In Berlin wiederum, so Dahmen weiter, gebe es einige Auffälligkeiten, die nicht alleine durch das Leben in der Großstadt erklärbar sind.

Könnte Berlin bei Rettungseinsätzen mehr abrechnen?

Die niedrigen Kosten sind grundsätzlich in einem Ballungsraum zwar logisch, denn hier sind die Wege kürzer. Die einzelnen Rettungswägen und ihre Besatzung schafften so mehr Einsätze pro Tag, während die Fixkosten ähnlich wie auf dem Land blieben. Allerdings hat Berlin auch im Vergleich zu den anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen deutlich niedrigere Kosten pro Einsatz.

Was erstmal positiv klingen mag, ist es nicht zwangsläufig. Denn wenn Berlin weniger Geld pro Einsatz von den Krankenkassen einnimmt, kann auch weniger ins System investiert werden. Janosch Dahmen sagt rbb24 dazu: "Berlin setzt überraschend geringe Kosten für die Leistungen der Notfallrettung an."

Kosten wie die Bearbeitung von Notrufen, die in anderen Bundesländern geltend gemacht würden, rechne Berlin nicht in die Gebühr ein. In Nordrhein-Westfalen seien das zwischen 50 und 70 Euro pro Einsatz des Rettungsdienstes, so Dahmen.

Nur selten muss der Notarzt in Berlin mit raus

Außerdem auffällig: Berlin hat im Verhältnis sehr viel mehr Rettungsdiensteinsätze ohne Notarzt als andere Bundesländer und mehr Menschen, die mehrfach pro Jahr den Rettungsdienst rufen.

Eine weiterführende Statistik aus der Studie, die dem rbb vorliegt, zeigt: Nicht einmal ein Viertel der Fahrten ohne Notarzt auf Rettungswagen entfallen auf die der Fahrzeuge der Berliner Feuerwehr. Den überwiegenden Teil übernehmen Krankentransporte. Dies ist eine Ausnahme im Bundesvergleich, denn die meisten Bundesländer haben deutlich mehr Rettungswagen-Einsätze als Krankentransportfahrten.

Laut Dahmen lässt sich das zum einen soziologisch erklären: In Berlin gibt es viele Single-Haushalte. Die Stadtbevölkerung sei außerdem häufig ärmer, kränker und einsamer, sagt Dahmen.

Dadurch sei der Rettungsdienst auch bei einfachen medizinischen Notlagen teilweise die einzige Option, das "letzte Sicherheitsnetz". Die Mehrfacheinsätze könnten insbesondere bei der pflegebedürftgien Bevölkerung anfallen. Wobei sich nicht alles davon in Bezug auf Berlin statistisch belegen lässt - so sind die Menschen in Berlin beispielsweise im Schnitt fünf Jahre jünger als in Brandenburg.

Experten fordern Verbesserungen im System der Rettungseinsätze

Die Autorinnen und Autoren der Studie fordern in ihren Maßnahmen deshalb unter anderem, die Primärversorgung älterer und pflegebedürftiger Menschen zu stärken. Ein Vorschlag ist sogenanntes "Community Health Nursing" - gemeint ist Pflegepersonal, welches auch geschult ist, um beispielsweise Menschen mit chronischen oder Mehrfacherkrankungen zu versorgen. So soll für mehr medizinische Probleme eine Versorgung zuhause ermöglicht werden.

Angelehnt an die derzeitige Reform der Notfallversorgung fordern die Autorinnen und Autoren auch eine Reform der Rettungsdienste.

 

Dr. Philipp Kellner, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im Vivantes Klinikum im Friedrichshain schildert die Lage dem rbb: "Es ist jeden Nachmittag eine Herausforderung, weil eine Fülle von Patienten bei uns sind." So gebe es auch eine "erhebliche Anzahl von Patienten", so Kellner, die von ihrem Hausarzt in die Notaufnahme geschickt würden, weil es keinen freien Termin bei Fachärzten gebe.

Es gehe dabei lediglich um Abklärungen und Untersuchungen. Manche Patienten hätten auch gar keinen Hausazrt oder würden nirgendwo mehr aufgenommen. "Die landen dann, orientierungslos im Gesundheitssystem, irgendwann in der Notaufnahme", so der Chefarzt der Notaufnahme.

Berliner Notruf-Leitstellen schätzen Anrufe gründlich ein

Die Rettungsdienste in Berlin klagen seit langem immer wieder über Überlastung. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte im vergangenen Jahr in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, private Rettungsdienste sollten die Feuerwehr unterstützen.

Dass in Berlin weniger oft als in anderen Bundesländern der Notarzt mit ausrücken muss, liegt laut Janosch Dahmen auch daran, dass das Land als eines der wenigen im Bund eine qualitätsgesicherte, standardisierte Notrufabfrage in der Leitstelle verwende. Damit lasse sich verlässlicher und schneller abschätzen, um welche Art von Notruf es sich handelt. Der Notarzt wird also häufiger nur dorthin entsandt, wo er auch wirklich benötigt wird. Außerdem traue Berlin seinen Notfallsanitätern mehr zu an eigenständigen Maßnahmen.

"Dieser Mix aus guter Ausbildung, einem hohen Maß an eigenständiger Tätigkeit der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter und präziser, qualitätsgesicherter Notrufabfrage ermöglichen eine besonders hohe Zahl an Einsätzen ohne Notarzt", so Dahmen.

Krankenhaus-Erreichbarkeit in Berlin und Brandenburg

In manchen Regionen ist das nächste geeignete Krankenhaus - zum Beispiel für Herz-Kreislauf-Stillstand - nur wenige Minuten entfernt. In manchen Gegenden leben hingegen mehr als eine Million Menschen, aber der Fahrtweg ins nächste Krankenhaus ist länger als 30 Fahrminuten entfernt. Das kann zu lange sein, denn in der Regel sollen Betroffene ab dem Herz-Kreislauf-Stillstand in nicht mehr als 60 Minuten im Krankenhaus ankommen.

Das SWR Data Lab hat für ganz Deutschland die Erreichbarkeit von Krankenhäusern in unter 30 Fahrtminuten berechnet. Die folgende Karte zeigt, wie die Klinikstruktur Mitte Juni 2024 für Reanimationen aufgestellt war.

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Beitrag von Simon Wenzel

15 Kommentare

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  1. 15.

    Es ist sogar gesamtwirtschaftlich dumm alles auf Teufel komm heraus zu privatisieren, die Ergebnisse erleben wir jetzt.

    Es wird noch schlimmer werden... nach der nächsten BT Wahl werden wie aller Wahrscheinlichkeit nach einen Merz als Bundeskanzler erleben.

    Zurück in die 50er Jahre, fragt sich nur welches Jahrhundert.

  2. 14.

    Seit nunmehr 30 Jahren haben wir unser Gesundheitssystem gegen die Wand gefahren und Sie wundern sich über die Auswirkungen?

  3. 13.

    Nein, ich beschrieb die Situation in Brandenburg. In Berlin bin ich nicht tätig.

  4. 11.

    die rettungsstelle im klinikum am friedrichshain quillt tatsächlich über - auch baulich. wenn sich da zb ein kind mit windpocken zwischen die wartenden setzt….

  5. 10.

    Wie wäre es mal die Beiträge richtig zu lesen bevor man kommentiert?

    Zweiter Satz im ersten Beitrag von Nick:

    "Seit vielen Jahren auch in Brandenburg."

  6. 9.

    >"Also ich habe,das von Nick gelesen und denke auch ,man muss in Brandenburg noch Krankenhäuser bauen"
    Die Kommentare von Nick beschreiben seine Arbeitssituation in Berlin, nicht in Brandenburg.
    Natürlich wäre es schön, in Brandenburg in jeder größeren Stadt ein Krankenhaus zu haben. Muss aber auch nicht. Die Krankenhäuser, die da sind, müssen erhalten und gestärkt werden.

  7. 8.

    Das wird sich für Brandenburg auch weiter verschärfen durch Klinik-Schließungen, die vom Gesundheitsministerium gewollt sind. Es gibt dann nur noch Tiefe (Fachkliniken) statt Breite angesagt, hinzu kommt der Fachkräftemangel, Ludwigsfelde lässt z. B. nur noch bis Donnerstag entbinden, ab Freitag wird zusammengekniffen und nach Potsdam in die Erstaufnahme gefahren... In wie vielen Kliniken muss frau sich zur Geburtsplanung dann anmelden und untersucht werden? Wem genau spart das Kosten?

    Das alles belastet den Rettungsdienst, ohne dass man es ändern könnte. In der Fläche werden First Responder ausgebildet/eingesetzt, um die Rettungsdienste zu unterstützen.

    Aber soll das Gesundheitssystem auf Rettungsdienste und Notaufnahmen basieren?

    Oder läuft das wie der Rückkauf der Wohnungen, Gas/Wasser/Stromversorgung: in ein paar Jahren alles zurück drehen frei nach Adenauers dummen Geschwätz Spruch...?

  8. 7.

    Also ich habe,das von Nick gelesen und denke auch ,man muss in Brandenburg noch Krankenhäuser bauen wo es halt zu wenige gibt und die Wege plus den Faktor Zeit dann kürzer und für den Patienten erträglicher werden.
    Brandenburg ist schließlich ein Flächenland und ausserdem würde durch mehr Krankenhäuser auch die vor Ort ärztliche Hilfe sich verbessern.
    Es müssen ja nicht riesig große Kliniken sein .
    Aber an der,Gesundheit sollte nicht gespart werden.

  9. 6.

    >"Oft telefonieren wir noch an der Einsatzstelle lange herum, bis wir eine aufnahmebereite Klinik finden."
    In Brandenburg oder Berlin?

  10. 5.

    >"Dazu Empfehlungen für Verbesserungsmaßnahmen sowohl in Berlin als auch in Brandenburg. In diesem Bereich ist "einfach so hinnehmen" nicht angebracht."
    Ich meinte die reinen Statistikzahlen. Verbesserungen empfehlen sich immer und überall. Je nach Finanzlage der Krankenkassen. ;-)

  11. 4.

    (Fortsetzung) Mein Problem in den letzten Jahren als Notarzt, ich bekomme die Patienten kaum noch untergebracht. Oft telefonieren wir noch an der Einsatzstelle lange herum, bis wir eine aufnahmebereite Klinik finden. Insbesondere gilt das für etwas schwierigere und nicht gerade „geldbringende“ Patienten. Das darf nicht sein und ich wünsche mur einen zentralen Bettennachweis bei den Leitstellen. Es kann nicht die Aufgabe des Notarztes sein, mühsam nach Betten zu fahnden!!

  12. 3.

    Ich bin seit 20 Jahren als Notarzt in verschiedenen Bundesländern tätig. Seit vielen Jahren auch in Brandenburg. Städtische Strukturen sind kaum mit dem ländlichen Raum vergleichbar. Die Krankenhausdichte in Brandenburg ist dünn, Wege und Transportzeiten lang. Das Personal aber überw. top fit! Ich bin immer erstaunt, wieviel im Rettungswesen herumreformuert wird, da dieser einen eher geringen Kostenanteil der Gesamtgesundheuisausgaben ausmacht, allerdings mit steigender Tendenz.

  13. 2.

    Nach den Ausführungen des Textes gibt es durchaus qualitative Unterschiede. Dazu Empfehlungen für Verbesserungsmaßnahmen sowohl in Berlin als auch in Brandenburg. In diesem Bereich ist "einfach so hinnehmen" nicht angebracht.

  14. 1.

    Ach nee... nicht schon wieder ne Statistik...
    "Mit Hilfe von Daten der Krankenkasse Barmer haben Experten erstmals eine bundesweite Statistik zu Rettungsdiensteinsätzen erarbeitet."
    Wieso haut die Barmer denn sowas raus? Es gibt in anderen Kassen wesentlich mehr Mitgleider.
    "Sie zeigt erhebliche Unterschiede zwischen Berlin und Brandenburg."
    Was Wunder... Beide Länder haben eine sehr unterschiedliche Struktur der Bevölkerung Altersstruktur, der Bevölkerunsdichte, der Familien- und Lebensverhältnisse.
    LEUTE: Nicht rumwundern. Die Zahlen einfach so hinnehmen. Hier ist jetzt keins der beiden verglichenen Bundesländer besser oder schlechter dran. Ist halt so. ES SIND NUR ZAHLEN! Diese haben nichts mit der Wertigkeit von Brandenburg und Berlin zu tun.

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